Boden für die AfD bereitet
Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge erhebt schwere Vorwürfe gegen CDU
Berlin. Christoph Butterwegge hält ein Zusammengehen von CDU und AfD in Sachsen für möglich. Aus seinen Erfahrungen in einer Enquetekommission des sächsischen Landtages zum demografischen Wandel vor einigen Jahren berichtete der Kölner Politologe dem »nd«, dass »in der CDU-Fraktion ideologische Überscheidungen mit ultrarechten Kernideologien nicht zu übersehen« gewesen seien. »Zwar sprechen sächsische CDU-Politiker lieber von Patriotismus als von Nationalismus. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung teilen sie aber die Befürchtung der AfD, das deutsche Volk und die Sachsen könnten aussterben«, so Butterwegge. Die sächsische CDU habe solche Positionen hoffähig gemacht und den Boden für Pegida und die AfD bereitet.
In Sachsen finden im September nächsten Jahres Landtagswahlen statt. Die Konservativen im Freistaat diskutieren schon seit geraumer Zeit über eine Annäherung an die AfD. CDU-Landtagsfraktionschef Christian Hartmann hatte kürzlich die Frage nach einer möglichen Koalition mit der AfD offen gelassen.
Doch nicht alle Politiker der CDU sind begeistert davon. »Die AfD ist keine konservative, demokratische Partei«, sagte nun der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Die sind im Tross mit den Nazis auf der Straße.« Wer »aus machtpolitischen Aspekten« seine Grundsätze verlasse, begehe »politischen Selbstmord«, warnte Haseloff.
Ob Koalitionen von CDU und AfD möglich sind, dürfte auch vom Spitzenpersonal abhängen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist ein Feindbild der AfD und ihrer Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland. Mit ihr ist Schwarz-Blau im Bund undenkbar. Anders dürfte es beim Parteinachwuchs aussehen. Die Junge Union hat zu ihrem »Deutschlandtag« am Wochenende in Kiel auch US-Botschafter Richard Grenell eingeladen, der als Autor für das rechtsradikale Breitbart News Network tätig war.
Sie haben mit zwei Kollegen ein neues Buch zur AfD veröffentlicht. Zeitgleich werden Umfragen publik, laut denen die AfD die stärkste Partei im Osten ist. Wird sie dort zur Volkspartei?
Sie ist eher eine völkisch-nationalistische Partei. Volkspartei würde ich nur eine Partei nennen, die alle Bevölkerungsschichten repräsentiert und die Interessen des Volkes, also auch und besonders seiner benachteiligten Schichten, vertritt. Das tut die AfD gerade nicht. Sie ist keineswegs die »Partei der kleinen Leute«, wie ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland sie nennt. Eher ist sie eine Partei des großen Geldes, was ihre Sponsoren betrifft, oder eine Partei der Privilegierten, wenn man ihre Programmatik und ihre Parlamentstätigkeit betrachtet. Da ist dann von einem überbordenden Sozialstaat die Rede, der im Sinne des neoliberalen Mantras »verschlankt« werden soll. Armut wird nicht als strukturelles Problem, sondern bloß als ein Importprodukt gesehen, das Flüchtlinge sowie Migranten aus weniger reichen EU-Ländern einschleppen. Die auch bei Einheimischen wachsende Not wird weder wahrnoch ernstgenommen. Reichtumsförderung ist aber keine Armutsbekämpfung. Da will die AfD den Solidaritätszuschlag möglichst sofort abschaffen. Davon würden in erster Linie Spitzenverdiener, große Unternehmen und Menschen mit hohen Kapitaleinkünften profitieren. Denn die Geringverdiener zahlen den »Soli« gar nicht und Normalverdiener nur in geringer Höhe.
Trotzdem wird die AfD auch von kleinen Leuten – Erwerbslosen und Arbeitern – gewählt. Wie ist das zu erklären?
Ob die Partei bei Menschen aus diesen Schichten große Resonanz findet, ist umstritten. Hauptsächlich dürften Menschen aus der Mittelschicht die AfD wählen. Wie alle rechtspopulistischen Parteien propagiert sie nämlich, dass die korrupten Eliten und die faule Unterschicht der fleißigen Mittelschicht auf der Tasche liegen. Angehörige der Mittelschicht, die Angst vor dem sozialen Abstieg und dem Verlust von Privilegien haben, geben der AfD eher ihre Stimme als Arme, Abgehängte und Langzeitarbeitslose. Aber auch unter diesen befinden sich leider viele AfDSympathisanten, vor allem in Ostdeutschland. Schließlich gibt die Partei vor, das Sprachrohr der Vereinigungsverlierer und der Zu-kurz-Gekommenen zu sein.
Um noch einmal auf die erste Frage zurückzukommen: Wo liegen die Gründe für die Stärke der AfD im Osten?
