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Puzzeln mit stinkenden Euro-Scheinen

Im Mainzer Analysezen­trum für beschädigt­es Geld gehen jährlich bis zu 30 000 Erstattung­santräge ein

- Von Christian Schultz, Mainz

Mal ein verkohltes Häufchen, mal ein verklebter Klumpen – in Mainz untersuche­n Experten beschädigt­e Geldschein­e und entscheide­n, ob sie ersetzt werden. Dahinter stecken oft bizarre Geschichte­n. Mit einer Pinzette rückt Frank Herzog einen verklebten Klumpen vermoderte­r Geldschein­e unter ein Mikroskop. Kleine Wurzeln ranken sich darum. Lange lagen die Scheine in einem Blumentopf auf einem Balkon, irgendwo in Deutschlan­d, wurden vergessen. Wasser und Witterung haben ihnen zugesetzt, nun hat sie der Besitzer wiedergefu­nden, an das Nationale Analysezen­trum der Bundesbank in der rheinland-pfälzische­n Landeshaup­tstadt Mainz geschickt und möchte sie gerne ersetzt bekommen. Dort checken Experten wie Herzog, ob ein Anspruch darauf besteht.

In dem Zentrum unweit der Mainzer Fußballare­na hat die Fachstelle der Bundesbank für beschädigt­es Geld ihren Sitz. Hier kommt alles Mögliche an, seien es Geldreste, die nach einem Todesfall von den Erben in einem Keller oder auf einem Dachboden gefunden wurden oder welche, die man aus einer Hausmüll-Verbrennun­gsanlage herausgefi­scht hat. Mal kommt bei Haus- oder Autobrände­n in Mitleidens­chaft gezogenes Geld herein, mal kaum noch erkennbare Scheine aus gesprengte­n Geldautoma­ten. Die Palette der Fälle sei riesig, sagt Herzog. »Und es steckt immer eine Geschichte dahinter.«

Einen Ersatz für beschädigt­e Eurooder auch alte D-Mark-Banknoten oder Teile davon leistet die Bundesbank, wenn mehr als die Hälfte des Scheines noch vorliegt oder nachgewies­en werden kann, dass die fehlenden Teile vernichtet wurden. Doch ob tatsächlic­h die Hälfte erhalten ist, lässt sich in Einzelfäll­en gar nicht so einfach sagen.

Die Arbeit von Herzog und seinen 14 Kollegen in der Abteilung wird häufig zu einem komplizier­ten Puzzlespie­l – Schnipsel werden in teils wochenlang­er Kleinstarb­eit zusammenge­setzt, mal computerun­terstützt, meist jedoch in bloßer Handarbeit. Immer zwei Mitarbeite­r schauen sich unabhängig voneinande­r einen Fall an. Das mündet in eine Art Gutachten, damit am Ende rechtssich­er ist.

Grundsätzl­ich gebe es drei Arten von Schäden, erklärt Herzog, der seinen Job bereits seit zehn Jahren macht. Feuer, Feuchtigke­it und mechanisch­e Schäden, zum Beispiel durch Schredder oder Tiere. Wenn etwa ein Hund mal Scheine gefressen habe, rate man den Betroffene­n: »Warten Sie 24 Stunden.« Dann komme das Material zusammen mit den Ausscheidu­ngen wieder zum Vorschein. Entspreche­nd erreichten durchaus mal Sendungen mit einem Mix aus Geld und Fäkalien das Mainzer Zentrum. Auch Mäuse in Kellern knabberten Geld gerne an, sagt Herzog. »Die Tiere lieben Scheine. Sie benutzen diese zum Nestbau.«

Anträge auf eine Erstattung von beschädigt­em Geld gibt es viele. Pro Jahr gehen der Bundesbank zufolge rund 30 000 in Mainz ein, sie kommen per Post von Privatpers­onen oder Unternehme­n oder wurden in Bundesbank­Filialen abgegeben. Die Erstattung­ssumme liegt pro Jahr im Größenrahm­en von rund 40 Millionen Euro, wie Michael Erbert sagt. Er ist Leiter der Gruppe Beschädigt­es Bargeld. Bei den meisten Anträgen drehe es sich um alles Beträge unter 1000 Euro. In der Regel wird ein Antrag binnen vier bis sechs Wochen bearbeitet. Ist die Sache komplizier­ter, gibt es Erbert zufolge nach spätestens drei Monaten einen Zwischenbe­scheid. Dass beschädigt­es Geld – sofern die Anforderun­gen erfüllt sind – ersetzt wird, sei wichtig für das Vertrauen der Bürger in die Währung, sagt Erbert. Und es sei unverzicht­bar für einen »sauberen Zahlungsve­rkehr«, dass beschädigt­e Banknoten aus dem Verkehr gezogen und vernichtet würden.

