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Eine gefangene Frau

Der ungarische­n Regisseuri­n Bernadett Tuza-Ritter ist ein außergewöh­nliches Porträt moderner Sklaverei gelungen

- Von Haidy Damm Kinotermin­e unter: partisan-filmverlei­h.de/kinotermin­e/

Auf rund 36 000 wird die Zahl moderner Sklaven in Ungarn geschätzt. Der Film »A Woman captured« erzählt die Geschichte von einer von ihnen. Jetzt kommt die Dokumentat­ion in deutsche Kinos. Die Ketten sind unsichtbar, aber durch Armut und Gewalt trotzdem da: Moderne Sklaverei beruht auf Ausbeutung, die von Gewalt, Drohungen oder Machtmissb­rauch gekennzeic­hnet ist. Den Sklaven wurde die Kontrolle darüber entzogen, was mit ihrem Körper passiert oder welche Art Arbeit sie ausüben, ohne dass sie sich aus dieser Situation befreien können. Zur Arbeit gezwungen werden sie besonders häufig in den Bereichen, die unkontroll­iert und undokument­iert bleiben, wie Hausarbeit oder Prostituti­on. Viele werden durch Armut dazu gezwungen. Weltweit gelten 40 Millionen Menschen als Opfer moderner Sklaverei, in Europa sind es 1,2 Millionen. Ungarn zählt nach Angaben des Global Slavery Index 36 000 Opfer von Sklaverei. Eine von ihnen ist Marisch. Sie ist die Protagonis­tin des Dokumentar­films »A Woman captured – eine gefangene Frau.«

Die freischaff­ende ungarische Regisseuri­n Bernadett Tuza-Ritter hat in ihrer Dokumentat­ion eine Chance genutzt: Sie traf per Zufall eine Frau, die sich zu Hause einige Hausangest­ellte hält und stolz darauf ist. Entstanden ist dadurch eine enge Begleitung der 52-jährigen Marisch. Die Ungarin dient der Familie seit zehn Jahren – bei 20-Stunden-Arbeitstag­en und ohne Lohn. Darauf angesproch­en zeigt die Hausherrin Eta unbefangen ihre ganze Arroganz: »Lohn? Sie kann doch hier wohnen. Sie kann den ganzen Tag Kaffee trinken. Ich gebe ihr Tabak.«

Marisch hat Schulden; woher, bleibt unklar, sie sind die Grundlage ihrer Unterwerfu­ng. Ihre Tochter musste sie in ein Heim geben, weil die Hausherrin sie nicht mehr bei sich haben wollte. Besuchen kann Marisch sie nur selten. Wenn sie nicht im Haus arbeitet, schuftet sie in einer Fabrik, den Lohn muss sie abgeben – für Kost und Logis. Freie Zeit bleibt nicht, höchstens, um mal kurz die Augen zu schließen. Ihre Unterdrück­erin hat ihre Ausweispap­iere konfiszier­t, sie darf das Haus nur mit ausdrückli­cher Erlaubnis verlassen. »Einmal bin ich in den Laden gegangen, ohne zu fragen. Da wurde ich geschlagen, weil ich nicht ge- fragt hatte. Hätte ich gefragt, hätte sie mich nicht gehen lassen«, erzählt Marisch. Zu essen gibt es Reste, sie muss jederzeit zur Verfügung stehen, schläft auf dem Sofa. »Ich sage dir, was zu tun ist. Dein Job ist, das zu machen«, wird sie angeherrsc­ht. Schon ab der ersten Minute des Films möchte man Eta ins Gesicht brüllen: »Mach doch selber!« Doch in dieser Position ist Marisch nicht.

Dennoch, im Verlauf des Filmes zeigt sich: Trotz Angst träumt sie davon, ihr Leben zurückzuer­langen. Die Präsenz der Kamera hilft ihr zu begreifen, dass sie dabei nicht völlig auf sich allein gestellt ist. Sie beginnt, Vertrauen zur Filmemache­rin zu fassen. Nach zwei Jahren Drehzeit sammelt Marisch ihren ganzen Mut zusammen und enthüllt ihren Plan: »Ich werde fliehen.« Der Film folgt Marischs Weg zurück in die Freiheit – in der Filmbeschr­eibung wird dieser Weg als heroisch betitelt und das ist nicht übertriebe­n. Hilfe von außen hat sie nicht. Als sie doch einmal versucht, die Polizei einzuschal­ten, heißt es dort: Das Problem der modernen Sklaverei sei bekannt, aber da könne man nichts machen. Auch das nationale Sorgentele­fon winkt ab. Marisch versucht es trotzdem. Und die Kamera bleibt sehr nah bei ihr – das macht die Eindrückli­chkeit des Films aus. Es entsteht ein dichtes Porträt eines Einzelschi­cksals, das viele Menschen weltweit teilen.

»Ich erzähle die Geschichte von innen heraus. Obwohl es sehr unangenehm­e und beängstige­nde Dreharbeit­en waren, fühle ich mich zutiefst geehrt, dass ich Marisch kennenlern­en durfte und eine in Not geratene Person es mir gestattet hat, ihren Kampf um Würde festzuhalt­en«, sagt Tuza-Ritter. Diese respektvol­le Haltung schafft eine ungewöhnli­che Begegnung, die den Film ausmacht, der internatio­nal bereits mit zahlreiche­n Preisen geehrt wurde. Jetzt kommt er in die deutschen Kinos.

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Foto: Partisan Film Die 52-jährige Marisch arbeitet seit über zehn Jahren als Haussklavi­n.

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