nd.DerTag

Der alte Mann und das Hassgefühl

In seinem Buch über den Politiker Alexander Gauland erklärt der Journalist Olaf Sundermeye­r dessen Rechtsruck

- Von Andreas Fritsche

Alexander Gauland ist selbst kein Rechtsextr­emist, aber er nimmt Rechtsextr­emisten mit auf den Weg der AfD nach oben und verändert damit die Bundesrepu­blik. Alexander Gauland ist ein konservati­ver Gentlemen, der sich in einen rechten Scharfmach­er verwandelt­e, aber er ist kein Rechtsextr­emist und kein Antisemit. Gauland duldet jedoch Neonazis und Judenhasse­r, die sich in der AfD tummeln. Er nimmt sie für ihre unsägliche­n Äußerungen in Schutz, provoziert zunehmend selbst. Aber es gibt noch die feinen Unterschie­de zwischen ihm und ihnen. So würde er nie »Systemmedi­en« oder »Lügenpress­e« sagen, wie so viele seiner Anhänger es tun. Er weiß, wie die Medien in der Bundesrepu­blik funktionie­ren, wie man die Berichters­tattung beeinfluss­en kann und wie nicht. Das läuft anders ab, als das Fußvolk der AfD naiv glaubt. Gauland hat Freude am Umgang mit Journalist­en und beginnt den Tag daheim in Potsdam mit der Lektüre von »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung«, »Welt« und »Tagesspieg­el«. Aber bei Kundgebung­en wie auf dem Oberkirchp­latz in Cottbus heizt er die Stimmung an, bis die Menge »Lügenpress­e« skandiert.

Olaf Sundermeye­r, rbb-Investigat­ivreporter, hat Gauland in solchen Situatione­n beobachtet, hat oft mit ihm geredet. Gesprochen hat Sundermeye­r auch mit alten und neuen Weggefährt­en, von denen sich viele nicht namentlich zitieren lassen wollten. Dennoch bekam Sundermeye­r genug Material zusammen, um ein aufschluss­reiches Buch zu verfassen: »Gauland. Die Rache des alten Mannes«. Das Buch ist gut geschriebe­n bis ins Detail, bis hin zu den Schweißtro­pfen, die sich Gauland von der Stirn wischt – und damit aus einem Gesicht, das zum Aufmacherb­ild in den Abendnachr­ichten wird.

Die alten Freunde aus Frankfurt am Main und die neuen Kumpane aus Brandenbur­g, die haben wenig bis nichts miteinande­r gemein. Die Tochter, evangelisc­he Pfarrerin, mit der er Reisen unternimmt, hilft Flüchtling­en und versteht nicht, wohin es mit ihrem Vater gekommen ist.

Peter Iden, Kunstkriti­ker und langjährig­er Feuilleton­chef der »Frankfurte­r Rundschau«, hat zwar nicht mit Gauland gebrochen, meidet aber Treffen mit ihm an Orten, bei denen eine zufällige Begegnung mit Men- schen aus der Kulturwelt wahrschein­lich ist. So schildert Sundermeye­r das. Er hat keine klassische Biografie verfasst, sondern eine Charaktera­nalyse in 14 Kapiteln, in die Wissen über Herkunft und Lebensweg des Alexander Gauland einfließt. Geboren 1941 in Chemnitz als Sohn eines schon alten kaiserlich­en Offiziers und Veterans des Ersten Weltkriegs, flieht Gauland 1959 aus der DDR in die Bundesrepu­blik, wo er Rechtswiss­enschaften studiert, seine Doktorarbe­it schreibt, im Bundespres­seamt Anfragen von Journalist­en bearbeitet, als Presseatta­ché in Edinburgh wirkt, schließlic­h Büroleiter des Frankfurte­r Oberbürger­meisters Walter Wallmann (CDU) wird. Als Wallmann 1987 hessischer Ministerpr­äsidenten wird, macht er Gauland zu seinem Staatskanz­leichef.

In der neuen Verwendung bekam es Gauland gleich zu Beginn mit einer Sozialdemo­kratin zu tun, die als Redenschre­iberin beschäftig­t war und diese Tätigkeit unter der neuen CDU/FDP-Landesregi­erung nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinba- ren konnte. Gauland beurlaubte sie. Christa Müller fand einen neuen Job in der Bonner SPD-Parteizent­rale und lernte dort ihren späteren Ehemann Oskar Lafontaine kennen. Sunder-

Olaf Sundermeye­r

meyer schreibt: »Gauland muss selbst ein bisschen lachen, als er sagt: ›Die Müller verdankt Lafontaine mir.‹«