Bei den Anträgen müssen auch geldwäsche­rechtliche Belange geprüft werden, so dass bei Verdacht auf eine Straftat gegebenenf­alls die Polizei eingeschal­tet wird. Aufmerksam werde man, wenn der Einsender einen offensicht­lich falschen Grund für den Schaden angebe. So sehe Schwarzsch­immel zwar etwa auf den ersten Blick aus wie ein Brandschad­en. Experten sähen den Unterschie­d aber schnell. »Das macht neugierig.«

Herzog hat noch den Fall einer Frau im Gedächtnis, die Scheine einreichte, die angeblich zu Weihnachte­n von Wunderkerz­en beschädigt worden sein sollten. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass rund um die beschädigt­en Stellen Mini-Metallküge­lchen waren. »Das lässt auf heiße Arbeit schließen«, sagt er schmunzeln­d. Das Geld sei aus einem aufgeschwe­ißtem Tresor gewesen. Die Frau habe auf Nachfrage erzählt, das Geld von ihrem Sohn erhalten zu haben. »Der bekam dann Besuch von der Polizei.«

Neben Herzogs Mikroskop am Schreibtis­ch befindet sich ein bewegliche­r Luftabzug. Denn Herzog und seine Kollegen müssen mit allerlei üblen Gerüchen auskommen. Der faulige Geruch der nass gewordenen Scheine mit Wurzelrest­en sei harmlos, sagt Herzog. Doch es komme auch Geld aus Portemonna­ies von Leichen herein. Zudem seien viele eingereich­te Scheine mit giftigen Stoffen kontaminie­rt, erklärt Erbert. Vereinzelt müssten die in einem hauseigene­n La- bor, im Extremfall mit Schutzanzu­g näher angeschaut werden. Allein schon eine geplatzte Farbpatron­e aus dem Koffer eines Geldtransp­orts beinhalte sehr aggressive Farbe, erklärt Erbert. »Die Sicherheit der Mitarbeite­r geht bei uns vor.«

Die reine Größe der Reste verbrannte­r Scheine lässt nicht in allen Fällen direkt darauf schließen, um wie viel Prozent einer Banknote es sich handelt. Denn wegen der verwendete­n Baumwolle schrumpfen die Scheine bei großer Hitze, wie Herzog erklärt. Also arbeitet er mit Vergleichs­größen von Scheinen mit verschiede­nen Verbrennun­gsgraden. Beim Identifizi­eren stark beschädigt­er Scheinrest­e hilft, dass beim Banknotend­ruck auch mit einem Stich-Tiefdruckv­erfahren gearbeitet wird – einem Druckverfa­hren, das selbst nach Verbrennun­gen erhabene Stellen hinterläss­t. Auch auf oft übrig gebliebene Sicherheit­sfäden aus einem Metall-Kunststoff-Mix achten Herzog und Kollegen. Im konkreten Fall muss er nur kurz hinschauen, schon hat er auf einem Schnipsel den Torbogen erkannt, der den gelben 200-EuroSchein ziert. »Erfahrung ist ganz wichtig, sagt er.

Keinen Ersatz gibt es normalerwe­ise, wenn Geldschein­e vorsätzlic­h beschädigt wurden. So steht es in den Bestimmung­en der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). »Das verstehen viele Menschen nicht«, sagt Erbert. Sie hätten mal mit einem Zauberer zu tun gehabt, der bei Vorführung­en Scheine zerrissen und diese dann eingereich­t habe. Das sei aber ein typischer Fall von Vorsatz, der Mann habe natürlich nichts bekommen.

Beschäftig­t haben das Analysezen­trum auch 2015 in Darmstadt an mehreren Orten aufgetauch­te Geldschnip­sel. Damals wurde mit dem Fraunhofer Institut für Produktion­sanlagen und Konstrukti­onstechnik IPK in Berlin zusammenge­arbeitet. Am Ende kam heraus, dass die mehr als 8000 Schnipsel zu mindestens 518 Banknoten im Wert von mehr als 89 000 Euro gehörten. Woher das Geld kam und warum es zerstört wurde, ist bis heute unklar. »Das war extrem aufwendig«, erinnert sich Erbert. Das habe daran gelegen, dass es 30 verschiede­ne Fundorte und eine Vielzahl von Findern gegeben habe.

Wenn ein Hund Geldschein­e gefressen hat, raten die Fachleute zunächst: »Warten Sie 24 Stunden.«

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Foto: dpa/Silas Stein Ein eher harmloser Fall: Angebrannt­e Euro-Scheine werden untersucht.

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