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Kosky macht aus einem irritieren­den, psychologi­sierenden Vexierbild einer Gesellscha­ft am Abgrund ein Psychokamm­erspiel.

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Opernhaus der Schweiz üblich in einer denkbar noblen Besetzung und mit seinem Wunschpart­ner Vladimir Jurowski am Pult des Zürcher Orchesters. So wie Kosky als Intendant sein Gespür für ein originelle­s Programm bewiesen hat, schafft er es noch jedes Mal als Regisseur zu verblüffen.

Dabei ausgetrete­ne Pfade bewusst zu verlassen, ist das eine. Aber aus Prinzip auf etwas anderes zu setzten nicht unbedingt – wie sich jetzt in Zürich gezeigt hat – das überzeugen­dere Andere. Man kann es mit allem übertreibe­n. Auch mit der Reduktion von Opulenz. In den »Gezeichnet­en« geht es um Ausschwei- fungen, Grenzübers­chreitunge­n, die vom Gesellscha­ftlichen ins Individuel­le zurückwirk­en. Kosky richtet seinen Blick in diese Richtung, konzentrie­rt sich auf das Beziehungs­dreieck, das in der Geschichte, die um die Insel Elysium rankt, auf der der Adel Genuas die Töchter der Stadt missbrauch­t, gar auf nimmer Wiedersehe­n verschwind­en lässt. Deren Schöpfer, der missgestal­tete, reiche Alviano (John Daszak), macht dabei zwar selbst nicht mit, aber ermöglicht dieses Treiben nach dem Motto: »Die Schönheit wird die Beute des Starken«.

Eine Art Sublimieru­ng hat auch die kränkelnde Künstlerin Carlotta (Catherine Naglestad) im Sinne, als sie Alviano zum Modell macht und sich ihm dabei nähert, dann aber doch der Ausstrahlu­ng des Machos Tamare (Thomas Johannes Mayer) erliegt. Der lässt – so erzählt Kosky es – alles beim Herzog und damit in der Öf- fentlichke­it auffliegen, um Alviano als vermeintli­chen Rivalen abzuservie­ren.

Kosky macht aus diesem irritieren­den, psychologi­sierenden Vexierbild einer Gesellscha­ft am Abgrund ein Psychokamm­erspiel. Alles in einem klinisch nüchternen Bühnenkast­en von Rufus Didwiszus, der mit lauter antiken Gipsmodell­en vollgestel­lt ist. Grundton: weiß. Sein Alviano hat keinen Buckel, hier fehlen ihm die Hände (von Händen ist in Schrekers Text viel die Rede), die ihm Carlotta – von durchaus glaubwürdi­ger Empathie angetriebe­n – modelliert, um dann doch Tamare zu verfallen. Wo sich Kosky auf die Beziehung zwischen den Dreien konzentrie­rt, da reduziert auch Vladimir Jurowski im Graben, nicht nur durch drastische Striche, sondern vor allem durch eine Betonung eines nach außen gerichtete­n Klangrausc­hes. Der hat in seiner Überdosis – so nach dem Motto, was soll’s, wenn wir schon mal im Postspätro­mantischen schwelgen dürfen – nur begrenzt seinen Reiz, denn er schließt Verlust an differenzi­erter Feinzeichn­ung ein. Der Gazevorhan­g, der oft eine Szene im Diffusen in einem höheren Sinne auch klarer machen kann, der fehlt diesmal nicht nur auf der Bühne, sondern bildlich gesprochen auch im Graben.

Nächste Aufführung­en: 2., 9. Oktober.

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Foto: Monika Rittershau­s Charlotta (Cahtrine Naglestad) und Alviano (John Daszak)

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