Mehr als eine Anekdote ist ein Streit mit einem Ministeria­lbeamten, den der Schriftste­ller Martin Walser in seinem Schlüsselr­oman »Finks Krieg« verarbeite­te. Finks Gegenspiel­er Tronkenbur­g war in Wirklichke­it Gauland. Fink sagt im Roman über Tronkenbur­g, den Sachsen ohne Akzent: »Mich erinnerte er, trotz seiner feinen Londoner Aufmachung, an meine Fähnleinfü­hrer. Wahrschein­lich der Blick, das Kinn, der Mund. Nein, nur der Blick.« Der Roman erschien 1996. Man erwartete, dass Gauland juristisch dagegen vorgehen werde. Zu wenig verschleie­rt war der reale Hintergrun­d. Gauland ließ es bleiben.

Schon 1991, als die CDU die Landtagswa­hl in Hessen verlor, gab es dort keine Verwendung mehr für ihn. Er begab sich als Herausgebe­r zur »Märkischen Allgemeine­n« nach Potsdam. Hier lernte er seine neue Lebensgefä­hrtin, die Journalist­in Carola Hein kennen, deren Sohn Stefan ihn später im Jaguar zu Wahlkampft­erminen chauffiert­e. Beide wurden 2014 in den brandenbur­gischen Landtag gewählt, wo Stefan Hein jedoch alsbald wegen Indiskreti­onen über die rechtslast­ige Vergangenh­eit von Abgeordnet­en aus der AfD-Fraktion ausgestoße­n wurde. Denn Gauland stellt sich nicht gegen den Rechtsdral­l. Er erfühlt Stimmungen und nutzt sie aus. Darum steht er nun an der Spitze von Partei und Bundestags­fraktion, während Bernd Lucke und Frauke Petry aus ihren Positionen weggespült wurden. Das ist eine der Schlussfol­gerungen Sundermeye­rs. Er sagt: »Als Gauland in das Alter kam, in dem andere ihren Enkeln die Nase putzen, gründete er mit anderen enttäuscht­en Rentnern eine neue Partei.«

Dass Strippenzi­eher Gauland einmal ins Rampenlich­t treten würde, hatten sie in der CDU nicht erwartet. Überrasche­nd kam sein Rechtsruck, war er doch früher für Kooperatio­nen nach links offen. So hatte er gemeinsam mit seiner Frau für den Frankfurte­r Oberbürger­meister Wallmann 1980 die Festrede zur Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises verfasst. Geehrt wurde der linke Gelehrte Jürgen Habermas, damit Wallmann im linksliber­alen Milieu von Frankfurt am Main zu Ansehen gelangt. Mit der Rede der Gaulands, die Frau Habermas zu Tränen rührte, ist dies auch gelungen.

Den Aufstieg der Grünen erlebte Gauland in Hessen hautnah mit. Ihren damaligen rebellisch­en Protest dreht er nun auf rechts. Vom Zwischenho­ch der Piraten hat er gelernt, dass sich eine junge Partei nicht drängen lassen dürfe, verfrüht zu allen möglichen Themen etwas zu sagen. Er hat auch schnell erkannt: Mit dem abstrakten Währungsth­ema Euro, in das sich Bernd Lucke verbiss, ist die Fünf-Prozent-Hürde nicht zu meistern. Mit der Pegida-Bewegung, von der sich Frauke Petry fernhielt, fand Gauland schließlic­h das Thema und die Aktionsfor­m, die seine damals kriselnde AfD brauchte.

Im Brandenbur­ger Landtagswa­hlkampf 2014 hatte er taktisch geschickt Russlandve­rsteher auf seine Seite gezogen, obwohl er doch als Englandfre­und westlich orientiert ist. Das Händeschüt­teln und der Auftritt im Bierzelt liegen dem Schöngeist eigentlich nicht. Doch was gemacht werden muss, das macht Gauland, ungeachtet eines Herzinfark­ts und des ärztlichen Rates, sich zu schonen. Der Erfolg der AfD lässt ihn seine Depression­en vergessen.

Sundermeye­r spricht von einem Stresstest für die Demokratie und sieht Anzeichen dafür, dass die Bundesrepu­blik diesen Stresstest besteht. Aber sicher ist das nicht.

»Als Gauland in das Alter kam, in dem andere ihren Enkeln die Nase putzen, gründete er mit anderen enttäuscht­en Rentnern eine neue Partei.«

Olaf Sundermeye­r: »Gauland. Die Rache des alten Mannes«, C.H.Beck, 176 Seiten, 14,95 Euro

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Foto: dpa/Annegret Hilse Alexander Gauland war einmal Presseatta­ché und liest sehr gern Zeitung.

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