Brechen mit der machistischen Kooperation
Miguel Matías Barboza über antipatriarchale Männer und die feministische Bewegung in Argentinien
In Argentinien ist die neue feministische Bewegung rund um »Ni una menos« (Nicht eine weniger) und der nationalen Kampagne zum Recht auf Abtreibung die dynamischste soziale Bewegung derzeit. Wie fügt sich das »Kollektiv der antipatriarchalen Männer« in dieses Panorama ein?
Mit unserem 2012 gegründeten Kollektiv wollen wir dazu beitragen, den Kampf gegen das Patriarchat zu unterstützen. Wir verstehen dieses als ein asymmetrisches Unterdrückungsverhältnis, das auf einer ungleichen Machtverteilung entlang der Geschlechter basiert. Wir wollen kollektive Orte der Reflexion schaffen, um eine Veränderung zu bewirken. Es geht uns als Personen, die sich selbst als Männer begreifen, oder als solche von anderen eingestuft werden, dabei um eine Reflexion der Rolle, die uns in der patriarchalen Gesellschaft zugeteilt wird. Eine Machtposition, mit der wir selbst nicht einverstanden sind.
In unserer Organisierung greifen wir die historischen Kampffelder des argentinischen Feminismus auf. Wir organisieren uns gegen die männliche und sexistische Gewalt, gegen die Feminizide, den Handel mit Mädchen und Frauen mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung, oder für die Unterstützung des Kampfes für die Legalisierung der Abtreibung, sowie der Schaffung von Räumen mit geschlechtlicher und sexuellen Vielfalt, gegen den heteronormativen Zwang.
Mit welcher Zielsetzung?
Wir wollen den Platz, den uns das Modell der hegemonialen Männlichkeit in diesen Beziehungen zuweist, problematisieren und sichtbar machen, auf die männlichen Privilegien verzichten und zum Kampf für eine radikale Veränderung dieser Gesellschaft beitragen.
Zudem sind wir mit ähnlichen Organisierungen stadt- und landesweit sowie auf dem restlichen Kontinent vernetzt. Dieses Jahr werden wir das kontinentale Treffen der antipatriarchalen Männer zusammen mit vielen weiteren Genossen in Buenos Aires organisieren.
Wie würden Sie die Praxis beschreiben, welche nötig ist, um mit den Privilegien zu brechen und den feministischen Kampf aus einer männlichen Perspektive mitzukämpfen?
Die Idee ist, eine aktive Rolle einzunehmen. Aktiv in dem Sinne, dass wir selbst es sind, die uns und unsere Rolle hinterfragen. Es kann nicht sein, dass unsere Genossinnen dies tun müssen. Wir gehen davon aus, dass alle, die von der Gesellschaft als männlich gelesen werden, fernab unserer sexuellen Orientierung, gesellschaftliche Privilegien genießen. Es hilft nichts, in einer passiven Rolle zu bleiben, sich selbst zu beschuldigen und nichts zu machen. Sonst würde es bei Oberflächlichkeiten bleiben. Es wäre in gewisser Weiße eine Zurschaustel- lung des »angenehmen Unbehagens«, eine Art des »etwas verändern«, um letztlich nichts verändern zu müssen. Mit diesen Formen brechen wir durch Kollektivität, den Austausch mit dem Genoss*innen, der politischen Vernetzung und dem Kampf.
Zum Beispiel?
So organisierten wir am vergangenen Jahrestag der im Juni 2015 gegründeten Bewegung »Ni una Menos« eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel »Der Bruch mit der machistischen Kooperation«, um unsere Praktiken im Zusammenspiel mit dem Aktionstag gegen die Feminizide von »Ni una Menos« zu thematisieren. Es geht uns also um eine politische Arbeit mit unseren Körpern und eine Auseinandersetzung mit dem uns zugeschriebenen Geschlecht. Wir teilen und besprechen Formen, Erfahrungen und Möglichkeiten, wir diskutieren Probleme und positionieren diese in der Öffentlichkeit durch Artikel, Veranstaltungen, Demos und Proteste.
