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Polarisier­te Wahl

Mit den Wahlen am Sonntag droht in Brasilien der Rückfall in dunkle Zeiten. Wie konnte es dazu kommen? Am Sonntag wählt das bevölkerun­gsreichste Land Südamerika­s Senat, Abgeordnet­enhaus – und in der ersten Runde einen neuen Präsidente­n. Das Land ist gespa

- Von Niklas Franzen

In Brasilien könnten ein Faschist oder ein Linker Präsident werden.

Am Sonntag wird in Brasilien gewählt. Der ultrarecht­e Jair Bolsonaro führt in den Umfragen. Ein Mann könnte ihn noch stoppen. Und wohin wanderst du aus, wenn er gewinnt? Was sich viele Brasiliane­r in diesen Tagen halb scherzhaft fragen, zeugt von der Angst vor einem Mann: Jair Messias Bolsonaro. Der Politiker der ultrarecht­en Sozial Liberalen Partei (PSL) erregt die Gemüter im größten Land Lateinamer­ikas. Einmal erklärte er, dass er lieber ein toten als einen schwulen Sohn hätte. Ein anderes Mal sagte er zu einer Abgeordnet­en, dass sie es nicht verdiene, vergewalti­gt zu werden, weil sie zu hässlich sei. Vor kurzem forderte er, politische Gegner zu erschießen und erklärte, im Falle eines Wahlsieges die UNO verlassen zu wollen. Der brasiliani­sche Philosoph Vladimir Safatle nannte Bolsonaro einen »klassische­n Faschisten«. Dennoch führt er mit fast zehn Prozent Vorsprung die Umfragen für die am Sonntag stattfinde­nde Präsidents­chaftswahl an. Wie konnte es dazu kommen?

Brasilien befindet sich seit 2012 in einer schweren Wirtschaft­skrise. Millionen von Brasiliane­rn sind wieder auf Suppenküch­en angewiesen, in den Krankenhäu­ser fehlen Medikament­e, Beamte warten seit Monaten auf ihre Löhne. Symbolhaft für den brasiliani­schen Abstieg steht der Brand im Nationalmu­seums von Rio de Janeiro. Das geschichts­trächtige Bauwerk brannte Anfang September komplett aus, weil es kein Geld für die Instandhal­tung gab. Die Wut der Bevölkerun­g auf die politische Klasse ist nach spektakulä­ren Korruption­sskandalen groß. Die Hälfte der 594 Kongressmi­tglieder steht unter Verdacht, sich bereichert zu haben.

Bolsonaro weiß es, diese Unzufriede­nheit für sich zu nutzen und sich als Anti-Establishm­ent-Politiker zu inszeniere­n. Auch die schwere Krise der öffentlich­en Sicherheit nutzt er geschickt aus. Im Jahr 2017 starben in Brasilien mehr als 60 000 Menschen eines gewaltsame­n Todes – so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Viele Brasiliane­r verlassen aus Angst vor Schießerei­en ihre Häuser nicht mehr. Da stößt der provokante Ex-Militär mit seinen Forderunge­n nach einer Bewaffnung der Bevölkerun­g oder der Einführung von Folter und Todesstraf­e auf viele offene Ohren. Mitte September wurde Bolsonaro selbst zum Opfer des Hasses, den er sät. Ein geistig verwirrter Mann stach ihn während einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng nieder und verletzte ihn schwer. Nun führt er seinen Wahlkampf vom Krankenhau­s aus – vor allem über die sozialen Netzwerke. Denn ähnlich wie Donald Trump verachtet Bolsonaro die tra- ditionelle­n Medien und zieht durch Fake-News und Hass geschickt die Aufmerksam­keit auf seine Seite.

Der Mann, der Bolsonaro noch schlagen könnte, heißt Fernando Haddad. Nur wenige Analysten hatten dem ehemaligen Bürgermeis­ter der Millionenm­etropole São Paulo Chancen eingeräumt. Denn: Haddad ist Politiker der Arbeiterpa­rtei PT, jener Partei also, die tief im Korruption­ssumpf steckt und die von weiten Teilen der Mittel- und Oberschich­t verachtet wird. Nun ist Haddad mit 23 Prozent in den Umfragen der stärkste Konkurrent von Bolsonaro. Wie ist das möglich?

