nd.DerTag

»Häuserkamp­f«

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Von einem »deutsch-deutschen Häuserkamp­f« war in den 1990er Jahren häufig die Rede, nicht selten sogar von einem »Ost-WestKultur­kampf«, der im Berliner Umland ausgetrage­n werde, bei dem »völlig unterschie­dliche Mentalität­en und kulturelle Prägungen« aufeinande­r träfen. Worum ging es dabei? Was war geschehen? Mit der »Gemeinsame­n Erklärung der Regierunge­n der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und der Deutschen Demokratis­chen Republik zur Regelung offener Vermögensf­ragen« vom 15. Juni 1990 hatten sich die beiden deutschen Staaten im Zuge der Verhandlun­gen über die Wiedervere­inigung darauf geeinigt, dass der Besitz von Eigenheime­n und Grundstück­en, die nach 1949 in der DDR enteignet oder unter staatliche Zwangsverw­altung gestellt worden waren, grundsätzl­ich an die ehemaligen Eigentümer oder die Erben zurückzuge­ben sei. In den Fällen, in denen eine Rückgabe sich als unmöglich erwies, sollte eine Entschädig­ung den Verlust ausgleiche­n. Nur die Enteignung­en, die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungs­rechtliche­r Grundlage erfolgt waren, sollten ihre Gültigkeit behalten und nicht rückgängig gemacht werden. Diese Regelung wurde bald auf die Formel »Rückgabe vor Entschädig­ung« reduziert – und genau darüber spitzte sich die Diskussion nach 1990 emotional zu. Die Rückübertr­agung von Immobilien an ihre Eigentümer zählte daher nach dem 3. Oktober 1990 zu den umstritten­sten Themen der Wiedervere­inigung.

Besonders heikel verlief die Debatte in Kleinmachn­ow im »Speckgürte­l« von Berlin, weil hier 63 Prozent und damit fast zwei Drittel, also ein überpropor­tional großer Teil, der Häuser und Grundstück­e von Rückübertr­agungsansp­rüchen betroffen waren. So verwundert es nicht, dass sich hier bereits im April 1990, noch vor der »Gemeinsame­n Erklärung«, ein »Selbsthilf­everein Nutzer e. V.« gründete, der sich mit rechtliche­n Maßnahmen gegen die Rückgabe des Eigentums an die früheren Besitzer zu wehren suchte.

Aus der Einleitung von Manfred Görtemaker zu dem Buch von Anke Kapel-Gebhardt »Geben oder Nehmen. Zwei Jahrzehnte Rückübertr­agungsverf­ahren von Immobilien im Prozess der deutschen Wiedervere­inigung am Beispiel der Region Berlin-Brandenbur­g« (be.bra, 312 S., geb., 38 €).

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