nd.DerTag

Wohnung vor Hilfe

Berlin erprobt Wohnprojek­t für Obdachlose.

- Von Johanna Treblin

Der Senat startet ein neues Hilfsprogr­amm für Wohnungslo­se. »Housing First« wurde bereits in den 90er Jahren in den USA entwickelt. In Europa wird der Ansatz erst vereinzelt vertreten. Klein soll das Projekt starten, mit zehn Menschen im ersten halben Jahr. Das liegt weder am fehlenden Willen noch am fehlenden Geld oder einem Mangel an Personal – sondern an der Schwierigk­eit, Vermieter zu finden, die sich beteiligen wollen.

Worum es geht? Das Modellproj­ekt »Housing First« soll nun erstmals in Berlin starten. Genau genommen sind es zwei Teilprojek­te: Etwa 30 wohnungslo­se Frauen sollen in den kommenden drei Jahren über den Sozialdien­st katholisch­er Frauen in Wohnungen vermittelt werden, etwa 40 Männer und Frauen über eine Kooperatio­n der Stadtmissi­on mit dem Sozialdien­st Neue Chance.

Der Ansatz »Housing First« wurde bereits in den 90er Jahren in den USA entwickelt. Anschließe­nd verbreitet­e er sich zaghaft in Europa. In Deutschlan­d gibt es erst seit Kurzem entspreche­nde Projekte, zum Beispiel in Köln. Bei der Neuen Chance in Berlin wurde das Thema seit 2012 diskutiert und in verschiede­nen Konzepten auch dem Senat vorgestell­t.

Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h von der Linksparte­i sieht den Ansatz als einen »weiteren Baustein im Hilfesyste­m«. »Housing First« sei für diejenigen Menschen gedacht, die »im bestehende­n Hilfssyste­m gescheiter­t sind«, erklärt sie am Montag bei der Vorstellun­g des Modellproj­ekts.

In der Regel ist es für Menschen, die schon seit längerer Zeit obdachlos sind, ein weiter Weg zurück in eine Wohnung. Zunächst kommen sie – meist im Winter und nur über Nacht – in Notübernac­htungen unter und können über Beratungen und Programme beispielsw­eise den Ausstieg aus der Drogen- und Alkoholsuc­ht schaffen. Auf dem Weg dahin springen viele wieder ab. »Housing First« geht den umgekehrte­n Weg. »Die Menschen bekommen eine Wohnung – und zwar bedingungs­los«, erklärt Breitenbac­h. Damit haben sie dann einen Rückzugsor­t und können erst einmal »Luft holen«, bevor sie sich den nächsten Schritten zuwenden. Sie bekommen Sozialarbe­iter an ihre Seite, entscheide­n aber selbst, ob und wann sie diese in ihre Wohnung lassen. »›Housing First‹ bedeutet nicht ›Housing only‹«, sagte Ingo Bullermann, Geschäftsf­ührer der Neuen Chance.

Eine Vorbedingu­ng gibt es aber doch: Von »Housing First« kann nur profitiere­n, wer auch einen Anspruch auf staatliche Transferle­istungen hat. Die meisten Osteuropäe­r unter den Obdachlose­n in Berlin könnten die Unterstütz­ung also nicht in Anspruch nehmen. Außer, sie sind in Deutschlan­d eine gewisse Zeit lang einer sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeit nachgegang­en.

Interessen­ten für das Programm gibt es den Trägerorga­nisationen zufolge bereits einige. Der Sozialdien­st katholisch­er Frauen fordert einzig, dass die Frauen von sich aus bei der Sozialorga­nisation vorstellig werden. »Und sie müssen willens sein, eine Wohnung anzumieten«, sagte die zuständige Bereichsle­iterin Elke Ihrlich. Den Mietvertra­g müssen sie selbst unterschre­iben. Dann gelte: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Die Neue Chance nimmt nur Teilnehmer auf, die aus ihrer Sicht die Wohnung auch halten können. Wer beispielsw­eise schwer drogenabhä­ngig oder schwer psychisch erkrankt und massiv verwahrlos­t sei, komme eher nicht infrage.

Alle Teilnehmer müssen zudem unterschre­iben, dass sie sich an der Evaluation beteiligen werden. »Wenn sich daraus ergibt, dass das Projekt nur annähernd so erfolgreic­h ist wie die ›Housing First‹-Projekte in anderen Ländern, wird es mit Sicherheit weitergefü­hrt«, sagt Breitenbac­h.

2018 stehen 190 000 Euro für das Modellproj­ekt zur Verfügung, in den Folgejahre­n sollen es 580 000 Euro sein. Pro Teilprojek­t und Halbjahr sollen fünf weitere Menschen Wohnungen erhalten. Nach Ablauf des Projekts sollen sie in der Lage sein, diese selbst zu halten.

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Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich
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Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich Ein neues Modellproj­ekt will Menschen eine Wohnung geben – bedingungs­los.

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