Wie ist eure Beziehung zu politischen Organisierungen, an welchen ausschließlich Frauen partizipieren, oder jenen, die eine gemischte Genderzusammensetzung haben?
Als Kollektiv sind wir Teil weiterer größerer Kampagnen, in welchen sich Menschen jeglichen Geschlechts und jeglicher Sexualität engagieren. Wir engagieren uns beispielsweise in der Kampagne für eine legale, sichere und kostenfreie Abtreibung, in der Kampagne gegen Gewalt an Frauen, oder wir partizipieren im Projekt für die integrale Sexualkunde (ist in argentinischen Schulen nicht bzw. nicht ausreichend per Gesetz geregelt, d. Red.). Seit dem ersten Streik der argentinischen Frauen haben wir beschlossen den Forderungen der Frauen nachzugehen, dass es keine aktive Beteiligung von Männern an den Protesten geben soll. So nutzen wir diese Tage stets, um öffentliche Workshops mit anderen politischen Organisierungen, die teilweise ganz andere Themen als wir verfolgen, eine Reflexion der männlichen Rolle innerhalb der patriarchalen Gesellschaft durchzuführen. Außerdem organisieren wir Orte, an denen alle Frauen, die an den Protesten teilnehmen wollen, ihre Kin- der abgeben können. Wir kümmern uns dann um die Kinder, während die Frauen auf der Straße sind.
Wie ist die Reaktion von Seiten der Frauen?
Wir erfahren fortlaufend viel Unterstützung und Zuspruch seitens der feministischen Organisierungen und befinden uns im regelmäßigen Austausch mit unseren Genossinnen über all diese Themen. Sofern es gewünscht ist, tragen wir unseren Teil zur Realisierung von Protesten bei. Wir organisierten etwa dieses Jahr am 7. März, dem Tag der Lesben zusammen mit der »Versammlung der Lesben« eine Demo für die Genossin Pepa Gaitán, die umgebracht wurde, weil sie lesbisch war.
Was muss passieren, um die feministische Revolution zu erreichen?
Miguel Matías Barboza ist seit 2013 Mitglied im »Kollektiv der antipatriarchalen Männer« aus Buenos Aires, das sich zum Ziel gesetzt hat, auf männliche Privilegien zu verzichten und zum Kampf für eine radikale Veränderung dieser Gesellschaft beizutragen. Mit dem 28-jährigen Jura-Studenten sprach für »nd« Kai Münch. Der Feminismus ist eine politische Bewegung, die Tag für Tag mehr Relevanz gewinnt. Er verändert bereits jetzt die Kultur, die Ökonomie und die Gesellschaft. In Argentinien waren es die Frauen, die als erstes gegen den neoliberalen Kurs und die Kürzungen der Regierung Mauricio Macris auf die Straße gingen. Der hiesige Feminismus gewinnt auch in den Schulen, Universitäten und im vermeintlichen Privaten an Relevanz. Heutzutage haben die Debatten und Kämpfe eine revolutionäre Perspektive aufs Geschlecht und dies ist den Genossinnen zu verdanken, die einen sehr wichtigen Weg eingeschlagen haben. Wir kämpfen mit der Erfahrung der Feministinnen im Rücken, die seit Jahrzehnten im feministischen Kampf engagiert sind, wir kämpfen dynamisch und mit der Stärke der Jugendlichen für eine gerechtere Gesellschaft mit weniger Ungleichheit.
Und welche Rolle spielt der antipatriarchale Mann darin?
Wir denken, dass ein antipatriarchaler Mann einer ist, der in einer ständigen Reflexion und Dekonstruktion seiner von der Gesellschaft konstruierten Männlichkeit steht. Dies realisiert er in einer kollektiven Form der Reflexion mit der Hilfe der Erfahrungen unserer Genoss*innen aus ihrer feministischen Perspektive. Es ist also ein politischer Prozess, den wir mit der Überzeugung einfordern, dass das Private politisch ist.