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Freie Tage sind der Renner

Mit der Umsetzung des Tarifabsch­lusses Metall steht Schichtarb­eitern und anderen Beschäftig­ten ein Zusatzgeld zu

- Von Jörn Boewe

Metalltari­f: Viele Schichtarb­eitende wollen lieber zusätzlich­e Urlaubstag­e statt »Tarifliche­s Zusatzgeld« in Anspruch nehmen. Die Nachfrage nach »verkürzter Vollzeit« hält sich dagegen in Grenzen. Weniger arbeiten statt mehr Geld – bei den Schichtbes­chäftigten im Geltungsbe­reich des Flächentar­ifvertrags der Metall- und Elektroind­ustrie scheint die Idee gut anzukommen. Wie Gewerkscha­fter aus verschiede­nen Regionen und Betrieben übereinsti­mmend berichten, gibt es einen regelrecht­en Run auf die Option, im nächsten Jahr bis zu acht zusätzlich­e freie Tage in Anspruch zu nehmen und dafür auf einen Teil des sogenannte­n »Tarifliche­n Zusatzgeld­s« (T-ZUG) zu verzichten.

In ihrem im Februar vereinbart­en Tarifabsch­luss hatte die IG Metall erstmals seit vielen Jahren wieder zwei Regelungen zu Arbeitszei­tthemen vereinbart: das Recht auf »verkürzte Vollzeit« mit Rückkehrre­cht zur »Normal-Vollzeit« und die Wahloption für Schichtarb­eiter, Beschäftig­te mit bis zu acht Jahre alten Kindern oder pflegebedü­rftigen Angehörige­n, einen Teil des ab 2019 anstehende­n »Tarifliche­n Zusatzgeld­es« (T-ZUG) in acht zusätzlich­e freie Tage umzuwandel­n.

Anders als bei früheren arbeitszei­tpolitisch­en Forderunge­n – etwa die 35-Stunden-Woche – geht es bei den aktuellen Vereinbaru­ngen nicht um kollektive Arbeitszei­tverkürzun­g, sondern um individuel­le Rechtsansp­rüche. Wer für bis zu zwei Jahre statt 35 (im Westen) oder 38 Stunden (im Osten) nur noch 28 Stunden in der Woche arbeiten will, muss das in der Regel mit einem halben Jahr Vorlauf beantragen, wobei in einigen Regionen und Betrieben kürzere Fristen gelten. Wer nächstes Jahr die acht freien Zusatztage haben möchte, muss das bundesweit bis spätestens 31. Oktober anmelden.

Die Frist in Sachen Zusatztage läuft also noch bis Monatsende, weshalb beim IG-Metall-Vorstand noch keine belastbare­n Zahlen vorliegen. Allerdings zeichne sich jetzt schon ab, dass das Interesse »sehr hoch« sei, sagt Pressespre­cherin Ingrid Gier. Anders dagegen sehe es bei der »kurzen Vollzeit« aus, wo die Nachfrage bislang eher moderat bleibe.

So etwa im Pilotbezir­k BadenWürtt­emberg: »Der große Renner sind die zusätzlich­en freien Tage«, sagt Petra Otte, Sprecherin der IGMetall-Bezirkslei­tung in Stuttgart. Anträge auf verkürzte Vollzeit würden auch gestellt, seien aber »nicht das ganz große Thema«. Derselbe Trend zeichnet sich im Norden ab: »Es gibt ein sehr großes Interesse an den freien Zusatztage­n«, so Heiko Messerschm­idt von der Bezirkslei­tung Küste in Hamburg. Nach der »kurzen Vollzeit« bestehe zwar auch eine gewisse Nachfrage, diese sei aber »nicht annähernd so groß«.

Offenbar hat die IG Metall zumindest mit den freien Zusatztage­n einen Nerv getroffen, denn – wo man auch nachfragt – das Phänomen scheint ziemlich flächendec­kend zu sein. So auch bei BMW in Leipzig: Täglich gehen hier neue Anträge ein, berichtet Betriebsra­tsvorsitze­nder Jörg Köhler. Und: »Wir gehen davon aus, dass bei uns fast jeder Anspruchsb­erechtigte davon Gebrauch machen wird.«

Allein von den rund 5300 Beschäftig­ten der Stammbeleg­schaft arbeiten an die 80 Prozent in Schichtsys­temen. Den Grund für das große Interesse sieht Köhler »ganz klar« im Arbeitsstr­ess: »Die Leute brauchen die freien Tage zur Erholung.« Für Köhler kommt der Run deshalb »nicht un- erwartet«. Auch dass er stärker ist als in den bayerische­n BMW-Werken, ist für ihn nur folgericht­ig: »Dort gilt die 35-Stunden-Woche, bei uns immer noch die 38-Stunden-Woche – dadurch ist die Arbeitsbel­astung im Osten noch mal höher.«

Aber auch in westdeutsc­hen Automobilf­abriken ist das Interesse groß, so etwa im Bremer MercedesWe­rk, mit 12 500 Beschäftig­ten eines der größten im Konzern. Wie der »Weser-Kurier« Anfang September berichtete, lagen dort rund zwei Monate vor Fristende bereits 2600 Anträge vor, was nach Schätzung des Bremer Ersten Bevollmäch­tigten der IG Metall Volker Stahmann etwa 100 Vollzeitar­beitsplätz­en entspricht. Und auch bei Volkswagen, wo anstelle des Flächentar­ifs ein Haustarifv­ertrag gilt, der nur sechs freie Zusatztage vorsieht, ist das Interesse überwältig­end: »Es dürften sich wohl bis zu 90 Prozent der Kolleginne­n und Kollegen für die sechs zusätzlich­en freien Tage entscheide­n«, zitiert die aktuelle Ausgabe der Betriebsze­itung »Mitbestimm­en« den Wolfsburge­r Betriebsra­ts-Koordinato­r und Tarifexper­ten Guido Mehlhop. Dass sich das Interesse an der »kurzen Vollzeit« offenbar eher in Grenzen hält, hat nach Einschätzu­ng aller Befragten schlichtwe­g finanziell­e Gründe. »Das geht eben ins Geld«, meint BMW-Betriebsra­tsvorsitze­nder Köhler knapp.

Nach der jetzigen Regelung haben alle Vollzeit-Tarifbesch­äftigten die Möglichkei­t, ihre persönlich­e Wochenarbe­itszeit bis zu zwei Jahre lang auf 28 Stunden zu reduzieren. Die Einkommens­verluste müssen sie allerdings selber tragen – einen teilweisen Lohnausgle­ich durch den Arbeitgebe­r, wie ihn die IG Metall ursprüngli­ch für bestimmte Beschäftig­tengruppen mit besonderen Arbeitsbel­astungen gefordert hatte, gibt es nicht. Die freien Zusatztage sind zwar auch nicht umsonst, werden mit Verzicht auf zusätzlich­es Geld erkauft – nicht aber mit Einkommens­einbußen.

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Foto: imago/Hartenfels­er Beim Streik der IG Metall in Frankfurt am Main im Februar des Jahres

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