Das Ende der unbegrenzten Anonymität
Briefkastenfirmen als Geschäftsmodell: Nicht nur in Panama wird massenweise Schwarzgeld gebunkert
Das mittelamerikanische Panama ist nur einer von zahlreichen Orten, an denen die Reichen dieser Welt ihr Vermögen vor den Steuerbehörden versteckten und verstecken. Am 4. April 2016 begann die »Süddeutsche Zeitung« mit der Veröffentlichung der sogenannten »Panama Papers«, einem Extrakt aus 11,5 Millionen Dokumenten, die einen vernichtenden Einblick in die globale Strategie der Steuervermeidung bieten. Die Unterlagen aus der panamaischen Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, kurz Mossfon, wurden dem Blatt weit über ein Jahr lang von einer anonymen Quelle zugeleitet. Sie zeigen, wie amtierende und ehemalige Staatspräsidenten, Regierungschefs, Demokraten und Diktatoren bis hin zum Clan des syrischen Kriegsherren Baschar al-Assad, dazu Adel und Geldadel, Konzernchefs und Mafiaclans, Drogenkartelle und Waffenhändler, Terroristen und Menschenhändler ihre Vermögen in Briefkastenfirmen mit Scheindirektoren verstecken, hinter denen die wahren Besitzer nicht auftauchen.
In den Dokumenten aus der Kanzlei fanden sich Daten zu rund 214 000 solcher Firmen, darunter 14 000 Großkunden und die Namen von mehr als 500 Banken aus aller Welt einschließlich 28 Geldhäusern aus Deutschland. Die Hälfte der deutschen Banken wurde von der Finanzaufsicht Bafin bis Ende 2016 nach ihren möglichen Geschäftsbeziehungen zu Mossack Fonseca befragt – elf dieser Geldinstitute schlossen nicht aus, solche Verbindungen unterhalten oder Kunden an die Kanzlei vermittelt zu haben. Insgesamt waren in der Bundesrepublik bis zum April 2017 nach Informationen der »Süddeutschen Zeitung« rund 500 Untersuchungen angelaufen, die Verbindungen mit der Kanzlei Mossfon betrafen.
In Panama lösten die Enthüllungen zwar einen Schock, aber zunächst noch mehr Verbitterung aus, weil sich die kleine Republik durch das Stigma »Panama Papers« als das Zentrum im weltweiten Offshore-Geschäft gebrandmarkt sah. Es gibt derzeit in der Tat etwa 30 Steueroasen weltweit, in denen 21 bis 32 Billionen Dollar gebunkert sind, wie das Tax Justice Network schätzt. Diese internationale Initiative für mehr Steuergerechtigkeit führte etwa zur Zeit, da die »Panama Papers« erschienen, die Schweiz, Hongkong, die USA, Singapur und Luxemburg auf den ersten fünf Plätzen seiner Rangliste der Steuerparadiese an, Panama folgt dort erst an neunter Stelle.
In den USA, die seit den 70er Jahren aggressiv Kapital mit dem Versprechen hoher Geheimhaltung anlocken, beherbergt alleine der Bundesstaat Delaware mit seiner günstigen Versteuerung über eine Million Briefkastenfirmen – erheblich mehr als der kleine Ostküstenstaat Einwohner hat. US-Bürger, die Steuersparmodelle suchen, können sich außerdem nach Nevada oder Süd-Dakota begeben.
London ist nach dem Urteil des britischen Experten für Steueroasen Nicholas Shaxson »überhaupt der größte Offshore-Player der Welt«. Er rechnet Großbritannien die Hälfte aller Offshore-Oasen in der Welt zu und resümiert: »Dieses Netzwerk an Offshore-Zentren bringt eine Menge Geschäfte in die City of London«. Auf den Britischen Jungferninseln hatte Mossack Fonseca so viele Briefkastenfirmen unterhalten wie in keiner anderen Steueroase. Nach dem Brexit, Großbritanniens Entscheidung für den EU-Austritt im Juni 2016, schließen ausländische Bankenrepräsentanten in Panama nicht aus, dass sich Englands Steuerschlupflöcher noch ausweiten könnten.
