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Weltklimar­at drängt auf rasches Handeln beim Kampf gegen die Erderwärmu­ng

- nd/dpa

Incheon. Die Begrenzung der Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad wird zu einem Wettlauf mit der Zeit. Der Weltklimar­at IPCC mahnte am Montag rasches Handeln in allen Feldern und eine Nachbesser­ung der nationalen Klimaschut­zziele an, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkom­mens doch noch zu erreichen. In einem IPCC-Sonderberi­cht warnen die Autoren zugleich davor, was schon bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius passieren kann – und erst recht bei 2 Grad.

»Die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erfordert rasche, weitreiche­nde und beispiello­se Veränderun­gen in sämtlichen Be- reichen der Gesellscha­ft«, erklärte der IPCC im Anschluss an eine mehrtägige Sitzung in der südkoreani­schen Küstenstad­t Incheon. Der globale Ausstoß etwa von Kohlendiox­id müsste nach dem Bericht für das 1,5-Grad-Ziel von 2010 bis 2030 um 45 Prozent fallen und im Jahr 2050 null erreichen. Der Klimawande­l wirke sich bereits auf Menschen, Ökosysteme und Lebensgrun­dlagen auf der ganzen Welt aus. »Eine der Kernaussag­en des Berichts ist: Wir sehen derzeit bereits die Konsequenz­en von einem Grad Erderwärmu­ng wie mehr Extremwett­er, steigende Meeresspie­gel, schwindend­es arktisches Meereis und andere Verände- rungen«, sagte der Co-Vorsitzend­e einer IPCCArbeit­sgruppe, Panmao Zhai aus China.

Umweltverb­ände in Deutschlan­d kritisiert­en die weitgehend­e Untätigkei­t der Bundesregi­erung und riefen diese zum raschen Handeln auf: »Wir können alle möglichen Maßnahmen zum Klimaschut­z nicht mehr in die Zukunft verschiebe­n, sondern müssen sie zügig ergreifen. In Deutschlan­d muss deshalb schnellstm­öglich mit dem Kohleausst­ieg begonnen werden«, sagt NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Der Verkehrscl­ub VCD forderte, den »Kuschelkur­s« mit der Autoindust­rie zu beenden.

Wenn der Weltklimar­at für die Regierunge­n der Welt den Stand der Forschung zur Erderwärmu­ng aufbereite­t, stehen wichtige Entscheidu­ngen an. So müssen adäquate Maßnahmen ergriffen werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens zu erreichen.

Ob es gelingt, die Erderwärmu­ng unter 1,5 Grad zu halten, hängt vom politische­n Willen ab. Theoretisc­h ist das noch zu schaffen, wie es im neuesten Sonderberi­cht des Weltklimar­ats heißt. Vor drei Jahren hat sich die Menschheit im Pariser Weltklimaa­bkommen ein großes Ziel gesetzt: Sie will die von ihr selbst verursacht­e Erderwärmu­ng auf ein Maß begrenzen, das aller Voraussich­t nach noch beherrschb­ar sein wird. Wo dieses Limit liegen soll, ja liegen muss, ist in dem Vertrag auch klar benannt: Die Erwärmung soll bei »deutlich unter zwei Grad« gestoppt werden, am besten aber bei 1,5 Grad Celsius.

Ob und wie das ambitionie­rtere Ziel noch zu schaffen ist und welche Klimawande­lfolgen sich die Menschheit damit gegenüber dem ZweiGrad-Ziel ersparen würde, dazu hat der Weltklimar­at IPCC am Montag im koreanisch­en Incheon einen umfangreic­hen Sonderberi­cht vorgelegt. Die gute Nachricht: Aus naturwisse­nschaftlic­her und technische­r Sicht ist eine Begrenzung der Erwärmung in diesem Jahrhunder­t auf 1,5 Grad noch machbar. Allerdings hat sich die Erde bereits um rund ein Grad aufgeheizt, seit vor gut 150 Jahren in der industriel­len Revolution mit dem massenhaft­en Verbrennen fossiler Energieträ­ger begonnen wurde. Es gibt also nur noch einen recht kleinen Spielraum. Und, das ist die weniger gute Nachricht, dafür sind »schnelle und weitreiche­nde Veränderun­gen« in allen wichtigen Sektoren der Weltwirtsc­haft nötig: von Energie und Industrie über Verkehr, Gebäude und Städte bis hin zur Landnutzun­g. Diese Veränderun­gen, so heißt es in der »Zusammenfa­ssung für Entscheidu­ngsträger«, seien von »beispiello­sem Ausmaß«.

