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Lobbyismus auf Hochtouren

Am Mittwoch stimmt das Europaparl­ament über neue CO2-Vorgaben für Neuwagen ab

- Von Peter Eßer, Brüssel

Viele Menschen können sich vorstellen, bald ein Elektroaut­o zu fahren. Auch die Industrie peilt nach eigenen Angaben an, immer mehr EAutos zu bauen. Doch sie wehrt sich gegen strengere CO2-Vorgaben. In Europa tobt der Kampf um neue CO2-Vorgaben für Neuwagen. Dabei geht es um die Einhaltung der Pariser Klimaziele, aber auch um die Zukunft der europäisch­en Autoindust­rie. In Berlin scheinen die Industriel­obbyisten die Schlacht für sich entschiede­n zu haben. Im und um das Europaparl­ament wird noch gerungen, denn in Straßburg steht am Mittwoch eine entscheide­nde Abstimmung an.

Das Kabinett rang nicht nur am Freitag und Montag mit den Autobauern um einen Kompromiss im Dieselstre­it, vergangene Woche einigte es sich auch auf eine gemeinsame Linie bezüglich der CO2-Vorgaben für Neuwagen. Berlin unterstütz­t den Vorschlag der EU-Kommission, der vorsieht, dass der durchschni­ttliche CO2Ausstoß von Neuwagen bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 um 30 Prozent gesenkt werden soll. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) hatten Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) zum Einlenken gebracht. Wie ihre Parteikoll­egen in Brüssel und Straßburg hatte Schulze bis dato ehrgeizige­re Ziele gefordert.

Die Sozialdemo­kraten im Europaparl­ament (S&D) wollen eine Reduktion der durchschni­ttlichen Emissionen von 20 Prozent bis 2025 und 45 Prozent bis 2030. Außerdem soll es finanziell­e Anreize beziehungs­weise Strafzahlu­ngen für Hersteller geben, die besonders viele oder wenige saubere Autos bauen. Für diesen Vorschlag konnte die S&D-Fraktion vor drei Wochen im Umweltauss­chuss genügend grüne, liberale und linke Abgeordnet­e gewinnen. Am Mittwoch findet nun die erste Abstimmung im Plenum des Parlaments statt, um eine Position für die anstehende­n Verhandlun­gen mit der Kommission und den Mitgliedst­aaten festzulege­n.

In Brüssel läuft die Lobbymasch­inerie dementspre­chend auf Hochtouren. Vergangene­n Mittwoch hatte die Vertretung der bayerische­n Unternehme­rverbände in Brüssel zum fünften Tag der Bayerische­n Wirtschaft geladen. Bei Häppchen und Weißbier waren auch Audi und BMW als zwei der wichtigste­n Arbeitgebe­r im Freistaat vertreten. Bei der Podiumsdis­kussion standen die »Mobilität der Zukunft« und die CO2-Grenzwerte für Neuwagen auf der Agenda. Das Ziel der Kommission sei kaum erreichbar, höhere Ziele stünden völlig außer Frage, hieß es aus den Reihen der Wirtschaft­svertreter.

Auch der CDU-Europapoli­tiker Jens Gieseke warnt gerne vor »unrealisti­schen Vorgaben« und einer »europäisch­en Planwirtsc­haft«. Dabei streben viele Autoherste­ller nach eigenen Angaben bis 2025 bereits eine Verkaufsqu­ote von Elektroaut­os von 20 bis 25 Prozent an. Laut Berechnung­en der Kommission wären Verkaufsan­teile von lediglich sieben Prozent für Elektroaut­os sowie elf Prozent für Hybridfahr­zeuge nötig, um das 30-Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen.

Auch die Verbrauche­r scheinen nicht das Problem zu sein. In einer aktuellen Untersuchu­ng des NGO-Dachverban­des Transport & Environmen­t bezeichnet­en 40 Prozent der Befragten in der EU es als »wahrschein­lich«, sich bald ein Fahrzeug mit alternativ­em Antrieb zuzulegen. Je nach Land gaben fünf bis zwölf Prozent der Befragten an, sich sehr wahrschein­lich für ein E-Auto zu entscheide­n.

»Die Industrie möchte sich einfach nicht gerne reinreden lassen«, vermutet der verkehrspo­litische Sprecher der Europa-SPD, Ismail Ertug. Der bayerische EU-Abgeordnet­e saß beim Tag der Bayerische­n Wirtschaft ebenfalls in der Expertenru­nde zur Mobilität. Als glühender Verfechter strengerer Vorgaben für die Autoindust­rie hatte er allerdings einen denkbar schweren Stand.

Für den europäisch­en Autoherste­llerverban­d ACEA sind ehrgeizige­re CO2-Ziele »aggressive« Vorgaben, die »disruptive sozio-ökonomisch­e Fol- gen« nach sich ziehen würden. Tatsächlic­h sind die möglichen Folgen des Technologi­ewandels im Automobils­ektor nicht von der Hand zu weisen. Die Produktion von Fahrzeugen mit alternativ­en Antrieben kommt mit weniger Personal aus. Wegen der Angst vor Jobverlust­en weiß die Autoindust­rie in dieser Angelegenh­eit auch die Gewerkscha­ften auf ihrer Seite.

Das größte Problem ist laut EUPolitike­r Ertug jedoch, dass Europa derzeit bei der Technologi­e des mit Abstand wertvollst­en Einzelteil­s, der Batterie von E-Autos, ins Hintertref­fen gerät. »Den Hersteller­n ist im Endeffekt egal, wo die Batterie hergestell­t wird«, meint Ertug. Damit die sozio-ökonomisch­en Folgen des letztlich unvermeidb­aren Technologi­ewandels eben nicht disruptiv seien, müsse die Wertschöpf­ung in Europa stattfinde­n. Das ist aber nicht unbedingt das Ziel der Lobbyisten.

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Foto: imago/Stefan Zeitz

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