In Luxemburg trägt die Finanzindustrie schon länger ein Drittel zur gesamten Wirtschaftsleistung bei. Bereits seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts transferierten Zehntausende Deutsche ihr Geld in den Zwergstaat, nachdem der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel eine Zinsabschlagsteuer auf Kapitalerträge vorgeschlagen hatte. Zahlreiche Luxemburger Geldhäuser und die Luxemburg-Töchter großer deutscher Banken halfen deutschen Kunden bei der Steuerhinterziehung durch die Gründung von Briefkastenfirmen eben auch über Panamas Oasenanbieter.
Die EU-Zinsrichtlinien von anfangs 15 Prozent, später 35 Prozent anonym abzuführender Quellensteuer auf Zinseinnahmen von Bürgern anderer EU-Staaten wurden schlichtweg ignoriert und übergangen. JeanClaude Juncker, seit November 2014 EU-Kommissions-Präsident, zu jener Zeit Luxemburgs Regierungschef und Finanzminister in Personalunion, trug zu diesem System entscheidend bei. »Juncker war Regierungschef der Geldmogelei. Und das 35 Jahre lang,« konterte der deutsch-französische Politologe Alfred Grosser die Brüsseler Schweigespirale.
Vom 6. November 2017 an veröffentlichte die«Süddeutsche Zeitung« unter dem Titel »Paradise Papers« wiederum Enthüllungen aus insgesamt 13,4 Millionen Dateien. Die der Zeitung erneut zugespielten, geheimen Dokumente teilte das Blatt, wie schon die«Panama Papers« 2016, mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und Journalisten aus 70 Ländern. Zu den Unterlagen gehörten diesmal 19 Firmenregister der »weltweit verschwiegensten Steueroasen« (SZ vom 6. 11. 2017) von Antigua und Barbuda bis Vanuatu.
In diesen Registern und den Daten zweier unter anderem auf Briefkasten-Pflegedienste spezialisierte Firmen fanden sich die Namen von mehr als 120 Politikern aus nahezu 50 Ländern. Am Isthmus empfand man es zumindest mit Genugtuung, sich unter der Betreffzeile »Panama Papers« nicht mehr alleine auf der Anklagebank fühlen zu müssen. Dass die Offshore-Geschäfte längst globalisiert sind und von der Isle of Man über Malta bis zu den Marshallinseln blü- hen, ist indessen kein mildernder Umstand für Panama. Denn die Landbrücke über die Ozeane war schon früh mit Briefkästen ausgerüstet worden. (...)
Um Sanktionen auszuweichen, stellte Panama schließlich das öffentliche Firmenregister ins Internet, allerdings ohne die Namen der dahinterstehenden Personen. Bereits einige Jahre bevor der »Süddeutschen Zeitung« die riesige Datenmenge aus der Kanzlei Mossack Fonseca zugespielt wurde, hatte der britische Hacker Daniel O’Huiginn ein Programm entwickelt, das alle Informationen über die rund 600 000 in dem offiziellen Online-Register Panamas aufgeführten Firmen anfragte und herunterlud. Daraus ging unter anderem hervor, wann die jeweilige Firma gegründet wurde und wer sie führte.
Dieser Datensatz, den der Engländer über eine Suchmaske auf seinem Blog zur Verfügung stellte, musste nur noch mit dem von Panama offiziell ins Netz gestellten Firmenregister abgeglichen werden. So ließen sich im Land der bis dahin unbegrenzten Anonymität schon vor dem Dammbruch durch die »Panama Papers« Firmen von dubiosen Präsidentenfamilien und Waffenhändlern finden, aber auch von Unternehmen und Privatleuten mit bis dahin mehr oder weniger unbeschädigtem Ruf.
