Mit Sand, Diplomatie und Gebeten
Der winzige Inselstaat Tuvalu kämpft mit begrenzten Mitteln gegen den Klimawandel und den drohenden Untergang
Die Umsiedlung der Bevölkerung von Tuvalu wird als allerletzte Option erachtet, sollte das Überleben wegen der Folgen der Klimaerwärmung dort nicht mehr möglich sein. Noch ist es nicht so weit. Nua sitzt an ihrem Lieblingsplatz unter einer Palme am Strand und beobachtet, wie das Wasser steigt. In einer guten Stunde wird die Flut ihren Höhepunkt erreichen, einzelne Wellen werden dann die Wurzeln ihrer Palme umspülen. Irgendwann wird das Meer sich Nuas Palme holen, irgendwann vielleicht ihr ganzes Land und mit ihm Nuas Geschichte und ihre Zukunft. Nua lebt auf Tuvalu. Die neun Korallen-Atolle auf halber Strecke zwischen Hawaii und Australien erheben sich durchschnittlich nur zwei Meter über den Südpazifik. Nirgendwo auf der Welt steigt der Meeresspiegel so schnell wie hier. Schon jetzt türmen Zyklone vor den Küsten Tuvalus regelmäßig meterhohe Wellen auf und überfluten große Teile des 26 Quadratkilometer kleinen Landes. Mit Sand, Diplomatie und Gebeten kämpft der winzige Inselstaat jetzt gegen den Klimawandel und den drohenden Untergang.
Nua hat das Wasser schon als zerstörerischen Feind kennengelernt. »Das Wasser steigt, und die Stürme werden heftiger. Mein Haus und große Teile der Insel werden regelmäßig überflutet, und die Schule fällt oft aus«, sagt Nua, die ihren Schülerinnen und Schülern beibringt, dass hinter den Unwettern wohl der Klimawandel steckt. Nicht nur den Kindern, auch der Lehrerin macht das Angst. »Irgendwann möchte ich selbst Kinder haben. Ich möchte, dass sie auf Tuvalu groß werden, damit sie unsere Kultur kennenlernen. Aber ich weiß nicht, ob das noch möglich sein wird. Ich befürchte, dass wir schon bald vor dem Wasser fliehen müssen«, sagt die 28-Jährige.
Die Fidschi-Inseln, Neuseeland, Australien oder auch Deutschland könnte die Insulanerin sich als neue Heimat vorstellen, sollte das (Über-) Leben auf den winzigen Atollen eines Tages unmöglich sein. Auf ihrem Smartphone hat sie gelesen, dass Deutschland in den letzten Jahren Hunderttausende Menschen aufgenommen hat, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind. »Ihr nehmt Syrer auf, obwohl ihr nicht schuld am Krieg seid. Aber für den Klimawandel seid ihr als Industrieland mitschuldig. Wir nicht! Darum solltet ihr auch Menschen aufnehmen, die vor dem steigenden Meeresspiegel fliehen. Beides tötet. Der Krieg schneller, der Ozean langsamer«, argumentiert Nua und widerspricht damit ihrem eigenen Premierminister. Denn vom Begriff »Klimaflüchtling« hält Enele Sopoaga nichts.
Tuvalus Nachbarland Kiribati hat als Vorsorge bereits vor vier Jahren Land auf den größeren und höher ge- legenen Fidschi-Inseln gekauft, um notfalls einen großen Teil der Bevölkerung dorthin umsiedeln zu können. Kiribatis ehemaliger Präsident Anote Tong nennt das »Migration in Würde«. Doch auf Tuvalu glaubt man nicht daran, dass eine durch den Klimawandel erzwungene Umsiedlung in Würde stattfinden kann.
»Wir sollten keinen Gedanken daran verschwenden, unsere Bevölkerung umzusiedeln, sondern dafür kämpfen, dass der Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad begrenzt wird. Mit Anpassungsmaßnahmen wie Schutzmauern und Aufschüttungen müssen wir alles dafür tun, dass wir eine Zukunft in unserem eigenen Land haben«, sagt Tuvalus Premier Sopoaga. Er ist überzeugt, dass eine Umsiedlung seiner Bevölkerung das falsche Signal an die ganze Welt wäre. Der Politiker glaubt: Wer Tuvalu aufgibt, gibt auch den Kampf um die Begrenzung des Klimawandels auf.
