nd.DerTag

Despoten unter sich

Nelli Tügel wundert sich nicht darüber, dass Erdoğan in Ungarn nicht nur ein roter Teppich ausgerollt, sondern auch Protest gegen ihn unterbunde­n wird

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Wenn es gegen Geflüchtet­e geht, bringt Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán gern das Christentu­m in Stellung gegen eine angebliche Islamisier­ung Europas. Doch geht es um gute Beziehunge­n zum Regime von Recep Tayyip Erdoğan – maßgeblich verantwort­lich für die reale Islamisier­ung der türkischen Gesellscha­ft – ist vom christlich­en Bollwerk nicht viel übrig. Ebensoweni­g wie bei Polens rechter PiS-Regierung, die als erste in der EU Erdoğan nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch vom Sommer 2016 einen Staatsempf­ang bereitete. Ungarns Polizei ließ nun linke Proteste gegen einen zweitägige­n Staatsbesu­ch Erdoğans in Budapest verbieten, der am Montag begann. Und: Beide Länder sprechen sich schon lange dafür aus, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei auch weiterhin fortzuführ­en.

Wie kann das sein? Zum einen ist die Wesensverw­andtschaft zwischen Erdoğan, Kaczyński und Orbán unübersehb­ar. Doch geht es um mehr als gegenseiti­ge Bewunderun­g: Orbán will Gespräche über eine Türkei in der EU, aber keine Türken in Ungarn. Er will eine EU, in der es nicht um Freizügigk­eit in alle Richtungen oder liberale Werte geht, sondern eine Union, die den Kapitalint­eressen nationaler, illiberale­r Staaten dient. In der betonten Nähe zu Ankara kommt dieser Wunsch unverhohle­n zum Ausdruck.

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