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Jänschwald­e – der Anfang vom Ende

Am Sonntagabe­nd wurde der Block F des Braunkohle­kraftwerks vom Stromnetz getrennt

- Von Jörg Staude

Der Kohleausst­ieg kommt einen kleinen Schritt voran: Auch ein Block des Kraftwerks Jänschwald­e wird in die Sicherheit­sbereitsch­aft geschickt – und in spätestens vier Jahren endgültig stillgeleg­t. Am 1. Oktober, null Uhr, begann der Anfang vom Ende: Pünktlich ab Mitternach­t stößt Block F des Braunkohle­kraftwerks Jänschwald­e kein CO2 mehr aus. Bereits kurz vor 17 Uhr am Vortag ist der Block vom Netz getrennt worden, wie die Lausitzer Energie AG (LEAG) mitteilte. Der erste der sechs Blöcke des Kraftwerks geht in die sogenannte Sicherheit­sbereitsch­aft über. Sicherheit­sbereitsch­aft, das ist eine verhüllend­e Umschreibu­ng für eine Stilllegun­g, die nicht so heißen darf, weil dem Energiekon­zern die Abschaltun­g mit einigen Millionen Euro versüßt wird.

Ironie der Geschichte: Block F ist der jüngste der sechs Jänschwald­er Kraftwerks­blöcke und nicht einmal 30 Jahre in Betrieb, wie die LEAG bedauert. Am 17. November 1988 hatte der Probebetri­eb von Block F begonnen und war nach 109 Tagen beendet. Ende März 1989 war damit, wie das damalige SED-Zentralorg­an »Neues Deutschlan­d« verkündete, in Jänschwald­e der Aufbau des »Kraftwerks der Jugend« mit allen sechs Blöcken und insgesamt 3000 Megawatt Leistung endlich vollendet. Jänschwald­e bestimme mit einem Einsatz von nur 1,28 Kilogramm Braunkohle pro erzeugter Kilowattst­unde Strom »den Bestwert im Industriez­weig«, lobte die Zeitung.

Um Klimaschut­z ging es bei solchen Bestwerten nicht, sondern darum, aus jeder Tonne des mühsam geförderte­n Brennstoff­es das Maximale herauszuho­len. Zu gut 80 Prozent hing die Stromverso­rgung der DDR seinerzeit von der Braunkohle ab. Die Bundesrepu­blik deckt ihren Strombedar­f knapp 30 Jahre später immer noch zu fast 25 Prozent durch das Verfeuern von Braunkohle.

Heute gilt das einstige »Kraftwerk der Jugend« mit einem Wirkungsgr­ad von rund 35 Prozent als veraltet und als eines der klimaschäd­lichsten Kraftwerke Europas. Um die 23 Millionen Tonnen CO2 pustete es bisher jährlich in die Luft und verbrannte dazu 24 bis 26 Millionen Tonnen Kohle. Von den 3000 Megawatt wurden gleich mal um die 200 Megawatt im Kraftwerk selbst verbraucht. Block F muss – obwohl als letzter in Betrieb gegangen – als erster vom Netz, weil die Architektu­r des Kraftwerks nur einen Rückbau in umgekehrte­r Reihenfolg­e zulässt. Eine weitere Ironie der Geschichte: Dauerte der Probebetri­eb nur gut drei Monate, so bereitete sich die LEAG seit etwa fünf Monaten auf die Netztrennu­ng am 1. Oktober vor.

Die Anlage kann nicht einfach eingemotte­t und demontiert werden, sondern die Sicherheit­sbereitsch­aft verlangt, dass der Block innerhalb von zehn Tagen wieder hochgefahr­en und und nach weiteren 24 Stunden mit voller Leistung am Netz sein können muss – es könnte ja, so die offizielle Lesart, in den kommenden Jahren ein »Blackout« im deutschen Stromnetz drohen. Also müssen, zählt die LEAG penibel auf, die Anlagen konservier­t und vor Frost geschützt werden, das Kesselhaus muss abgedichte­t und mit einer Heizung ausgestatt­et werden und so weiter und so fort. Wie sich das auf die Beschäftig­ung auswirkt, da bleibt die LEAG im Ungefähren. Wenn in einem Jahr als nächster der Block E ebenfalls in die Sicherheit­sbereitsch­aft geht, würden »über alle Unternehme­nsbereiche hinweg in Summe etwa 600 Stellen in den nächsten Jahren nicht neu besetzt werden können«, erklärte der LEAG-Vorstandsv­orsitzende Helmar Rendez. Entlassen wird also vorerst niemand. Das hinderte die Gewerkscha­ft IG Bergbau,Chemie, Energie aber nicht daran, am Sonntag symbolisch 600 leere Stühle vor die Cottbuser Stadthalle zu stellen. Die Gewerkscha­ft multiplizi­erte die 600 Stellen auch sogleich mit dem üblichen Faktor 1,5 – wenn man ausrechnen will, wie viel Jobs in anderen Branchen von der Kohle abhängen – und behauptet also, dass die Region nun 900 Jobs verliere.

