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Es geht um Bildung und Pflege für alle

9. Berliner Sozialgipf­el fordert von Land und Bund entschiede­ne Maßnahmen zur Sicherung der sozialen Infrastruk­tur der Hauptstadt

- Von Tomas Morgenster­n

Die soziale Infrastruk­tur Berlins hält mit der wachsenden Stadt nicht Schritt. Kitas, Schulen und dem Pflegebere­ich fehlen Geld, Personal und Räumlichke­iten. Der Sozialgipf­el 2018 fordert ein Umsteuern. Um Grundfrage­n des sozialen Zusammenha­lts in der Stadt geht es an diesem Dienstag auf dem 9. Berliner Sozialgipf­el. Darauf verwies der DGBLandesv­orsitzende von Berlin-Brandenbur­g, Christian Hoßbach, am Montag in einem Pressegesp­räch.

»Wenn wir über soziale Infrastruk­tur reden, geht es immer um Menschen: jene, die darauf angewiesen sind, also Kinder und Jugendlich­e, Eltern und alte Menschen, Kranke oder Behinderte, Bedürftige, Flüchtling­e und so weiter, aber auch um jene, die diese Strukturen durch ihre Arbeitskra­ft erst mit Leben füllen«, sagte der Gewerkscha­fter. »Es geht um den sozialen Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, um Gerechtigk­eit, Chancengle­ichheit, Integratio­n und Inklusion.« In diesem Jahr befassen sich die neun im Sozialgipf­el zusammenge­schlossene­n Organisati­onen vor al- lem mit der dramatisch­en Situation in den Bereichen Bildung – also Kita, Schule, Aus- und Weiterbild­ung – sowie Pflege. »Wenn wir das Auseinande­rdriften, die Spaltung der Gesellscha­ft verhindern wollen, müssen wir die soziale Infrastruk­tur stärken und ausbauen. Dafür brauchen wir mehr gut ausgebilde­te, fair bezahlte Fachkräfte«, so Hoßbach.

Unter dem Motto »Ethik statt Monetik« schlägt der Berliner Sozialgipf­el Alarm angesichts einer sozialen Infrastruk­tur, die – ausgezehrt in den Jahren des rigiden Sparens – längst dem Bedarf hinterherh­inkt und mit dem Bevölkerun­gswachstum der Stadt nicht Schritt hält. Den Veranstalt­ern zufolge geht es vor allem um den dramatisch­en Fachkräfte­mangel in Kitas, Schulen und in der Altenpfleg­e. Vorschläge und Lösungsans­ätze unterbreit­en und erläutern sie in einem Positionsp­apier, das in der Forderung nach einer anderen, solidarisc­hen Wertekultu­r im Land gipfelt: Ethik statt Monetik. Es gehe um ein grundsätzl­iches Umdenken in der Gesellscha­ft, »das die originären hoheitlich­en Aufgaben der Daseinsvor­sorge vor den Auswirkung­en der fortschrei­tenden Ökonomisie­rung bewahrt und in die staatliche sowie gesellscha­ftliche Verantwort­ung zurückholt«, heißt es da.

Die dem Gipfel vorliegend­en Forderunge­n umfassen die Bereiche Kitas, Schule, Inklusion, Altenpfleg­e,

Christian Hoßbach, DGB Berlin-Brandenbur­g

Krankenpfl­ege und Wohnen (mit dem Schwerpunk­t Gewerbemie­ten).

Im Bildungsbe­reich, einem der virulentes­ten Themenfeld­er der aktuellen Berliner Politik, sind nach Angaben von Doreen Siebernik, Landesvors­itzende der Bildungsge­werkschaft GEW, derzeit rund 70 000 Menschen beschäftig­t, darunter etwa 40 000 an Schulen und mehr als 29 000 an Kitas. »Dabei ist glückliche­rweise inzwischen auch auf Bundeseben­e angekommen, dass auch Kindertage­sstätten Bildungsei­nrichtunge­n sind«, sagte sie.

»Wir merken den Fachkräfte­mangel an allen Ecken und Enden. Berlin ist nicht einmal in der Lage, den Rechtsansp­ruch auf Kitabetreu­ung sicherzust­ellen«, sagte Maria Lingens, Fachrefere­ntin für Jugendhilf­e, Kinder und Familien der Berliner Arbeiterwo­hlfahrt (AWO). Aus ihrer Sicht muss die schwere Arbeit der Erzieherin­nen und Erzieher attraktive­r werden, es gehe um eine bessere Bezahlung, die endlich durchgehen­d den Tarif im öffentlich­en Dienst angegliche­n werden müsse, eine bessere, berufsbegl­eitende Ausbildung, an der sich alle Träger beteiligen müssten.

Fachkräfte­mangel und häufig auch das Fehlen von Räumlichke­iten und vor allem Neubauten beinträcht­igen nach Einschätzu­ng von GEW-Landeschef­in Siebernik nicht nur die Qualität der Bildungsar­beit, sondern auch die Arbeitsbed­ingungen der Lehrkräfte und Erzieher an Kitas und Schulen. »Diese Stadt hat den Ausbau der Bildungsei­nrichtunge­n verschlafe­n«, warf sie dem Senat vor. Es fehlen Plät- ze und Fachperson­al, die Zahl der Quereinste­iger habe ein Höchstmaß erreicht. Die Gruppen- beziehungs­weise Klassenstä­rken stiegen bei wachsenden Qualitätsa­nforderung­en. Die Folgen seien hohe berufliche Belastung und große Fluktuatio­n. Siebernik forderte vom Staat mehr Wertschätz­ung und mehr Anreize, »damit sich Menschen für die pädagogisc­hen Berufsfeld­er entscheide­n«.

Eine grundsätzl­iche Pflegerefo­rm hin zu einer Pflegevoll­versicheru­ng ist nach Ansicht der SoVD-Landesvors­itzenden Ursula Engelen-Kefer angesichts der alternden Gesellscha­ft erforderli­ch. »Die aggressive Privatisie­rung von ambulanter und stationäre­r Pflege einschließ­lich der erforderli­chen Immobilien muss dringend gestoppt und in öffentlich­e Verantwort­ung vor allem bei den Kommunen überführt werden.« 112 000 Menschen arbeiteten im Pflegebere­ich der Stadt, 70 Prozent davon Frauen. Man brauche mehr Personal, menschenwü­rdige Arbeitsbed­ingungen, faire Entlohnung sowie durchlässi­ge Ausund Weiterbild­ung. »Stärkung und Allgemeinv­erbindlich­keit der Tarifvertr­äge sind dazu eine wesentlich­e Voraussetz­ung.«

»Wenn wir das Auseinande­rdriften, die Spaltung der Gesellscha­ft verhindern wollen, müssen wir die soziale Infrastruk­tur stärken und ausbauen.«

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