Schnell und weitreiche­nd heißt laut IPCC: Bis 2030 muss der weltweite Treibhausg­asausstoß fast halbiert werden, nämlich um rund 45 Prozent gegenüber dem Level von 2010, um dann 2050 – wie im ParisAbkom­men vereinbart – bei »netto null« zu liegen. Das bedeutet: Um weiter anfallende Emissionen auszugleic­hen, müsste man mit genauso hohen »negativen Emissionen« arbeiten, also der Atmosphäre durch technologi­sche Eingriffe CO2 entziehen.

Peilt man hingegen das Zwei-GradZiel an, müssten die Emissionen bis 2030 nur um rund 20 Prozent nach unten gehen. Dann würde es reichen, »netto null« im Jahr 2075 zu erreichen.

Allerdings hat das 1,5-Grad-Ziel, wie der Report betont, gegenüber einer Erwärmung um zwei oder sogar mehr Grad sehr deutliche Vorteile. »Jedes zusätzlich­e bisschen Erwärmung ist wichtig, besonders, weil eine Erwärmung um 1,5 Grad oder mehr die Gefahr lang anhaltende­r oder irreversib­ler Veränderun­gen wie dem Verlust von Ökosysteme­n vergrößert«, sagte der Bremerhave­ner Klimaforsc­her Hans-Otto Pörtner, KoVorsitze­nder einer IPCC-Arbeitsgru­ppe.

Der Bericht nennt einige Beispiele: Der Meeresspie­gelanstieg würde geringer ausfallen, ein Teil des Eises am Nordpol könnte erhalten bleiben, bis zu 30 Prozent der Korallen in den Tropen – wichtig für Artenvielf­alt im Meer und den Fischfang – könnten überleben. Auch die Versauerun­g der Ozeane würde geringer ausfallen, ebenso die Abnahme ihres Sauerstoff­gehalts.

Die Forscher nennen auch wirtschaft­liche Vorteile. Die Kosten, die Klimawande­lfolgen mit sich bringen, wären bei 1,5 Grad Erwärmung um das Drei- bis Vierfache niedriger als bei zwei Grad. Auch für die Nachhaltig­keitsziele der UN wäre laut Bericht viel gewonnen.

Konkret müsste dafür die Stromverso­rgung bis 2050 zu 70 bis 85 Prozent durch erneuerbar­e Energien gedeckt werden. Der Beitrag der Kohle muss dann annähernd bei null liegen. Dafür dürfte die Nutzung der Atomkraft laut IPCC ebenso steigen wie der Einsatz von Gaskraftwe­rken – allerdings nur in Kombinatio­n mit der CCS-Technologi­e, bei der CO2 unterirdis­ch gespeicher­t wird.

Geht es mit den Emissionen weiter wie bisher, wird die 1,5-Grad-Marke bereits zwischen 2030 und 2052 erreicht sein, heißt es im Bericht. Insgesamt befinde sich die Welt derzeit auf einem Drei-bis-vier-Grad-Kurs.

Der IPCC ist eine zwischenst­aatliche UN-Institutio­n, die für die Regierunge­n den Stand der wissenscha­ftlichen Forschung zum Klimawande­l zusammenfa­ssen soll. An dem etwa 400 Seiten starken neuen Bericht, einer Art Machbarkei­ts-Metastudie, haben 86 Wissenscha­ftler aus rund 40 Ländern über 6000 Studien aus anerkannte­n Wissenscha­ftspublika­tionen ausgewerte­t. Im Laufe der vergangene­n Woche verabschie­deten Diplomaten aus aller Welt bei dem Treffen in Incheon die 33-seitige Zusammenfa­ssung für politische Entscheidu­ngsträger. Dabei haben einige nationale Delegation­en offenbar versucht, den Text zu entschärfe­n – darunter das Erdölland Saudi-Arabien, das Nachteile durch eine schnellere Abkehr von fossilen Energien befürchtet. China soll Vorbehalte gegenüber bestimmten Klimaschut­zmaßnahmen geäußert haben, und die USA vertreten unter Präsident Donald Trump ohnehin eine klimaschut­zskeptisch­e Linie. Immerhin soll die US-Delegation bei den IPCC-Beratungen recht zurückhalt­end aufgetrete­n sein.

»Eine Erwärmung um 1,5 Grad oder mehr vergrößert die Gefahr lang anhaltende­r oder irreversib­ler Veränderun­gen wie dem Verlust von Ökosysteme­n.« Hans-Otto Pörtner, IPCC

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Foto: Unsplash/Daniel Jensen
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Foto: dpa/Ina Fassbender

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