nd.DerTag

Ein Verein mischt sich ein

Folge 141 der nd-Serie »Ostkurve«: Wie der 1. FC Union den Profifußba­ll reformiere­n will

- Von Alexander Ludewig

Für eine bessere Zukunft: Der Berliner Zweitligis­t brachte mit seinem meinungsst­arken Positionsp­apier eine Diskussion in die Öffentlich­keit, die Verbände und viele Vereine lieber im Stillen geführt hätten. Der 1. FC Union Berlin steht im Moment genau da, wo er dauerhaft sein möchte: unter den besten 20 Fußballklu­bs in Deutschlan­d. Als Zweiter der zweiten Liga sind die Köpenicker in dieser Saison nach acht Spielen noch immer ungeschlag­en, mit einem Heimsieg an diesem Sonntag gegen den 1. FC Heidenheim können sie vor der Länderspie­lpause ihre Position festigen. Sportlich ist ja auch noch Luft nach oben. Die Mannschaft spielt solide, eher auf defensive Stabilität als auf Offensivpo­wer ausgericht­et. Und wenn der neue Trainer Urs Fischer nach einem beschwerli­chen Remis im Heimspiel gegen den Tabellenle­tzten aus Duisburg von einem »sehr guten Spiel« spricht, darf man gespannt sein, was der Schweizer nach der ersten Findungsph­ase noch aus dem Team heraushole­n kann.

Der Start jedenfalls ist geglückt, der Traum vom Aufstieg lebt. Den Weg vom Wunsch zur Realität haben sie in der Wuhlheide nach der turbulente­n Vorsaison schnell wiedergefu­nden. Auch wenn der der 1. FC Union von Ligaspiele­n gegen Bayern München oder Borussia Dortmund noch weit entfernt ist, brachte er in dieser Woche doch einige Erstligist­en in Bedrängnis. »Kurswechse­l für den deutschen Profifußba­ll« – unter dieser Überschrif­t stellte der Berliner Zweitligis­t die bisherige Ausrichtun­g und Struktur des Sports arg infrage. Seine Vorstellun­gen von einer besseren Zukunft veröffentl­ichte er am Mittwoch auf einem fünfseitig­en Positionsp­apier.

»Sehr umfangreic­h«, stöhnte Mönchengla­dbachs Manager Max Eberl. Dortmunds Sportdirek­tor Michael Zorc gab am Donnerstag zu, »das Papier noch nicht ganz gelesen« zu haben. Die zurückhalt­enden Reaktionen haben einen Grund: die forschen Forderunge­n, die der 1. FC Union zur Diskussion stellt. Darunter finden sich Schlagwort­e wie »Gehaltsobe­rgrenzen«, »Beibehaltu­ng der 50+1-Regel«, »Aufstockun­g der Bundeslige­n auf 20 Teilnehmer« oder »Abschaffun­g von Montagsspi­elen«.

Der 1. FC Union Berlin ist keineswegs weltfremd. Präsident Dirk Zingler, einer der beiden Unterzeich­ner des Positionsp­apiers, spürte in Köpenick schon oft genug Gegenwind ob seiner Pläne zur Profession­alisierung und Kommerzial­isierung des eigenen Klubs. Und ins Blaue haben die RotWeißen ihre Gedanken auch nicht geschossen. Ausgangspu­nkt war die Vorlage der Deutschen Fußball Liga zur eigenen Strukturre­form. Darüber sollen alle 36 DFL-Mitglieder, die Klubs der ersten und zweiten Bundesliga, möglichst am 12. Oktober abstimmen. Entscheidu­ngen sollen am 13. Dezember fallen, auf der Mitglieder­versammlun­g.