Und das könnte schon sehr bald zu noch viel größeren klimawandelbedingten Wanderungsbewegungen führen. »Schon jetzt müssen durchschnittlich jedes Jahr über 26 Millionen Menschen aufgrund von extremen Umweltereignissen aus ihrer Heimat fliehen. Das ist fast jede Sekunde ein Mensch, und der Klimawandel könnte diesen Trend in Zukunft noch deutlich beschleunigen«, sagt Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik des evangelischen Hilfswerks »Brot für die Welt«.
Doch die Millionen Menschen, die vor steigenden Meeresspiegeln, Dürren und Stürmen fliehen, sind bislang weitestgehend rechtlos. Klimawandel kommt in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht als Fluchtgrund vor. »Es ist deshalb umso wichtiger, dass diese Menschen einen Schutzstatus erhalten. Sonst werden sie in den aufnehmenden Ländern zu Bürgern zweiter Klasse«, fordert Minninger.
Um auf die existenzielle Bedrohung Tuvalus aufmerksam zu machen, hat der Regierungschef eines der kleinsten Staaten der Welt dem Präsidenten eines der größten Länder der Welt geschrieben. Als Klimawandel-Opfer Sopoaga Klimawandel-Skeptiker Donald Trump zur Wahl gratulierte, verband er die Glückwünsche mit einer eindringlichen Warnung. »Wir sitzen alle in einem Kanu. Und wenn wir nicht gemeinsam gegen den Klimawandel kämpfen, werden wir gemeinsam mit diesem Kanu untergehen«, schrieb der Premierminister Tuvalus. Obwohl er Trump bei der UN-Generalversammlung im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York noch einmal persönlich auf das in Seenot geratene Kanu ansprach, hat der US- amerikanische Präsident bislang nicht geantwortet. »Vielleicht hat er einfach nicht kapiert, was ich gemeint habe. Aber er ist herzlich eingeladen, sich hier mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass der Klimawandel existiert und bei uns bereits elementare Menschenrechte wie das Recht auf Leben gefährdet«, sagt Sopoaga.
Dass Trump die Einladung annimmt, glaubt er indes nicht. Und das liegt nicht nur daran, dass die Landebahn des winzigen Flughafens von Tuvalu viel zu kurz für die Air Force One ist. Zweimal in der Woche wird das Betonband für kleine Propellermaschinen gesperrt, ansonsten dient es als Straße, Volleyball- und Fußballfeld. Aber es sind wohl nicht nur die logistischen Herausforderungen, die Trump von einem Besuch der 8500 Kilometer vom Weißen Haus entfernten Atolle abhalten. Er dürfte auf den bedrohten Inseln auch nicht mit einem besonders freundlichen Empfang rechnen.
»Fuck Trump«, sagt Noah. »Weil Trump und die US-Amerikaner aus dem Klimavertrag von Paris ausgestiegen sind, steigt der Meeresspiegel jetzt bei uns noch schneller«, erklärt der 34-Jährige, der die Einhaltung der Fischereigesetze vor den Küsten Tuvalus überwacht und selbst fast jeden Tag Fische fängt. Noah lebt am, Noah lebt vom Meer. Wie fast alle Bewoh- ner Tuvalus kennt er die Prognosen der Wissenschaftler, die den Anstieg des Meeresspiegels vorhersagen, und er kennt Nua und andere Atollbewohner, die trotz der Durchhalteparolen ihres Präsidenten ihre Zukunft längst im Ausland planen. Für Noah ist das keine Option. Sein Name spielt dabei eine große Rolle.
»Nach der Sintflut hat Gott Noah und den Menschen versprochen, dass es keine weitere Flut geben wird. Er wird sein Versprechen halten«, sagt der gläubige Christ. Mit einem unerschütterlichen Gottvertrauen retten Noah und viele der rund 11 000 Bewohner Tuvalus sich in einen verzweifelten Zweckoptimismus. »Wenn Tuvalu untergeht, dann geht mit den Inseln auch unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere ganze Identität unter. Ein Tuvalu II in einem anderen Land kann es nicht geben. Darum würde ich auch lieber mit Tuvalu untergehen, als irgendwo anders neu anzufangen. Aber Tuvalu wird nicht untergehen«, sagt Noah trotzig.
Ein paar Palmen weiter sieht Nua ihre Zukunft nüchterner und realistischer: »Viele wollen lieber mit unserem Land untergehen. Ich nicht. Ich will leben. Wenn das auf Tuvalu nicht mehr möglich ist, dann werde ich mir wohl eine neue Heimat suchen müssen.«