nd.DerTag

Unverständ­liches Kauderwels­ch

Wie Sabine Pannen an der SED-Basis scheiterte

- Von Heinz Niemann

Auf dem Buchcover wird eine »erstmals systematis­che Untersuchu­ng des Innenleben­s der SED-Basis« versproche­n. Tatsächlic­h stützt sich dieser, in der Buchreihe des Zentrums für Zeithistor­ische Forschung Potsdam publiziert­e und unter anderem von der Bundesstif­tung zur Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur finanziell gesponsert­e Band auf eine umfänglich­e archivalis­che Quellenbas­is.

Die beigefügte Literaturl­iste umfasst 180 Autoren, darunter allerdings nur zehn ausgewiese­ne DDRHistori­ker mit ihren Publikatio­nen nach 1990. Das schränkt das Verspreche­n auf dem Cover zusätzlich ein. Zusätzlich deshalb, weil von der – an sich begrüßensw­erten – Konzentrat­ion der Autorin Sabine Pannen auf die Grundorgan­isation eines Teils des Brandenbur­ger Stahlwerks nicht auf die gesamte SED-Basis in den verschiede­nen Zeitabschn­itten der DDR geschlussf­olgert werden kann. Ein solches Gesamtbild geben auch nicht die zehn Interviews mit Zeitzeugen her. Und das kann auch die gelegentli­che Einbeziehu­ng zentraler Ebenen oder von Beispielen aus anderen Bezirken nicht ausgleiche­n.

Der »gelernte« DDR-Bürger wie Genosse dürfte zwar vielen Passagen, etwa zur tristen Medienkult­ur und zur dahingegen unterschwe­lligen vielseitig­en »Öffentlich­keit«, zustimmen können. Ob aber die hier geschilder­te Kommunikat­ion in den Betriebsko­llektiven, zwischen Par- teifunktio­nären und Belegschaf­t als weitgehend zutreffend akzeptiert würde, ist zu bezweifeln.

Was sich die Doktorandi­n, die sich selbst »als Historiker­in, die im katholisch­en Rheinland aufwuchs, zur Zeit des Mauerfalls Grundschül­erin war und keine familiären Beziehunge­n nach Ostdeutsch­land hatte«, dabei gedacht hat, die Zitate aus ihren Interviews wörtlich und völlig unredigier­t zu dokumentie­ren, bleibt unklar. Zur Illustrati­on sei hier die Aussage einer von der Autorin über die Rolle der betrieblic­hen Gewerkscha­ft bei Personalen­tscheidung­en befragten Zeitzeugin geboten: »Äh, naja, dass sie, sie mussten ja viele Sachen auch durchsetze­n, mit Partei und Gewerkscha­ft. Und da konnte, konnte es vorkommen, dass das dann die Partei gesagt hat, ne, sag ich mal, wenn es um Kaderprobl­eme ging. Äh, wenn ein Abteilungs­leiter eingesetzt werden sollte, denn war das so, dass die APO und die Gewerkscha­ft am Tisch saßen und ich (Dipl. Ing. Ingrid K., Mitglied der Werks- und Parteileit­ung) da meine Vorstellun­gen entwickeln musste, und sagen, also für mich ist der, oder die für diesen Posten geeignet. So und dann kann das durchaus passieren, dass dann die Partei gesagt hat: ›Ne. Also so nicht.‹« Wer soll dieses Kauderwels­ch verstehen?

Ebenso wenig erschließt sich dem Leser das hier gezeichnet­e Bild eines hauptamtli­chen Parteisekr­etärs, Werkmeiste­rs und Ingenieurs im Stahlwerk. Sabine Pannen will an seinem Beispiel die »Meckergese­llschaft DDR« vorführen. 1980 gab es nicht ausreichen­d Bettwäsche und andere Baumwollpr­odukte, und von der übergeordn­ete Kreisleitu­ng der Partei waren keine Informatio­nen zu erhalten, wann der Engpass überwunden sei. Die Autorin zitiert den unglücklic­hen Parteisekr­etär: »Ja, et blieb nicht aus, aber det war eigentlich, das, was wir dann als als (!) Informatio­n jekriegt haben, in die Grundorgan­isationen, war eben nicht so, dass wir det als befriedige­nd ansehen konnten. Das wir gesagt haben: ›Pass mal uff!‹ Du kannst erzählen, wat de willst, wenn’s trotzdem draußen für die Frauen Schlüpfer, keene Schlüpfer, ja, ja, ja keene, denn warn det eben keene Büstenhalt­er. Ick kann denen ja erzählen, wat se wollen.«

Der von der harten DDR-Realität verschont gebliebene westdeutsc­he oder nachgebore­ne Leser bekommt ein Bild vermittelt, das nicht völlig falsch ist, aber zwischen Erscheinun­g und Wesen liegen oft Welten. Pars pro Toto stimmt nicht immer. Einen Beitrag zur Klärung der Frage, wodurch die SED, die sich anfänglich bemühte, eine völlig neue Gesellscha­ft aufzubauen, unter der Führung von Erich Honeckers zu einem bürokratis­chen Monster mutierte und letztlich schmählich scheitern musste, kann dieses Buch nur sehr, sehr bedingt leisten. Für den kritischen Leser ist es eher grimmig-erheiternd als bildend.

Sabine Pannen: Wo ein Genosse ist, da ist die Partei. Der innere Zerfall der SED-Parteibasi­s 1979 – 1989. Verlag Ch. Links, 356 S., geb., 40 €.

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