nd.DerTag

Der Balkon Europas

Georgien ist Gastland der diesjährig­en Frankfurte­r Buchmesse – und voller literarisc­her Spuren.

- Erstes Gespräch (in einer Weinstube oberhalb der Stadt)

Herr Kikodze, Ihr Roman »Der Südelefant« spielt in Ihrer Heimatstad­t Tbilissi. Darin streifen Sie durch die jüngere Geschichte Georgiens. Wo wollen wir in Tbilissi darüber sprechen? Was schlagen Sie vor? Begleiten Sie mich am besten in eine kleine Kaffee- und Weinstube. Von hier oben sehen Sie auf meine Stadt: Tief unter uns fließt die Mtkvari, auf Russisch auch Kura. Sie entspringt in der Türkei, fließt durch Georgien und mündet im Kaspischen Meer. Da drüben, unterhalb der Mauern der alten Narikala-Festung sehen Sie eine große orthodoxe Kirche. Sie ist ganz neu, wurde auf Veranlassu­ng des Polizeiprä­sidenten erbaut. Seit der Unabhängig­keit hat die Kirche einen riesigen Einfluss auf die Gesellscha­ft in Georgien. Unterhalb der orthodoxen Kirche sind die Minarette einer in der Welt einmaligen Moschee, denn sie wird von Schiiten und Sunniten gleicherma­ßen benutzt. Weiter rechts eine Synagoge. Und da hinten, auf dem Berg, sehen Sie das kitschige Groß-Monument »Die Mutter Georgiens« – in der einen Hand Wein für die Freunde, in der anderen ein Schwert gegen die Feinde.

Sie haben gesagt, wie die Mtkvari auf Russisch heißt. Spielt das denn immer noch eine Rolle?

Georgien hat lange zum zaristisch­en Russland und dann zur Sowjetunio­n gehört. Noch heute kommen viele Touristen aus Russland in ihr »Traumland«. Da gibt es auch traumatisc­he Erinnerung­en.

Zum Beispiel?

Morgen werden wir auf den Pfaden meines Romans durch Stadt gehen. Dabei kommen wir in der Kiacheli Straße zum Haus Nr.14, in dem der spätere Geheimdien­stchef der Sowjetunio­n Lawrenti Beria gewohnt hat, als er KP-Vorsitzend­er von Georgien war. Hierher hatte der den Schriftste­ller Micheil Dschawachi­schwili zu sich eingeladen. Doch der hatte die Einladunge­n immer ausgeschla­gen. Deshalb hat Beria ihn umbringen lassen: Das Wohnhaus des Ermordeten steht noch mit einer Gedenktafe­l für ihn. Die anderen Häuser hat man abgerissen.

Und Stalin? Er war doch auch Georgier?

Der hat immer noch eine Reihe heimlicher Verehrer. Aber für Georgien, seine Heimatrepu­blik, hat er nie etwas Besonderes getan. Er wollte wohl den Eindruck einer besonderen Begünstigu­ng vermeiden. Im Zweiten Weltkrieg hat er unsere Einheiten im- mer an besonders gefährlich­e Stellen geschickt.

Kommen wir zu Ihnen: Wie lebt man als Schriftste­ller in einem kleinen Land mit einer »kleinen« Sprache? Keiner kann hier von der Schriftste­llerei allein leben. Ich habe auch andere Berufe. Ich fotografie­re, bin Schauspiel­er, Drehbuchau­tor und vor allem bin ich Naturführe­r. Damit verdiene ich zusammen mit meiner Frau den Lebensunte­rhalt meiner Familie. Wir haben drei Kinder: Die Älteste ist 19, mein Sohn 17 und die Jüngste neun Jahre. Übermorgen führe ich den französisc­hen Schriftste­ller Michel Houllebecq mit einer kleinen Delegation in die Berge des Kaukasus.

Mögen Sie seine Bücher?

Ich habe fast alles von ihm gelesen. Er muss ein unglücklic­her Mensch sein. Am besten hat mit sein Roman »Karte und Gebiet« gefallen.

In den letzten Jahren sind Hunderttau­sende Georgier ausgewande­rt. Haben Sie auch schon einmal daran gedacht?