Dort sind nach der Vereinigung, die teilweise einer feindlichen Übernahme glich, große soziale Probleme, biografische Umbrüche und Verunsicherungen aufgetreten. Es gibt in Ostdeutschland anhaltende Benachteiligungen, tiefsitzende Demütigungen und Verwundungen. Betroffene fühlen sich abgehängt und nicht ernst genommen. Sie glauben größtenteils zu Recht, von den westdeutschen Eliten dominiert zu werden, die nach 1989 wie Kolonisatoren eingefallen sind. Darum nützt es der AfD, wenn sie einen »solidarischen Patriotismus« auf ihre Fahnen schreibt. Der völkisch-nationalistische Flügel um Björn Höcke und André Poggenburg ist im Osten stärker als im Westen. Diese innerparteiliche Strömung will Protest gegen die Eliten organisieren, die aus dem Westen kommen, und spricht damit ostdeutsche Opfergefühle an.
In der AfD gibt es ständig Abspaltungen und Austritte. Bei Wahlen ist sie trotzdem erfolgreich. Muss man sich Sorgen machen, dass sie noch erfolgreicher wird, wenn die Flügelkämpfe vielleicht eines Tages überwunden werden?
Einerseits ist die AfD auf dem besten Weg, sich auch parlamentarisch fest zu etablieren. Nach den Wahlen in Bayern und Hessen wird sie in allen Landesparlamenten vertreten sein. Andererseits zerlegen sich AfD-Fraktionen selbst oder brechen sogar auseinander wie die im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Woanders gibt es ständige Personalquerelen oder gravierende ideologische Differenzen. Falls die Existenz der AfD in Gefahr gerät, dann vermutlich weniger von außen als von innen. Im nächsten Jahr soll sich ein Bundesparteitag mit der Sozial- und Rentenpolitik beschäftigen. Das ist bisher ein blinder Fleck der AfD, die schon seit über fünf Jahren existiert und noch immer kein Rentenkonzept hat. Vielleicht steht die Partei vor ihrer größten Zerreißprobe. Denn das Konzept von Höcke und seines Thüringer Landesverbandes würde die Gesetzliche Rentenversicherung stärken, das von dem Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen und der Fraktionschefin Alice Weidel favorisierte Modell setzt dagegen in wirtschaftsliberaler Manier auf die private, finanzmarktabhängige Altersvorsorge. Beide wollen Ausländer bei der Alterssicherung benachteiligen, was verfassungswidrig ist, und kinderreiche Familien besserstellen. So soll mit der Rentenpolitik auch Bevölkerungspolitik gemacht werden.
Können Sie prognostizieren, wer sich bei einer möglichen Abstimmung zu diesem Thema durchsetzen würde: die knallhart Neoliberalen oder die Vertreter eines »solidarischen Patriotismus«? Einerseits stehen 2019 im Osten drei für die AfD wichtige Landtagswahlen an. Das festigt die Position der dortigen Landesverbände. Die AfD hat bei Wahlen im Osten größere Erfolge als in Westdeutschland, dort aber mehr Mitglieder, was die Mehrheitsverhältnisse auf Parteitagen beeinflusst. Wie eine mögliche Kampfabstimmung zur Rentenfrage ausgeht, lässt sich gegenwärtig schwer voraussehen.
Die Erfolge der AfD im Osten könnten eines Tages zu Regierungsbeteiligungen führen. In Sachsen gibt es schwarz-blaue Annäherungen. Wie schätzen Sie diese ein?
In Sachsen halte ich ein Zusammengehen von CDU und AfD durchaus für möglich. Gut drei Jahre lang war ich Mitglied in einer Enquetekommission des sächsischen Landtages zum demografischen Wandel. Dort war noch nicht die AfD, aber dafür die NPD vertreten. In der CDU-Fraktion waren ideologische Überscheidungen mit ultrarechten Kernideologien nicht zu übersehen. Zwar sprechen sächsische CDU-Politiker lieber von Patriotismus als von Nationalismus. Im Hinblick auf die demografische Entwicklung teilen sie aber die Befürchtung der AfD, das deutsche Volk und die Sachsen könnten aussterben. Die sächsische CDU hat solche Positionen hoffähig gemacht und somit den Boden für Pegida und die AfD bereitet.
Dagegen wird in Brandenburg darüber nachgedacht, ob CDU und Linkspartei zusammengehen könnten, um eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Wäre das sinnvoll oder würde eine solche Konstellation die Rechtspopulisten weiter stärken?
Man müsste im Einzelfall die Vorund Nachteile eines solchen Bündnisses abwägen. Es würde die AfD stärken, wenn die demokratischen Parteien miteinander Bündnisse eingehen und ihre Differenzen unter den Tisch fallen würden. Denn die AfD könnte sich dann womöglich als »die«
Alternative zum Regierungsblock profilieren.
Demnächst wird sich die Vereinigung Juden in der AfD gründen. Sie haben nachgewiesen, dass sich die Partei proisraelisch gibt, aber zugleich antisemitische Tendenzen aufweist. Wie ist das zu erklären? Das ist auch bei anderen Rechtspopulisten in Europa wie der Front National in Frankreich und der Freiheitspartei von Geert Wilders in den Niederlanden zu beobachten. Die AfD versucht, den Antisemitismus bei einzelnen Muslimen auszunutzen, um generell antimuslimische Propaganda zu verbreiten. Mit diesem Modell einer Auslagerung des Antisemitismus ködert die AfD auch Jüdinnen und Juden. Es handelt sich um einen geschickten Schachzug, wenn Muslime in diesem Zusammenhang als gemeinsamer Feind dargestellt und die antisemitischen Traditionslinien des deutschen Rechtsextremismus ausgeblendet werden. Antisemitische Vorfälle wie die Äußerungen von Wolfgang Gedeon werden nur sehr halbherzig geahndet. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete wurde zwar aus seiner AfD-Fraktion, aber nicht aus der Partei ausgeschlossen.