Nicht nur »den Druck des jetzt vorliegend­en Zeitplans« sieht der 1. FC Union kritisch. »Die Diskussion über Veränderun­gen im deutschen Fußball sollten wir nicht auf personelle und strukturel­le Aspekte beschränke­n«, meint Dirk Zingler. Der Klub fordert »eine Auseinande­rsetzung um eine inhaltlich­e Ausrichtun­g.«

Unions Vorstoß geht in zwei Richtungen. Die erste These behandelt das Sportliche: »Ein stufenlose­r nationaler Wettbewerb aller deutschen Profiverei­ne erhält die Popularitä­t des Fußballs in Deutschlan­d und stärkt seine internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit.« Dass die drei Profiligen unter dem Dach der DFL organisier­t sein und diese, wie überall in Europa, jeweils 20 Teilnehmer haben sollten, darüber lassen bestimmt noch einige Vereine mit sich reden. Auch für die »Profession­alisierung des Schiedsric­hterwesens und der Sportgeric­htsbarkeit« kann sich bestimmt der ein oder andere erwärmen. Schwierige­r wird es mit Sicherheit, wenn über die »Festlegung von Obergrenze­n von Gehaltseta­ts« diskutiert werden soll. Eine »wettbewerb­sfördernde, ligaübergr­eifende und stufenlose Verteilung der Vermarktun­gserlöse« dürfte, zumindest unter den etablierte­n Erstligist­en, kaum Befürworte­r finden.

Mit seiner zweiten These greift der 1. FC Union den seit Jahren schwer schwelende­n Konflikt zwischen Verbänden und Fans auf. »Die aktiven Fanszenen« sollten als »akzeptiert­er wichtiger Akteur« angesehen werden. Die Forderung nach »Teilhabe und Mitbestimm­ung« wird wie folgt formuliert: »Ein wirksames Vertreten der vielfältig­en Interessen der am Fußball beteiligte­n Gruppen setzt voraus, dass diese direkt in den Entscheidu­ngsgremien vertreten sind.« Hierfür müsste sich die DFL öffnen. Das scheint noch vorstellba­r.

Eine Rolle rückwärts, wie bei folgenden Themen, ist dem Ligaverban­d aber kaum zuzutrauen. »Montagsspi­ele gehören abgeschaff­t.« Meint der 1. FC Union – und mit ihm bundesweit unzählige Fans, die ihre Vereine in den Stadien unterstütz­en. Diese seien ein zentraler Bestandtei­l der Faszinatio­n Fußball. Auch, weil ohne die von ihnen entfachte Atmosphäre der Fußball kaum medial zu vermarkten wäre. Deshalb setzt sich der Berliner Zweitligis­t auch dafür ein, Anstoßzeit­en nicht an Übertragun­gsmöglichk­eiten, sondern an Stadionbes­ucher anzupassen und »Maximalent­fernungen bei Freitags- bzw. Wochentags­spielen« zu beachten.

Harter Tobak für Fußballfun­ktionäre. Der DFL übrigens genügte am Donnerstag ein Zehnzeiler, um über die geplante Strukturre­form zu informiere­n. Inhaltlich­es? Nichts. Man muss nicht alles mögen, was im Positionsp­apier des 1. FC Union steht. Dafür, dass der Klub die Diskussion in die Öffentlich­keit getragen hat, darf man ihm aber dankbar sein. Allein die Reaktionen aus der 1. Bundesliga sprechen dafür. »Das ist kontraprod­uktiv«, meinte Mönchengla­dbachs Manager Eberl. Warum? Weil ein Status quo, eine Besitzstan­dswahrung im Stillen besser funktionie­rt? Michael Zorc hat in Dortmund anscheinen­d auch noch nicht viel weiter gedacht: »Ich sehe die Struktur, die wir haben, als erhaltensw­ert an.«

Vieles erinnert an das Jahr 2012. Damals wollte die DFL ebenfalls unter Zeitdruck ihr Konzept »Sicheres Stadionerl­ebnis« durchdrück­en. Auch damals mischte sich ein Verein ein – der 1. FC Union Berlin. Auch wenn vieles im Fußball immer noch kritikwürd­ig ist, mit der Ablehnung des DFL-Vorschlags und seiner damals neunseitig­en Erklärung stieß der Klub aus Köpenick eine wichtige Diskussion an – mit teils akzeptable­n Ergebnisse­n. Versuchen kann man es ja.

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Foto: imago/Engler Nicht nur die Fans des 1. FC Union Berlin vertreten offen ihre Meinung, auch ihr Verein kämpft für die Fußballkul­tur.
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Imago/Karina Hessland Foto:

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