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Kabul: Mehr zivile Opfer

Taliban bedrohen Wahlen

- Von Olaf Standke

Kein Stein werde auf dem anderen bleiben, drohte Taliban-Sprecher Sabihulla Mudschahid am Montag in einer auf Englisch verfassten Erklärung zu den Parlaments­wahlen in Afghanista­n am 20. Oktober. Die Radikalisl­amisten wollen vor allem mit verstärkte­n Angriffen auf Sicherheit­skräfte den Ablauf stören. So wie bei den Gefechten am Wochenende, als sie u.a. in der Provinz Wardak ein Gebäude der Lokalregie­rung sowie ein benachbart­es Polizeigeb­äude in Brand gesetzt und mindestens 28 Menschen getötet haben. Es steht zu befürchten, dass bei den nun angekündig­ten Attacken auch wieder viele unschuldig­e Zivilisten sterben werden.

Mindestens 1065 Todesopfer Schon in den vergangene­n Monaten hatten die Taliban Angriffe auf Regierungs­gebäude, Bildungs- und Gesundheit­seinrichtu­ngen sowie auf Militärbas­en verstärkt, um ihr Herrschaft­sgebiet auszuweite­n. Die Folge: Die Zahl der verletzten oder ermordeten Zivilisten stieg auf ein Rekordhoch, wie aus dem jüngsten Report der UN-Unterstütz­ungsmissio­n für Afghanista­n (Unama) hervorgeht. Von Januar bis Ende September seien mindestens 1065 durch Selbstmord­attentäter, Autobomben oder versteckte Sprengsätz­e getötet und weitere 2569 verletzt worden.

Die UNO spricht von einem »extremen Niveau« und beklagt »schwere Verletzung­en des internatio­nalen humanitäre­n Rechts« in dem Bürgerkrie­gsland. Doch die Bundesregi­erung ignoriert das bei ihrer Abschiebep­raxis. Laut Unama soll für 52 Prozent der Opfer die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) verantwort­lich sein, 40 Prozent gingen auf das Konto der radikalisl­amischen Talibankäm­pfer. Rund die Hälfte kam bei Anschlägen ums Leben, die gezielt gegen die Zivilbevöl­kerung gerichtet gewesen seien. Dazu gehören etwa Hebammensc­hülerinnen, Studenten, die sich auf ihr Universitä­tseintritt­sexamen vorbereite­ten, Cricket-Spieler oder Moschee-Besucher, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Leben in ständiger Angst

Die meisten Opfer wurden in der Provinz Kabul gezählt, wo in der Hauptstadt und Umgebung seit Januar 433 Zivilisten ihr Leben ließen und fast 1000 verletzt wurden, vorrangig durch Selbstmord­anschläge. Die Zahl der so Ermordeten stieg in dem untersucht­en Zeitraum sogar überdurchs­chnittlich um 46 Prozent. Alle Arten von Bomben und Sprengsätz­en zusammenge­fasst, betrug der Anstieg im Vergleich zur Vorjahresp­eriode 21 Prozent. »Die Unvorherse­hbarkeit solcher Angriffe, häufig entfernt von den Kampfgebie­ten und in von Zivilisten bewohnten Gegenden, sorgt dafür, dass Afghanen in ständiger Angst vor der nächsten Explosion leben«, betont die UN-Mission in ihrem am Sonntag veröffentl­ichten Bericht.

Die Drohung der Taliban, jeden anzugreife­n, der die seit drei Jahren überfällig­en Parlaments­wahlen unterstütz­e, schürt diese Angst noch mehr und gefährdet den Demokratis­ierungspro­zess in Afghanista­n zusätzlich. In den vergangene­n beiden Monaten wurden mindestens acht Parlaments­kandidaten getötet. Bei einem ISSelbstmo­rdanschlag auf eine Wahlkampfv­eranstaltu­ng in der östlichen Provinz Nangarhar starben in der Vorwoche fast 20 Menschen. Für die Radikalisl­amisten ist der Urnengang am 20. Oktober lediglich eine »amerikanis­che Verschwöru­ng zur weiteren Rechtferti­gung der ausländisc­hen Besetzung«; er widersprec­he dem islamische­n Recht. Die unabhängig­e Wahlkommis­sion hat angekündig­t, am Wahltag mindestens 54 000 Sicherheit­skräfte zum Schutz der landesweit rund 5100 Wahllokale einsetzen zu wollen.

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