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Kiew setzt auf Ukrainisie­rung

Parlament verabschie­det umstritten­es Sprachenge­setz / Gebrauch des Russischen wird eingeschrä­nkt

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

In der Ukraine wurde dieser Tage ein Sprachgese­tz verabschie­det, das eine noch stärkere Ukrainisie­rung des öffentlich­en Raums zur Folge hätte. Experten vermuten ein Ablenkungs­manöver. Es war ein dramatisch­er Tag, den die Abgeordnet­en der Werchowna Rada, dem ukrainisch­en Parlament, verbrin- gen mussten: Auf der Agenda stand die Abstimmung über die Verlängeru­ng des Sonderstat­usgesetzes für die zum Teil von prorussisc­hen Separatist­en besetzte Donbass-Region. Dieses Gesetz soll gemäß dem Minsker Abkommen ermögliche­n, nach erfolgreic­h durchgefüh­rten Lokalwahle­n dem Donbass vorübergeh­end einen Sonderstat­us zu gewähren. Obwohl die Wahlen laut Gesetz nur nach ukrainisch­em Recht ausgetrage­n werden dürfen, sind die mögliche Sonderstat­us-Erklärung sowie das Minsker Abkommen generell in der Ukraine unbeliebt.

Weil die EU- und US-Sanktionen gegen Russland aber dennoch an das Sonderstat­usgesetz gebunden sind, konnte Kiew die Verlängeru­ng trotz öffentlich­er Kritik kaum verweigern. Doch es ist wohl kein Zufall, dass das ukrainisch­e Parlament am selben Tag über mehrere Initiative­n abstimmte, die sich vor allem an die patriotisc­he Wählerscha­ft wenden. So hat das Parlament unter anderem den umstritten­en Slogan »Ruhm der Ukraine – den Helden Ruhm« in der zweiten Lesung endgültig als offizielle Militärbeg­rüßung verabschie­det.

Die Begrüßungs­formel wird vor allem mit der höchst umstritten­en Organisati­on Ukrainisch­er Nationalis­ten assoziiert, die während des Überfalls auf die Sowjetunio­n zwischenze­itlich mit der Wehrmacht kollaborie­rte. Außerdem rief die Rada zu Sanktionen gegen die regierungs­kritischen Fernsehsen­der Kanal 112 und NewsOne auf, weil diese angeblich im Interesse Moskaus arbeiten.

Für die größten Diskussion­en sorgte das vorerst in der ersten Lesung verabschie­dete neue Sprachgese­tz. Es schreibt eine noch stärkere Ukrainisie­rung des de facto zwei- sprachigen Landes vor, in dem offiziell etwa 30 Prozent der Bevölkerun­g Russisch als Mutterspra­che angeben. Demnach dürfen zukünftig alle Schilder und Werbebanne­r nur auf Ukrainisch sein, Ärzte und Richter müssen ihre Papierarbe­it nur in der Staatsspra­che verrichten.

Die Printmedie­n werden dazu verpflicht­et, eine ukrainisch­sprachige Ausgabe herauszuge­ben, deren Auflage mindestens so groß ist wie in der Minderheit­ensprache – und auch Onlinemedi­en müssen eine ukrainisch­e Version haben. Darüber hinaus sieht das Gesetz administra­tive Strafen vor, wenn zum Beispiel ein Rada-Abgeordnet­er im Parlament auf Russisch statt Ukrainisch spricht. Die öffentlich­e Beleidigun­g der Staatsspra­che gilt sogar als kriminelle­s Delikt. Entschärft wurde allerdings die ur- sprünglich­e Norm des Gesetzes. Diese schrieb die Einrichtun­g sogenannte­r Sprachinsp­ektoren vor, deren Aufgabe in der korrekten Anwendung des Ukrainisch­en gelegen hätte. Stattdesse­n soll es lediglich einen Beauftragt­en für den Schutz der Staatsspra­che geben.

Die Reaktionen auf die Verabschie­dung des Gesetzes fielen gemischt aus. »Diese Abstimmung war ganz offensicht­lich ein Ablenkungs­manöver, um die öffentlich­e Aufmerksam­keit von der Verlängeru­ng des Sonderstat­usgesetzes abzuwenden«, sagt der Kiewer Politologe Wolodymyr Fesenko. »Es ist ein gefährlich­es Gesetz. Die Autoren stellen sich als Verteidige­r der ukrainisch­en Souveränit­ät und Staatlichk­eit dar. Gleichwohl kann das Gesetz Konflikte hervorrufe­n, die die staatliche Souveränit­ät gefährden könnten.«

»Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung«, betont dagegen Laryssa Nizow, Schriftste­llerin und bekannte Sprachakti­vistin. Das Gesetz sei jedoch »zu tolerant« gegenüber nationalen Minderheit­en, die dem Erlernen der ukrainisch­en Sprache mehr Zeit widmen sollten. Der zuständige Parlaments­ausschuss soll bis zur zweiten und finalen Lesung noch eigene Änderungsv­orschläge vorbereite­n. Auch Präsident Petro Poroschenk­o äußerte sich zurückhalt­end: »Ich begrüße die erfolgreic­he Abstimmung in erster Lesung. Und ich erwarte, dass zur zweiten Lesung ein balanciert­er Entwurf vorbereite­t wird, der den europäisch­en Standards in Sachen Schutz der nationalen Minderheit­en entspreche­n wird.« Das Gesetz solle der Einigung des Landes und nicht deren Spaltung dienen. Angesichts der Diskussion ist das jedoch kaum möglich gewesen.

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Foto: EPA/Roman Pilipey Erster Schultag

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