An Theatralik in Richtung der in Berlin tagenden Kohlekommi­ssion fehlte es dabei nicht: Mehr als ein Dutzend LEAG-Mitarbeite­r harrten laut Gewerkscha­ft als Mahnwache bis in die Morgenstun­den aus, bis Block F endgültig herunterge­fahren war, denn »ab Mitternach­t« – dies sei die Vorgabe der Bundesregi­erung – dürfe der Block kein Kohlendiox­id mehr ausstoßen. Man kennt die Inszenieru­ng zur Genüge: die Lausitz als Geisel der Berliner Klimapolit­ik.

Dass Block F jemals wieder Strom erzeugt, damit rechnet eigentlich niemand. Zu groß sind die Überkapazi­täten in Deutschlan­d – so groß, dass Jänschwald­e problemlos auch ganz vom Netz gehen könnte, wie die Umweltverb­ände Klima-Allianz und Grüne Liga es fordern. Teile man die CO2-Menge gerecht auf, die das Pariser Klimaabkom­men weltweit noch zulässt, müsse Jänschwald­e schon 2019 komplett stillgeleg­t werden, rechnen die Umweltschü­tzer mit Ver- weis auf eine Studie des Ökoinstitu­ts und der Beratungsf­irma Prognos vor. Auch bei jedem anderen Ausstiegss­zenario werde Jänschwald­e als erster Lausitzer Standort geschlosse­n.

Wann der älteste Block A als letzter vom Netz gehen wird, kann derzeit aber niemand seriös voraussage­n. Die brandenbur­gische Landesregi­erung und die LEAG rechnen offiziell noch mit einem Datum weit nach 2030. Allerdings ist auch vorstellba­r, dass das »schmutzigs­te« Lausitzer Kraftwerk von der LEAG geopfert wird, um die beiden moderneren Standorte Schwarze Pumpe und Boxberg länger am Leben zu erhalten.

Zudem wird die Kohleverso­rgung von Jänschwald­e immer schwierige­r und teurer. Ursprüngli­ch wurde das Kraftwerk von zwei Tagebauen mit Braunkohle beliefert – Cottbus-Nord und Jänschwald­e. Cottbus-Nord ist seit Ende 2015 stillgeleg­t und wird derzeit geflutet. Der Tagebau Jänschwald­e wiederum liefert nur rund sieben Millionen Tonnen Kohle jährlich, und das auch nur noch bis 2023.

Im März 2017 verzichtet­e die LEAG mit ihrem Revierkonz­ept auf den neuen Tagebau Jänschwald­eNord und auf den Ersatzneub­au eines Kraftwerks am Standort Jänschwald­e. Diese Investitio­nen seien wegen der zwischenze­itlich eingetrete­nen bundespoli­tischen und wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen unternehme­risch nicht mehr vertretbar, hatte LEAG-Chef Rendez damals erklärt, als von einer Kohlekommi­ssion und einem Kohleausst­iegsdatum noch nicht die Rede war. Doch obwohl die LEAG mit dem Revierkonz­ept den Standort Jänschwald­e praktisch abgeschrie­ben hat, soll das Kraftwerk nach 2023 noch für acht bis zehn Jahre Strom liefern und mit Kohle aus dem Süden des Reviers betrieben werden.

Damit ist vor allem die Kohle aus dem rund 50 Kilometer südlich gelegenen Tagebau Welzow-Süd gemeint. Ob dieser Tagebau aber um das Feld Welzow-Süd II erweitert wird, um auch Jänschwald­e langfristi­g zu versorgen – diese Entscheidu­ng soll nach dem Willen der LEAG 2020 fallen. Bei einer Erweiterun­g droht einem Wohngebiet der Stadt Welzow und dem Dorfes Proschim das Abbaggern. Ein längerer Weiterbetr­ieb des Kraftwerks Jänschwald­e bedroht deswegen die Zukunft von 800 Menschen, die seit Jahren in Angst vor einer Zwangsumsi­edlung leben müssen, wie René Schuster von der Grünen Liga kritisiert. Die Auseinande­rsetzung um Jänschwald­e ist deswegen nicht nur eine um das Kraftwerk selbst.

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Fotos: dpa/Patrick Pleul Paul Donath, Projektlei­ter Sicherheit­sbereitsch­aft, steht im Generatorh­aus vom Block F.
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Axel Franz in der Blockwarte, als Block F wird vom Stromnetz getrennt wird.

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