Wie ist der richtige mediale Umgang mit der AfD? Ausgrenzen oder mit ihren Vertretern debattieren? Das ist eine schwierige Frage, der sich viele Journalistinnen und Journalisten stellen müssen. Wenn man mit Vertretern der AfD spricht, dann bitte nicht über ihr absolutes Lieblingsthema. Meist werden Politiker dieser Partei in TV-Sendungen eingeladen, wenn es um Flüchtlinge, Asylpolitik und Integrationsdefizite geht. Das ist das Kernthema der AfD, das sie auf alle anderen Themengebiete herunterbricht. So wird ihren Repräsentanten immer wieder die Möglichkeit eingeräumt, rassistische Ressentiments in der Bevölkerung zu bedienen.
Zu welchen Themengebieten sollten Politiker der AfD stattdessen eingeladen werden?
Am besten wäre es, wenn man mit ihnen über die Sozial-, Arbeitsmarkt-, Mieten- und Rentenpolitik reden würde. Sehr gespannt wäre ich, was sie zur Erwerbslosigkeit, zur Wohnungsnot und zur Altersarmut zu sagen hätten. Für die Fernsehzuschauer würde deutlich, dass die AfD, wenn es um ihre ureigenen Probleme geht, weder sinnvolle Konzepte hat noch die Interessen der sozial Benachteiligten über die Profitinteressen der Investoren stellt.
Und was muss die Politik tun, um den rechten Trend in der Bevölkerung zu bekämpfen?
Für mich ist es wichtig, an den Ursachen des Problems anzusetzen. Der Rechtspopulismus hat primär mit der Spaltung in Arm und Reich durch neoliberale Reformen zu tun, die für alternativlos erklärt werden und entscheidend zur politischen Spaltung der Gesellschaft beitragen. Würde man versuchen, die soziale Zerklüftung durch einen Kurswechsel in der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik zu überwinden, wären die Rahmenbedingungen für den Rechtspopulismus weniger günstig. Wegen der unsozialen Regierungspolitik braucht die AfD nur die Unzufriedenheit breiter Schichten der Bevölkerung aufzugreifen.
Durch eine andere Sozialpolitik würden aber wohl kaum die rassistischen Ressentiments in Teilen der Bevölkerung marginalisiert werden?
So weit würde ich auch nicht gehen. Um den Rechtspopulismus zurückzudrängen, muss man dem Rassismus, dem Nationalismus und dem Sozialdarwinismus als seinen Kernideologien konsequent entgegentreten, über die unmenschlichen Folgen der Abschottungspolitik aufklären
und die neoliberale Standortlogik zu widerlegen suchen. Überzeugungsarbeit muss dahin gehen, dass alle Menschen gleich sind, also gleichwertig und gleichberechtigt. Deutlich sollte werden, dass der von AfD-Politikern beschworene Gegensatz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen von den eigentlichen Interessengegensätzen ablenkt, weil der Obenunten-Gegensatz hinter einem Innen-außen-Scheingegensatz verschwindet.
In der Linkspartei und der von Sahra Wagenknecht gegründeten Bewegung »Aufstehen« wird oft darüber diskutiert, wie man Wähler der AfD zurückgewinnen kann. Werden dort die richtigen Ansätze verfolgt?
Aus meiner Sicht ist es falsch, so zu tun, als würden die Flüchtlinge und die deutsche Unterschicht zueinander in einem Interessengegensatz stehen. Das scheint zwar so, wenn man die Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt oberflächlich betrachtet. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es lange vor der »Flüchtlingskrise« zu wenig Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen gab. Die genannten Probleme sind lediglich klarer hervorgetreten, jedoch nicht durch Flüchtlinge entstanden. Folgt man einer marxistischen Analyse, besteht der Interessengegensatz zwischen dem Finanzkapital und den Lohnabhängigen, unabhängig von deren Herkunft. Nur wenn »Aufstehen« die soziale Frage weiterhin als zentrales Problem der Gesellschaft behandelt, vermeidet die Sammlungsbewegung eine falsche Frontstellung. Denn nicht die Migration ist die Mutter aller politischen Probleme, wie Horst Seehofer behauptet, sondern die Armut ist die Mutter aller Migrationsbewegungen. Die wachsende soziale Ungleichheit führt zu Finanzkrisen, Kriegen und Bürgerkriegen, die wiederum Flüchtlingsströme erzeugen.
»In der Landtagsfraktion der sächsischen CDU waren bereits vor einigen Jahren Überscheidungen mit ultrarechten Kernideologien nicht zu übersehen. Politiker der CDU im Freistaat sprechen allerdings lieber von Patriotismus als von Nationalismus.«