Sondierungen entlang des 38. Breitengrades
Während die beiden Koreas miteinander verhandeln, werden auch deutsche Erfahrungen miteinbezogen
Kurz vor dem Gründungstag am 3. Oktober in Südkorea wurde in Seoul Hans Modrow empfangen, Ministerpräsident der DDR 1989/90. Nicht nur Deutschland begeht am 3. Oktober einen Nationalfeiertag, auch die Republik Korea feiert dann »Gaecheonjeol«, den Gründungstag der Koreanischen Nation im Jahr 2333 B.C. Der ist neben dem 17. August, dem Gründungstag der Republik, und dem 15. August, dem Unabhängigkeitstag von Japan, der dritte nationale Gedenktag. Die dreifache Feierei verweist deshalb auch auf ein Ereignis, dass in Deutschland bereits 1990 stattfand: Die Annäherung der beiden Koreas steht noch aus, eine mögliche Vereinigung ist in weiter Ferne.
Mitte September reiste der Vorsitzende des Ältestenrates der Linkspartei, Hans Modrow, zuerst nach Pjongjang und von dort nach Seoul. Gefragt war in der Südkoreanische Hauptstadt kurz vor dem Feiertag in Vorträgen und politischen Begegnungen vor allem seine Expertise als DDR-Ministerpräsident während der deutschen Vereinigung 1989/90.
Schon rein äußerlich sind die Unterschiede zwischen den Hauptstädten Nord- und Südkoreas frappierend. Dort die streng disziplinierte, geordnete Lebensweise und Außendarstellung, im Süden die pulsierende Metropole eines jungen kapitalistischen Industriestaates, der dringend Auswege aus seiner sich zuspitzenden De-facto-Insellage sucht. Denn was im Ringen um die Lösung der Koreafrage bislang fast unerwähnt bleibt, tatsächlich aber im Alltagsdasein eine überragende Rolle spielt: Die Republik hat nur 100 000 Km² Fläche, davon sind 70 Prozent gebirgig; fast 52 Millionen Südkoreaner leben vor allem in den schmalen Küstenstreifen, die Bevölkerung wächst jährlich um 0,24 Prozent. Es herrscht in allen Lebensbereichen ein ungeheurer Leistungsdruck. Alle Güter müssen vor allem per Schiff ex- oder importiert werden. Rohstoffe sind hingegen überreichlich in der Demokratischen Volksrepublik Korea zu finden, für die eigene Entwicklung mangelt es dort aber an Technik und Technologie. Die 243 Kilometer lange Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad riegelt Südkorea vom Landzugang zu Nordost- und Nordchina genauso ab wie zu dem stark aufstrebenden Fernen Osten Russlands und den Entwicklungsregionen Zentralasiens. Und damit auch von der Seidenstraßen – Initiative Chinas, einschließlich des direkten Landzugangs nach Europa.
Mit Blick in Richtung 70. Jahrestag der Republik Korea und darüber hinaus fand das Spitzengespräch Modrows beim stellvertretenden Außenminister Yoon Soongu genau in den Minuten statt, als Präsident Moon Jae Yoon Soongum, stellvertretender Außenminister Südkorea In zum Flug nach Pjongjang startete – der dauerte eine Stunde zwanzig Minuten, da ja im weiten Bogen im internationalen Luftkorridor geflogen werden muss, anstatt direkt über den 38. Breitengrad. Ebenso lange dauerte die Unterredung bei Yoon Soongu. Der sprach in etlichen Fragen Klartext: Südkorea ist daran interessiert, dass Deutschland politisch, ökonomisch, sozial in der Koreafrage den südkoreanischen Präsidenten im Sinne von dessen »Berliner Erklärung« vom 6. Juli 2017 un- terstützt. Darin orientierte Moon auf die langfristige friedliche Annäherung beider koreanischer Staaten. Süd- und Nordkorea hätten viele gemeinsame Interessen. Aber »Nordkorea hat Atomwaffen. Deshalb ist es schwer, die Widersprüche zu überwinden«. Denn die Atomwaffen »stellen eine große Bedrohung für Südkorea dar«, weshalb Südkorea »umso mehr von den USA abhängig« sei. Nordkorea habe für sein Überleben seine eigene Ideologie geschaffen, sei nicht abhängig von China. Wenn Nordkorea auf Atomwaffen verzichte, gebe es einen großen Handlungsspielraum für Südkorea. Für Seoul bleibe es aber problematisch, dass China bisher aus geostrategischer Sicht an die Beziehungen herangeht. Gut sei, dass sich die direkten Beziehungen entwickeln und China in den Wirtschaftsbeziehungen zur Nummer eins vor den USA wurde.
Zugleich gehe es Südkorea darum, die »regionale Stabilität zu stärken«, so auch seine Beziehungen zu den ASEAN – Staaten. China solle nicht zu einflussreich sein, deshalb müsse eine Balance gefunden werden zwischen der engen Freundschaft zu den USA und der vertieften Zusammenarbeit mit China. Und: »Ohne die Stationierung amerikanischer Soldaten in Südkorea ist die Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel gefährdet.« Denn China wäre dann »die einzige Großmacht in der Region und würde dominieren.« So dürfe es nicht kommen, »Südkorea braucht Sicherheit«.
Was bleibt: Das moderne Südkorea sucht entschieden Auswege aus seiner komplizierten politisch – geografischen und sicherheitspolitischen Lage und bleibt hochaktiv, dass dafür im 71. Jahr seiner Existenz Wegweisendes erreicht wird.
»Ohne die Stationierung amerikanischer Soldaten in Südkorea ist die Stabilität auf der Koreanischen Halbinsel gefährdet.«