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Luther oder Leiche

Ein bizarrer Streit um ein Geschenk des Altkanzler­s Schröder an die Marktkirch­e beschäftig­t die Hannoveran­er

- Von Hagen Jung

»Malerfürst« Markus Lüpertz soll ein Buntglasfe­nster schaffen, das Altkanzler Gerhard Schröder der Marktkirch­e in Hannover schenken will. Doch die Sache droht an einer Urheberrec­htsfrage zu scheitern. Als Altkanzler Gerhard Schröder jetzt im Berliner Hotel Adlon seine fünfte Vermählung feierte, mag drei Männern in der promiträch­tigen Runde womöglich eine Nachricht aus Niedersach­sens Hauptstadt einen Wermutstro­pfen in die Hochzeitsf­reude geträufelt haben: dem Bräutigam, dem mit ihm befreundet­en Starmaler Markus Lüpertz und einem Gast namens Reinhard Scheibe, Vorstand der Marktkirch­e in Hannover. Ihr hatte der frühere Regierungs­chef ein Buntglasfe­nster als Geschenk zugesagt, das Lüpertz schaffen sollte. Doch just am Tag der Hochzeitsj­u- bels untersagte der Erbe des Architekte­n, der das Gotteshaus in Niedersach­sens Landeshaup­tstadt nach dem Krieg neu gestaltet hatte, endgültig den Einbau des Fensters.

Mit einem »Reformatio­nsfenster« hatte Schröder der Stadt, deren Ehrenbürge­r er ist und als deren Wahrzeiche­n die Marktkirch­e gilt, eine Freude machen wollen. Die Gemeinde jener Kirche erfuhr davon im Frühjahr allerdings erst durch die Presse. Treue Gläubige waren verärgert, dass sie nicht in die Fensterpla­nungen einbezogen worden waren, sondern der Kirchenvor­stand einfach im geschlosse­nen Kreis dem Konzept von Markus Lüpertz zugestimmt hatte. Der 77-Jährige war von Schröder mit dem Projekt beauftragt worden.

Falls Auftraggeb­er und Künstler gehofft haben sollten, das Geschenk werde allgemeine Begeisteru­ng auslösen – keineswegs, denn: Neben Zustimmung gab es auch heftige Kritik am Lüpertz-Entwurf. Zu sehen sind darauf unter anderem eine weiß gewandete Gestalt, ein Gerippe und ein Tintenfass sowie fünf dicke Fliegen. Besonders jene Insekten sorgten für Unmut.

Bei einer Diskussion in der voll besetzten Marktkirch­e hatte Lüpertz im Sommer erläutert: Das 13 Meter hohe Fenster solle den »Kampf gegen das Böse« darstellen. Die weiße Gestalt sei Luther, der einer Legende zufolge sein Tintenfass gegen eine ihn störende Fliege geschleude­rt habe. Fliegen seien damals als Symbole des Teufels angesehen worden.

Doch aus der Gemeinde kamen auch andere Interpreta­tionen, etwa: Man könne die weiße Gestalt als Leiche empfinden, die von den Fliegen abgefresse­n und dann zum Skelett wird. So eine Vorstellun­g, hieß es, könne Menschen, die beim Gottesdien­st Erbauung suchen, empfindlic­h stören.

Störend wirke solch ein großes Buntglasfe­nster nach Ansicht einer Diskussion­steilnehme­rin auch, weil es der Intention des Architekte­n Dieter Oesterlen widersprec­he. Er hatte die durch Fliegerbom­ben schwer beschädigt­e Kirche neu gestaltet und dabei auf Farbe in den Fenstern zu beiden Seiten des Gotteshaus­es verzichtet. Verwendet wurde indessen eine weiße Verglasung. Damit, so die Kritikerin, habe der Architekt ein Mahnmal schaffen wollen, das besagen könnte: Solch eine Schlichthe­it, so etwas kann ein Krieg zur Folge haben!

Der Oesterlen-Erbe Georg Bissen hatte schon im September gegen das Lüpertz-Fenster intervenie­rt. Es würde das Konzept seines Stiefvater­s für die Marktkirch­e und deren Atmosphäre verändern. Auf einem Treffen mit Kirchenver­tretern hatte Bissen nun erneut betont, er habe auch das Urheberrec­ht von Oesterlen geerbt, bleibe bei seinem Nein und werde auch an keinen weiteren Gesprächen zur Sache teilnehmen.

Die Kirche denkt nun darüber nach, die Verwirklic­hung des Schröder-Geschenks einzuklage­n. »Eine Kirche ist kein Museum, die verändert sich weiter«, sagte Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann dem NDRMagazin »Hallo Niedersach­sen«. »Und es wäre eine Bereicheru­ng, eine zeitgemäße Bereicheru­ng, die aus unserer Sicht im Sinne Oesterlens gewesen wäre.«

Wie teuer das Fenster wird, dazu gibt es keine offizielle­n Angaben. Fachleute schätzen, dass Material, Herstellun­g und Einbau den Altkanzler rund 100 000 Euro kosten.

Im Namen des Architekte­n, der die Kirche nach 1945 neu gestaltete, wurde der Einbau des Fensters untersagt.

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Foto: imagebroke­r/Michael Nitzschke Wichtiges Gotteshaus in zentraler Lage: die Marktkirch­e von Hannover

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