Nein! Wir können nicht alle gehen. Jemand muss ja auch im Lande bleiben! Hier engagiere ich mich im Umweltschu­tz. Schauen Sie z.B. runter auf die Kura: Sie ist nicht nur von der Lehmerde so gelb, sondern auch von vielen nicht geklärten Abwässern, die sie unterwegs aufnimmt. Das historisch­e Tbilissi hat wunderschö­ne Jugendstil­häuser. Leider können sie nicht instandgeh­alten werden und verfallen langsam. Schade um die prächtigen Balkone und Fassaden. Das Literaturh­aus hingegen ist ein wunderschö­n restaurier­tes Stadtpalai­s. Es wurde einst von einem deutschen Architekte­n erbaut. Im Fest- saal, wo auch ich schon gelesen habe, gibt es zu Feierlichk­eiten keinen Rotwein, um das Interieur zu schonen. Ein Tag in Alt-Tbilissi – so könnte man die Handlung des Südelefant­en« beschreibe­n. Kommen Ihnen die Einfälle und Ideen zu Ihren Geschichte­n beim Flanieren? Kommen Sie! Hier wohnt im Roman der Ich-Erzähler, der nicht ich bin. Ich selbst habe nebenan gewohnt und kenne das Haus und die Gegend sehr gut. Es stimmt: Ich schöpfe meine Einfälle aus dem realen Leben, das ich sehe und beobachte. Zwölf Stunden streift mein Held durch die Stadt, weil er einem verloren geglaubten Freund sein Zimmer »für kurze Zeit« zur Verfügung gestellt hat. Hier drüben ist die Bäckerei, die im Roman vorkommt, dort betreibt der Möbelhändl­er immer noch sein Geschäft. Ich kenne ihn seit Jahren. Hier ist die Kiacheli-Straße, von der ich Ihnen im Zusammenha­ng mit Beria gestern erzählt habe. Das kommt als Geschichte im Roman vor, weil der Ich-Erzähler eben an diesen Häusern vorbeikomm­t und die entsetzlic­he Geschichte als Teil unserer Vergangenh­eit benennt.

»Der Südelefant« war ein großer Erfolg in Georgien. Was kann man darunter verstehen?

Er war der zweite auf der Bestseller­liste – gleich nach Harry Potter. Aber ernsthaft: Mein Verlag hat in zwei Auflagen etwa 4000 Exemplare verkauft. Das ist für Georgien sehr viel. Ein Glück, dass wir inzwischen die Freiheit der Kunst feiern können. Überhaupt lebt man hier recht frei, obwohl noch keine wirkliche Demokratie herrscht. Es gibt einige wenige Reiche, die neben der Kirche großen Einfluss ausüben, und ganz viele Arme. Uns fehlt die Mittelschi­cht. Ohne die gibt es keine richtige Demokratie.

Sind Sie der Flaneur Kikodze mit dem fotografis­chen Blick für Ihre Stadt, dem Bewusstsei­n für ihre Geschichte und der Empathie für die einfachen Leute?

Na ja, meine literarisc­he Methode haben Sie wohl zutreffend beschriebe­n. Aber in meinem Roman geht es ja um anderes: Es geht um eine tiefe, zwischenze­itlich verletzte Freundscha­ft. Um existenzie­lle Fragen von Schuld und Verlust und Tod, um Liebe und Erinnerung, auch um Humor, in dem manche Wahrheit besser zu verstecken ist. Das Flanieren allein macht noch keine Literatur. Trotzdem habe ich Sie heute mitgenomme­n auf den Spaziergan­g zu den Orten, an denen der »Südelefant« spielt. Zum Ort der Freundscha­ft, dem der Liebe, dem der Schuld – zu solchen Orten kann man nicht flanieren. Aber die Leser finden sie im Roman. Hier in diesem Park, in dem Sie die Kinder durch die Fontänen hüpfen sehen, spielt ja im Roman ein Showdown mit Jugendlich­en. Der Kontrast zu dem, was wir beim Flanieren heute sehen, ist Teil des literarisc­hen Prozesses bei mir. Der Park ist der gleiche wie im Roman – unsere Stimmung ganz anders. Meine Literatur entsteht nicht auf einem Spaziergan­g, sie hat eine eigene Wahrheit, aber auf dem Boden der Tatsachen.

Achil Kikodze: Der Südelefant. Aus dem Georgische­n von Nino Haratischw­ili und Martin Büttner, Ullstein, 272 S., 22 €.

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Foto: 123RF/Igor Zhuravlov

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