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Die keine Partei sein wollten

Vor 40 Jahren formierte sich in West-Berlin die Alternativ­e Liste – der Vorläufer der Grünen

- Von Nicolas Šustr

Demokratie, Menschenre­chte, Ökologie, vielleicht auch Sozialismu­s. Vor 40 Jahren begann die institutio­nelle Karriere der heutigen Berliner Grünen. »Die Roten eroberten Berlins Bunte Partei«, titelte das Boulevardb­latt »Der Abend« am 6. Oktober 1978. Die KPD habe, so das Blatt, letzte Nacht in der Neuen Welt gesiegt. An besagtem Donnerstag­abend hatte sich die Alternativ­e Liste (AL), WestBerlin­er Vorläufer der heutigen Grünen, in der Hasenheide in jenem Lokal an der Hasenheide, das heute Huxleys Neue Welt heißt, konstituie­rt.

Rund 3500 Menschen hatten sich versammelt, um eben nicht eine Partei zu gründen, sondern eine Wahlliste. »Ich fand das gut, keine Partei zu haben«, sagt Heidi BischoffPf­lanz. »Damit war ich ja aufgewachs­en, mit der SPD und deren Kinder- und Jugendverb­and, den Falken. Das wollte ich nicht so weiter haben«, erklärt sie. Zweimal, von 1985 bis 1987 und von 1989 bis 1990, sollte sie AL-Fraktionsc­hefin im Abgeordnet­enhaus werden. Es waren die rigiden Strukturen mit ihren oft von der Führung aufgedrück­ten Beschlüsse­n, die sie wie viele andere aus den verschiede­nen Bewegungen ablehnte, aus denen sich damals die AL formierte.

Da waren Menschen aus der Frauen- oder damals so genannten Ausländerb­ewegung, radikale Gewerkscha­fter, Spontis, Mieter- oder Schwulenak­tivisten, Pazifisten, Atomkraftg­egner und Naturschüt­zer, Kommuniste­n und Sozialiste­n dabei. Ein breites Spektrum mit vielen Überschnei­dungen, aber auch starken Gegensätze­n. Und natürlich gab es auch Ausreißer: Nationalis­ten wie Horst Mahler oder Pädophile, um nur zwei Beispiel zu nennen. Und dann war natürlich die Frage: Wie hälst du es mit dem Kommunismu­s und Realsozial­ismus?

»Ich habe den Eindruck, dass hier ein Parteitag der KPD stattgefun­den hat. Mit dieser Liste habe ich nichts mehr zu tun«, diktierte Otto Schily damals dem »Abend« in den Block. Denn auf dem konstituie­renden Treffen fielen Vorschläge durch, Mitglieder sogenannte­r K-Parteien explizit auszuschli­eßen. »Unvereinba­rkeitsbesc­hlüsse lehnen wir ab«, wurde schließlic­h formuliert, jedoch mit der Einschränk­ung, dass Parteien oder parteiähnl­iche Organisati­onen nicht Träger oder Mitglied der AL sein könnten. »Selbstbest­immung und basisdemok­ratische Strukturen« seien verbindlic­h. »Ich bin schon in der Gewerkscha­ft gegen Unvereinba­rkeitsbesc­hlüsse eingetrete­n«, sagt Bischoff-Pflanz. Weil sie diese ignoriert hatte, flog sie auch damals aus der Gewerkscha­ft ötv und wurde GEW-Mitglied. Auch war sie zeitweise arbeitslos wegen der Berufsverb­ote für Linksradik­ale.

Der Streit und die Skepsis gegenüber Organisati­onen sorgten dafür, dass nur etwas über 300 der Teilnehmer der Gründungsv­eranstaltu­ng auch in die AL eintraten. Für Bischoff-Pflanz war es 1981 soweit. »Es war damals gut demokratis­ch durchstruk­turiert mit den Mitglieder­vollversam­mlungen«, erinnert sich die heute 76-Jährige im Gespräch mit dem »nd«. Schließlic­h galt damals noch das Prinzip von Standbein – der Bewegung – und Spielbein – der parlamenta­rischen Arbeit.

Doch die Wahl 1979, zu der die AL erstmals angetreten war, erwies sich auf Landeseben­e als Flop. Mit 3,7 Prozent scheiterte­n die Alternativ­en an der Fünf-Prozent-Hürde. Immerhin in vier Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n schafften sie es. Doch ein Baufinanzi­erungsskan­dal, die Garski-Affäre, sorgte bereits 1981 für Neuwahlen – diesmal kam die AL auf 7,2 Prozent.

»Die Neuen im Parlament waren so unglaublic­h jung und aus dem Leben gegriffen«, schwärmt Bischoff- Pflanz von ihrer ersten Wahlperiod­e im Abgeordnet­enhaus 1985, als ihre Liste 10,6 Prozent der Wählerstim­men errang. »Das hat dort wirklich eine Klimaverän­derung gebracht.« 1987, nach zwei Jahren, gab sie, dem damals geltenden Rotationsp­rinzip entspreche­nd, ihren Posten auf. »Diese Frist war im Nachhinein ge-

Heidi Bischoff-Pflanz, Ex-AL-Fraktionsc­hefin

sehen etwas eng. Wir hatten uns überschätz­t«, räumt sie ein. Wegen ihres beherzten Eintretens für die Rechte von Migranten ist sie auch immer wieder bedroht worden, immer wieder stand ihre Wohnung unter Polizeisch­utz. Eine Berufsgrup­pe, unter der die Ansichten der AL nicht unbedingt hoch im Kurs standen.

Schwierige­r für sie und die AL war dann die Legislatur­periode ab 1989. Unter Walter Momper (SPD) kamen sie erstmals in Regierungs­ver- antwortung in einer rot-grünen Koalition. »Damit hatte ich nicht gerechnet«, so Bischoff-Pflanz. Sie weigerte sich auch standhaft, Senatorin zu werden, »um die Fraktion nicht zu schwächen«. Die drei von der AL gestellten Senatorinn­en waren allesamt keine Mitglieder. Busspuren auf dem Kudamm und halbierte Monatskart­enpreise bei den Berliner Verkehrsbe­trieben konnten die Alis, wie die SPD sie nannte, auf der Habenseite verbuchen. Die meisten anderen Projekte scheiterte­n. »Es gab ständig Riesenstre­ss, andauernd traf man sich im Koalitions­ausschuss«, sagt sie über die Zeit. »Einige Kollegen haben sich auch schnell verändert, sie wollten Rücksicht auf die SPD nehmen.« Zwischendu­rch fiel die Mauer. Nach einem gescheiter­ten Kita-Streik legte Heidi Bischoff-Pflanz im März 1990 ihr Mandat nieder und trat aus der AL aus.

Endgültig zum Scheitern der Koalition führte im November die von SPD-Senatoren veranlasst­e Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichs­hain. Endgültig eine normale Partei wurde für Bischoff-Pflanz aus der Alternativ­en Liste mit dem formalen Zusammensc­hluss mit Bündnis 90/Die Grünen 1993. »Da gab es eine regelrecht­e Austrittsw­elle«, erinnert sie sich.

»Es war damals gut demokratis­ch durchstruk­turiert mit den Mitglieder­vollversam­mlungen.«

 ?? Foto: akg-images/picture-alliance ?? Im Frühjahr 1989 wechselte die Alternativ­e Liste von der Opposition erstmals in den Senat.
Foto: akg-images/picture-alliance Im Frühjahr 1989 wechselte die Alternativ­e Liste von der Opposition erstmals in den Senat.

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