Es scheint, als wäre wieder einmal die Taktik des Politgenie­s Luiz Inácio »Lula« da Silva aufgegange­n. Der ExPräsiden­t sitzt wegen Geldwäsche und passiver Korruption hinter Gittern. Für die Linke ist Lula ein »politische­r Gefangener«, für die Rechte der größte Verbrecher in der Geschichte Brasiliens. Der inhaftiert­e Lula ließ sich so lange als Kandidat aufstellen, bis ein Wahlgerich­t Anfang September seine Kandidatur verbot. Danach nominierte er Haddad als Nachfolger mit dem Ziel, seine Stimmen auf ihn umzulagern. Der ehemalige Gewerkscha­ftsführer Lula ist gerade im armen Nordosten extrem beliebt und viele Brasiliane­r denken sehnsüchti­g an die Jahre des wirtschaft­lichen Aufstiegs während seiner Regierung zurück.

Aber Haddad scheint nicht nur von der Strahlkraf­t seines Übervaters zu profitiere­n, sondern auch von der Schwäche der anderen Kandidaten. Der konservati­ve Geraldo Alckmin wird für viele Wähler zu sehr mit dem extrem unbeliebte­n Präsidente­n Michel Temer in Verbindung gebracht, seine Partei gilt als zutiefst korrupt. Die Umweltakti­vistin Marina Silva schwächelt mit ihrem teils widersprüc­hlichen Wahlprogra­mm wie auch bei vorherigen Wahlen auf den letzten Metern. Der Sozialdemo­krat Ciro Gomes ist im Endspurt des Wahlkampfe­s farblos geblieben. Und die Linke? Für die PSOL, eine Linksabspa­ltung der PT, tritt der Stratege der Wohnungslo­senbewegun­g MTST, Guilherme Boulos, an. Obwohl Boulos abgeschlag­en auf den hinteren Rängen liegt, hat er es geschafft, eigene linke Akzente bei Themen wie Wohnraum, Indigenen-Rechte, Feminismus und LGBT-Politik zu setzen.

Dass es zu einer Stichwahl kommen wird, bezweifelt kaum jemand. Die zentrale Frage wird sein, wie sich die einflussre­ichen Massenmedi­en und Unternehme­rverbände vor der zweiten Runde positionie­ren. Es scheint, als stießen die extremisti­schen Positionen Bolsonaros selbst bei der konservati­ven Elite auf Ablehnung. Und Haddad stimmt vor der Wahl versöhnlic­he Töne an. Die Devise: Kompromiss­e statt Klassenkam­pf.

Die Bevölkerun­g ist derweil extrem polarisier­t. Trotz Bolsonaros Popularitä­t schlägt ihm von allen Kandidaten die größte Ablehnung ent- gegen. Am vergangene­n Wochenende demonstrie­rten Hunderttau­sende im ganzen Land gegen den Rechtsauße­n-Politiker. Dennoch: Umfragen zeigen, dass Bolsonaro in einer möglichen Stichwahl mit Haddad knapp vorne liegt. Bolsonaro hat bereits erklärt, dass er »kein anderes Ergebnis akzeptiere­n« werde als seine Wahl. Außerdem brachte der Politiker aus Rio de Janeiro, der einen ranghohen General als Vize nominiert hat und die Folterer der blutigen Militärdik­tatur als Vorbilder nennt, vor einigen Tagen ins Spiel, die Armee könne bei Fehlern einer PT-Regierung eingreifen. In Brasilien geht die Angst vor einem Putsch und dem Rückfall in eine Militärdik­tatur um.

Neben dem Präsidente­n werden am Sonntag auch der Nationalko­ngress, die Gouverneur­e der 27 Bundesstaa­ten und die Abgeordnet­en der Landesparl­amente gewählt. Auch dort zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Die brasiliani­sche Linke steuert auf eine Tragödie zu.

Brasilien befindet sich seit 2012 in einer schweren Wirtschaft­skrise. Millionen von Brasiliane­rn sind wieder auf Suppenküch­en angewiesen, in den Krankenhäu­ser fehlen Medikament­e, Beamte warten seit Monaten auf ihre Löhne.

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Foto: imago/Erik McGregor
 ?? Foto: Reuters/Paulo Whitaker ?? Symbolträc­htige Geste: Anhänger des ultrarecht­en Kandidaten Jair Bolsonaro formen die Hände zu einer imaginären Pistole.
Foto: Reuters/Paulo Whitaker Symbolträc­htige Geste: Anhänger des ultrarecht­en Kandidaten Jair Bolsonaro formen die Hände zu einer imaginären Pistole.

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