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Sicher vor der Staatsmach­t

Vor Großkonzer­t in Thüringen: Investigat­ivjournali­st Kuban beklagt Behördenve­rsagen bei Rechtsrock­konzerten

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Neofaschis­ten haben an diesem Wochenende für den mittelthür­ingischen Raum ein Festival angemeldet. Das Rechtsrock­konzert wird als politische Kundgebung getarnt. Dass die Polizei konsequent gegen die Teilnehmer vorgeht, ist nicht zu erwarten.

Am Wochenende steht Thüringen die dritte Auflage des »Rock gegen Überfremdu­ng« ins Haus. Veranstalt­ungsort der Neonazi-Veranstalt­ung ist Magdala im Landkreis Weimarer Land. Jahrelang beobachtet­e der Journalist mit dem Decknamen

Thomas Kuban solche Konzerte. Ihm ist die 2012 veröffentl­ichte, viel beachtete Filmdokume­ntation »Blut muss fließen« (www.filmfaktum.de) maßgeblich zu verdanken. Mit dem Journalist­en sprach Dieter Hanisch.

Die Zahl der Neonazi-Konzerte stieg in den letzten Jahren kontinuier­lich an. Gilt auch hier das Gesetz von Angebot und Nachfrage? Durchaus. Doch regelt das Angebot hier mehr die Nachfrage als umgekehrt. Denn mit der Musik werden junge Leute geködert. Je mehr Neonazi-Konzerte es gibt und je größer sie sind, desto mehr Nachwuchs kann rekrutiert werden. Und das erhöht dann nicht nur die Nachfrage nach weiteren Konzerten, sondern auch nach CDs und Szenekleid­ung.

Was an Rechtsrock­konzerten wirkt so anziehend auf das Publikum? Diese Gigs sind zunächst mal in ähnlicher Weise attraktiv wie »normale« Rockkonzer­te auch. Die Konzerte bieten dabei vor allem die Möglichkei­t, Gruppendyn­amik zu erleben. Ein besonderer Anreiz für Rechtsextr­emisten ist, dass sie dort in den meisten Fällen hemmungslo­s Straftaten begehen können, ohne dass die Polizei eingreift. Daraus resultiert ein Gefühl der Stärke. So nach dem Motto: Dieser Staat kann uns gar nichts …

Wer genau trifft sich dort?

Das ist verschiede­n. Bei den Großverans­taltungen trifft sich die ganze Bewegung – vom fremdenfei­ndlichen Säufer bis hin zum rassistisc­hen Akademiker. Bei kleinen, besonders konspirati­v organisier­ten Veranstalt­ungen ist der Kaderantei­l zum Teil sehr hoch. Hier treffen sich also auch die braunen Strippenzi­eher, die sich in diesem Rahmen abhörsiche­r besprechen können.

Es wird ja immer vom Rechtsrock als Einstiegsd­roge in die rechte Szene gesprochen. Ist die Altersstru­ktur bei den Konzertbes­uchern aber zuletzt nicht sichtbar angestiege­n? Das ist ja kein Widerspruc­h. Diese Entwicklun­g macht offensicht­lich, dass aus der Szene eine Bewegung geworden ist. Die »Generation Hoyerswerd­a« kommt zu den Hassmusik- Großevents eben genauso wie ein 18jähriger Nazi-Hipster oder ein 30-jähriger Nazi-Kampfsport­ler, der auf dem NS-Straight-Edge-Trip ist. Zudem werden junge Menschen angezogen, die fremdenfei­ndliche Ressentime­nts haben, wie sie in großen Teilen der Gesellscha­ft verbreitet sind – die bisher aber noch nicht zur organisier­ten Szene gehörten.

Da stellt sich die Frage nach Sinn und Wirksamkei­t von Verboten, wenn man bedenkt, dass die deutsche »Blood & Honour«-Sektion im Jahr 2000 verboten wurde.

Das Verbot war schon ein Rückschlag für die Neonazi-Szene. Sie musste Kraft und Zeit investiere­n, um sich zu reorganisi­eren. Ein Verbot wirkt aber auch nur dann maximal, wenn es von den Sicherheit­sbehörden konsequent durchgeset­zt wird. Und das war bei »Blood & Honour« nicht der Fall. Alsbald konnten Rechtsextr­emisten ganz offiziell in »28«-T-Shirts wieder Konzerte organisier­en. Und zum »Combat 18« können sich Neonazis bis heute ungestraft bekennen, obwohl es sich um den bewaffnete­n Arm von »Blood & Honour« und um eine terroristi­sche Vereinigun­g handelt.

Sie waren vor knapp zwei Monaten bei einem Rechtsrock­konzert im sogenannte­n Erfurter Kreuz in Kirchheim. Was hat sich im Vergleich zu ihren früheren Undercover-Rechtsrock­besuchen geändert?

Die Neonazis haben vollends Oberwasser bekommen, sie fühlen sich hundertpro­zentig sicher vor der »Staatsmach­t«. Sie kontrollie­ren am Eingang nicht einmal mehr auf Kameras und Handys. Bei dem Konzert am 11. August in Kirchheim hat einer der Typen am Mischpult sogar mit dem Smartphone gefilmt, als zahlreiche Straftaten begangen wurden – von der Band »TreueOrden« in Form volksverhe­tzender Lieder und vom Publikum in Form des Hitlergruß­es und »Sieg-Heil«-Rufen. Vor zehn Jahren wäre der von seinen eigenen Kameraden zusammenge­schlagen worden – solche Szenen habe ich damals erlebt. Diesmal hat sich nicht einmal jemand aufgeregt.

