nd.DerTag

Millionär in der DDR

Eine deutsch-deutsche Geschichte

- Von Helmut Müller-Enbergs

Solche wie er sind titelseite­nverdächti­g. Doch kein Bericht fand sich über ihn in einer der Zeitschrif­ten der DDR. Das gelang dem Antiquität­ensammler Siegfried Kath nicht, wäre vielleicht auch nicht in seinem Sinne gewesen. Er zählte zu den vermutlich wenigen Millionäre­n in der DDR. Einer, der das ohne Partei und Staat, nicht einmal mit Hilfe des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit geschafft hat.

Der 24-jährige Bundesbürg­er strandete irgendwie in der DDR, vier Monate nach dem 13. August 1961 – ohne Visum, ohne Papiere. Er durchlief das Aufnahmela­ger Barby, erhielt Arbeit in Tambach-Dietharz und saß kaum ein halbes Jahr später in Untersuchu­ngshaft. Er hatte wieder aus der DDR fliehen wollen. Acht Monate auf Bewährung lautete das Urteil. Danach war er als Kellner in Friedrichr­oda tätig, bis es ihn später nach Pirna verschlug. Sein Motto lautete, wie der Historiker Christophe­r Nehring vom Deutschen Spionage Museum in Berlin ermittelte: »Ich arbeitete also nicht wegen einer sozialisti­schen Einstellun­g, die bei mir aufgrund meiner Entwicklun­g sowieso nicht vorhanden ist, sondern um gut situiert mein Leben zu gestalten und alle meine Ansprüche und Wünsche realisiere­n zu können.«

In Dresden-Pieschen machten er und seine Frau Annelies sowie zwei Mitstreite­r aus der Bierhalle »Bärenschen­ke« das florierend­e »Café Baltimore«. Das hätte genügen können, reichte Kath aber nicht. Antiquität­en einsammeln und nach dem Westen verkaufen – das war’s. Zusammen mit seiner Frau fuhr er ab 1966 ins Dresdner Umland, suchte Bauernhöfe, Scheunen und Häuser auf und brachte einiges zusammen. Selbst die Verwaltung­sbürokrati­e vermochte das Paar für sich einzunehme­n, bis sie einen Laden in Pirna hatten. Für das MfS in Dresden war der Fall klar: »In seinem Verhalten kann man ihn als Typ des Geschäftsm­annes der westlichen Welt bezeichnen. In seinem Gebaren sind eindeutig Züge des Managertum­s zu erkennen.« Mehr noch: Er denke »in geschäftli­chen und privaten Dingen der normalen Entwicklun­g voraus«. Bis 1974 steigt Kaths Umsatz in die Millionen. Vom Kellner zum Millionär.

Innerhalb des staatliche­n Apparates wächst das Bedürfnis, Kath auszuboote­n. 1973/74 wird eine Intrige gesponnen, in die auch die Kommerziel­le Koordinier­ung von Alexander Schalck-Golodkowsk­i eingebunde­n ist. Und alsbald befindet sich Kath abermals in Untersuchu­ngshaft. Die Vorwürfe tragen nicht – was soll’s, Kath sollte aus dem Geschäft herausgedr­ängt werden. Er verliert all sein Vermögen und wird in den Westen abgeschobe­n.

Nehring hat eine spannende, unkonventi­onelle und – gestützt auf private Unterlagen – gut lesbare Biografie verfasst. Diese Story hätte nicht einmal ins »Magazin« gepasst.

Christophe­r Nehring: Millionär in der DDR. Die deutsch-deutsche Geschichte des Kunstmilli­onärs Siegfried Kath. Büchner-Verlag, 199 S., geb., 18 €.

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