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Die Angst nach der Flut

Indonesien braucht wegen der Zerstörung­en durch den Tsunami internatio­nale Hilfe

- Von Christoph Sator, Palu

Noch weiß niemand, wie groß die Tsunami-Katastroph­e in Indonesien wirklich ist. Jetzt beginnt die Zeit der Massengräb­er und der Leichensäc­ke. In manche Gebiete haben es die Helfer noch gar nicht geschafft. Zu normalen Zeiten lockt das PrinceJohn-Tauchresor­t Urlauber mit deutschem Management, mit Ferien »weit weg vom Massentour­ismus« und mit Wasser, das türkisfarb­ener kaum sein könnte. Jetzt sind sie hier froh, wenigstens mit dem Leben davon gekommen zu sein. Die 15 Bungalows liegen an der Westküste von Indonesien­s viertgrößt­er Insel Sulawesi, oben an der Spitze der Bucht von Palu. Das ist die Gegend, wo die Erde am Freitagabe­nd besonders schlimm gebebt hat und der Tsunami als erstes auf die Küste traf.

Die zwei Dutzend Touristen, die dort gerade Urlaub machen – größtentei­ls Bundesbürg­er – haben die Katastroph­e alle überlebt. »Mit einem Mal kam mit gewaltiger Wucht eine riesige Menge Wasser auf uns zu«, erinnert sich die Tauchlehre­rin Anna Kirstein am Telefon. »Aber wir hatten großes Glück. Keiner unserer Gäste ist verletzt.« Nur ein paar hundert Meter weiter weg am Strand und auch in Donggala, der nächsten Gemeinde, gab es Tote. Unter einigen Palmen liegen immer noch die Leichen.

Wie viel Glück die Tauch-Urlauber tatsächlic­h hatten, wird deutlich, wenn man die Bilder sieht, die es von anderen Orten entlang der Küste gibt. Die Szenen aus der 350 000-Einwohner-Stadt Palu – die Flutwelle am Strand, die zerstörte Moschee, die Trümmer des »RoaRoa«-Hotels – sind schon am Wochenende um die Welt gegangen. Jetzt sieht man Helfer, die mit den Händen graben. Bagger, die Massengräb­er ausheben. Leichensäc­ke in Gelb und Orange.

Immer noch hat niemand eine Ahnung, wie groß das Ausmaß dieser Katastroph­e überhaupt ist. Die Behörden beziffern die Zahl der Todesopfer am Montag auf mindestens 844. Das sind lediglich die Toten, von denen man schon jetzt weiß, wie sie heißen. Von vielen weiß man das noch nicht. Und das sind nur die Toten aus Palu. In manche Gebiete haben es die Helfer immer noch nicht geschafft, auch nach drei Tagen noch nicht.

Befürchtet wird, dass letztlich Tausende innerhalb von wenigen Minuten ihr Leben verloren haben. Die indonesisc­he Hilfsorgan­isation Aksi Cepat Tanggap – eine zuverlässi­ge Quelle – geht von mindestens 1200 Toten aus. Die meisten gehen davon aus, dass selbst diese Zahl noch zu gering geschätzt worden ist. Vermutlich wird es noch einige Tage dauern, bis man einigermaß­en Bescheid weiß.

Die Not der Überlebend­en ist groß. Viele beschweren sich darüber, dass sie von den Behörden allein gelassen werden. »Hier hilft uns niemand, nicht einmal mit einem Glas Wasser«, sagt Mahmud, ein älterer Mann in Palu. Er hat seine Frau verloren. Die Leiche musste er nun selber aus den Trümmern graben. Ein Nachbar, Amir Sidiq, erzählt frustriert: »Hier ist nicht einmal jemand, um Beisetzung­en zu organisier­en. In einem Tag oder zwei Tagen wird es nach Leichen riechen.«

Dass es an einigen der wichtigste­n Dinge fehlt, geben auch die Behörden zu. Der Leiter der staatliche­n Suchtrupps in Palu, Nugroho Budi Wiryanto, sagt: »Es gibt kaum schweres Gerät und praktisch keinen Treibstoff. Das macht für uns die Rettung von Opfern sehr schwer.« Weil der Strom ausgefalle­n ist, fliegt das indonesisc­he Militär Generatore­n ein. Wenigstens der Flughafen von Palu ist wieder geöffnet, trotz der Schäden auf der Landebahn. Raus kommt trotzdem kaum jemand, obwohl Tausende darauf warten und hoffen.

Angesichts all der Not hat Indonesien­s Präsident Joko Widodo um internatio­nale Hilfe gebeten – keine einfache Entscheidu­ng für den Staatschef eines 260-Millionen-Einwohner-Landes, der nächstes Jahr wiedergewä­hlt werden will. Das Ausmaß der Schäden ließ anscheinen­d keine andere Wahl. Indonesien hat mit Naturkatas­trophen zwar seine Erfahrunge­n, doch allein wäre das Land wohl überforder­t. Hilfsangeb­ote gibt es schon reichlich: Deutschlan­d stellte in einem ersten Schritt 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Zunächst einmal geht es darum, die schlimmste Not zu lindern. Langsam werden auch die Lebensmitt­el knapp. In Palu gab es schon die ersten Plünderung­en. »Wir haben seit drei Tagen nichts mehr gegessen«, schreit eine Frau in die Kameras. An den Tankstelle­n stehen die Menschen in langen Schlangen für Benzin an.

Und auch die Gäste des PrinceJohn-Resorts werden wohl noch eine Weile Geduld haben müssen, bevor sie nach Europa in ihre Heimatländ­er zurückkehr­en können. »Wir haben Angst, weil wir überhaupt nicht wissen, wie wir die Leute von hier wegbekomme­n«, erklärt die Tauchlehre­rin Kirstein, die aus der Nähe von Rostock kommt. »Wir haben keine Autos, kein Benzin. Und wir haben nur noch für ein paar Tage zu essen und zu trinken.«

Langsam werden auch die Lebensmitt­el knapp. In Palu gab es schon die ersten Plünderung­en.

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Foto: AP/dpa/Rifki Ein schwer bewaffnete­r Polizist steht im indonesisc­hen Palu vor einer Tankstelle Wache und soll Plünderung­en verhindern.

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