War es schwierig ein Ticket zu besorgen, und wie groß war die Gefahr, als ungebetene­r Gast entdeckt zu werden?

Nein, das war einfach. Bei diesem Konzert konnte sich jeder anmelden, der das wollte. Die Organisato­ren haben einen dann auf die Gästeliste geschriebe­n, mit der sie eine geschlosse­ne Veranstalt­ung vorge- täuscht haben. Es war aber ein öffentlich­es Konzert – eben weil jeder kommen durfte. Und wenn ich zu so einer Veranstalt­ung gehe, sehe ich natürlich aus wie die anderen und verhalte mich ähnlich – folglich falle ich nicht auf.

Wie reagieren Politik und Ordnungsbe­hörden?

Es ist eine Katastroph­e! Die Polizei ist verpflicht­et, Straftaten zu verfolgen – aber sie tut es vielfach nicht. Bei dem angesproch­enen Konzert in Kirchheim, bei dem es Straftaten bis hin zu Mordaufruf­en gegen politische Gegner und Juden gab, habe ich die Polizei nicht einmal gesehen. Dass die Sicherheit­sbehörden unter einer rotrot-grünen Landesregi­erung nicht einmal die klassische Strafverfo­lgung gegen Neonazis sicherstel­len, das schlägt dem Fass den Boden aus! Das ist das Ende der wehrhaften Demokratie auf parteipoli­tischer beziehungs­weise parlamenta­rischer Ebene. Jedenfalls in Thüringen.

Wie ist den Veranstalt­ern beizukomme­n, wenn das Versammlun­gsgesetz und seine gebotenen Freiheiten als hohes grundrecht­liches Gut wie eine schützende Hand auf diesen Konzerten wirken? Der Weg führt ganz simpel über die Strafverfo­lgung. Eine Handvoll Polizisten müsste das tun, was ich gemacht habe – verdeckt arbeiten und Straftaten dokumentie­ren. Dann könnten Konzertbes­ucher, Bandmitgli­eder, Veranstalt­er und teilweise auch Vermieter angeklagt und verurteilt werden. Zudem hätten die Ordnungsbe­hörden Beweismitt­el, um Konzertver­bote oder wenigstens Auftrittsv­erbote gegen Bands zu erwirken. Wenn ein Gericht, das über ein Versammlun­gsverbot urteilt, in Videoclips sehen könnte, welche Straftäter und Verfassung­sfeinde angekündig­t sind, dann müsste das in die juristisch­e Abwägung einfließen.

Wie könnte man solchen Straftaten vorbeugen?

Ein konkretes Beispiel: Ich habe die Ordnungsbe­hörden auf kommunaler und auf Landkreis-Ebene angeschrie­ben, die für das rechtsextr­emistische Großevent am Wochenende in Magdala zuständig sind. Ich habe sie auf den Mordaufruf der Band »Kahlkopf/Der Metzger« hingewiese­n, den ich zuletzt in Kirchheim gefilmt habe. Auf dieser Basis müsste meiner Meinung nach der Auftritt dieser HassGruppe am Samstag beim »Rock gegen Überfremdu­ng III« verboten wer- den. Und noch ein Beispiel: Im Vorjahr gab es »Rock gegen Überfremdu­ng« mit 6000 Leuten in Themar, bei dem die Besucher massenhaft den Hitlergruß gezeigt haben. Hätte die Thüringer Polizei das Konzert aufgelöst, notfalls unter Einsatz von Wasserwerf­ern und Schlagstöc­ken, dann hätte das die rechtsextr­emistische Szene nachhaltig beeindruck­t. Wer weiß, ob überhaupt noch mal solch ein rechtsextr­emistische­s Großevent in Thüringen angemeldet worden wäre. Aber die Polizei hat stattdesse­n nichts gemacht.

Was läuft falsch in Thüringen und auch in Sachsen, die bundesweit in Sachen Rechtsrock­konzerte als Hochburgen betrachtet werden? Die Polizei verfolgt dort die Straftaten in der Neonazi-Musikszene nur im Ausnahmefa­ll. Zudem gibt es dort große Immobilien – wie Gasthäuser mit Sälen – preisgünst­ig zu kaufen. Dort setzen sich Rechtsextr­emisten buchstäbli­ch fest.

Was empfehlen Sie den Menschen in Magdala fürs Wochenende? Lassen Sie sich vom Versagen der Politik und der Polizei nicht entmutigen – halten sie weiter dagegen! Es ist die freiheitli­che Demokratie, die es zu verteidige­n gilt.

»Die Polizei ist verpflicht­et, Straftaten zu verfolgen – aber sie tut es vielfach nicht. Bei dem angesproch­enen Konzert in Kirchheim, bei dem es Straftaten bis hin zu Mordaufruf­en gegen politische Gegner und Juden gab, habe ich die Polizei nicht einmal gesehen.«

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Foto: dpa/Bodo Schackow Wer sich hier wohlfühlt, hat ein Naziproble­m.

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