Zu den deutschen Kunden dieses für sie so schönen Panama gehörten, um nur ein paar zu nennen, die Familien Piëch und Porsche, die alleine sechs Firmen am Isthmus führten. Der Verleger Hubert Burda tauchte im Firmenregister als »Direktor« eines 1986 angemeldeten Fonds des GroßInvestors Gilbert de Bottom auf. Als Direktoren panamaischer Firmen registriert waren auch Klaus J. Jacobs, der inzwischen verstorbene Patriarch des Kaffee-Handelshauses Jacobs AG, und der ebenfalls verstorbene Christoph von Metzler, seinerzeit Leiter des gleichnamigen Bankhauses. Der hochangesehene Logistik-Unternehmer und HSV-Sponsor Klaus-Michael Kühne wartete mit einer bereits 1984 registrierten Firma in Panama auf.
Was all die Gründerväter oder ihre heutigen Nachfolger vereint, ist das schlechte Gedächtnis für die seinerzeitigen Zielsetzungen der Firmen. »Dass ein erheblicher Teil der reichsten deutschen Familien«, so kommentierte die«Süddeutsche Zeitung«, »sich zumindest virtuell in ein 9000 Kilometer entferntes Land Mittelamerikas begibt, um dort Geschäfte zu machen, an die sich keiner mehr so richtig erinnern will – das kann man komisch finden.«
Manche der mehreren Tausend Bundesbürger, die in den »PanamaPapers« ihre Spuren hinterlassen haben, werden die weitere Entwicklung weniger komisch finden, seit das Bundeskriminalamt Anfang Juli 2017 bekannt gab, dass es sich die 11,5 Millionen Dokumente ebenfalls beschafft habe. Dem Gedächtnis der Commerzbank immerhin konnten Kölner Staatsanwälte schon früher nachhelfen.
Die Bank hatte zunächst behauptet, sie habe schon seit 2007 intern »die bloße Weiterleitung von Kundenanfragen« nach Briefkastenfirmen aus Panama prinzipiell untersagt. Die Vermittlung von Kunden an Briefkastenfirmen der Mossack Fonseca Group seien »Altfälle, die zehn Jahre und länger« zurücklägen. Aus dem inzwischen einsehbaren Firmenregister ergaben jedoch Mossfon-Unterlagen, dass die Commerzbank zumindest bis 2010 über ihre Luxemburger Tochter Commerzbank International weiterhin vermögende Kunden mit Briefkastenfirmen in Panama betreut hatte. Im Februar 2015 suchten daraufhin Kölner Steuerfahnder und Staatsanwälte die Zentrale der Bank in Frankfurt zu einer Großrazzia auf.
Doch zurück zum Tatort Panama nach dem ersten Coup des britischen Nerds Daniel O’Huiginn: Um das eigene Wirken in ein besseres Licht zu setzen, ließ Ramón Fonseca, einer der beiden Chefs der Anwaltskanzlei, die »New York Times« wissen: »Am Ende dieses Sturms wird der Himmel blau sein und die Leute werden wissen, dass das einzige Verbrechen das des Hackers war.«
Stattdessen wurde der Himmel immer düsterer. Kein Hacker öffnete weitere Schleusen, sondern eine anonyme Quelle, die sich »John Doe« nannte, ließ seit 2015 noch weit mehr Daten aus der Kanzlei in Panama der »Süddeutschen Zeitung« zufließen. Das Münchner Blatt teilte die ungeheure Menge von 11,5 Millionen Dokumenten mit 400 Reportern aus 80 Ländern. Nach einem Jahr geheimer Recherchen stellte ihr »International Consortium of Investigative Journalists« seit Anfang April 2016 global weit Steuervermeider und Steuerbetrüger, Geldadel und Geldwäscher, Unternehmer und Unterweltler an den Pranger.
Eine internationale Initiative für mehr Steuergerechtigkeit führte etwa zur Zeit, da die »Panama Papers« erschienen, die Schweiz, Hongkong, die USA, Singapur und Luxemburg auf den ersten fünf Plätzen seiner Rangliste der Steuerparadiese an, Panama folgt dort erst an neunter Stelle.