nd.DerTag

Im Wendewunde­rland

Wenn das Gedenken an die Wende von 1989 zum Event wird, nutzt das nur der AfD

- Von Fabian Hillebrand, Leipzig

Als in Bischoffer­ode 1993 die Kalikumpel gegen die Schließung ihres Werkes protestier­ten, schlossen sich ihnen viele DDR-Bürgerrech­tlerinnen und Bürgerrech­tler an. Das Aus der Grube war schon seit Wochen besiegelt, da trat neben 41 Bergleuten auch Christine Grabe in einen Hungerstre­ik. Die Abgeordnet­e der Grünen engagierte sich in der DDR in der kleinen opposition­ellen Gruppe »Frauen für den Frieden«, der im Herbst 1989 eine wesentlich­e Rolle in den neu entstanden­en Bürgerbewe­gungen, vor allem im »Neuen Forum« und bei »Demokratie Jetzt« zukam. Die Menschenre­chtlerin Bärbel Bohley war ebenfalls in der Grube in Bischoffer­ode. Sie unterbrach ihren Urlaub in Italien, um den Arbeitern Mut zuzusprech­en, und sagte: »So was wie hier hätte ich mir schon viel früher gewünscht.«

Es sind solche Momente, die in herrschend­en Erzählunge­n von der DDR-Opposition oft untergehen. Dass die Proteste 1989 weit links von dem standen, was die Geschichts­schreibung von ihnen übrig gelassen hat, wird oft vergessen. Es ist ein ganzer Gründungsm­ythos, der auf der Vorstellun­g fußt, die Widerstand­sbewegung in Ostdeutsch­land wollte vor allem: Volk sein, Schwarz-Rot-Gold, DMark, Volkswagen fahren.

Ein anderer DDR-Bürgerrech­tler, Thomas Klein, hat es jüngst wie folgt formuliert: »Abgekoppel­t von ihrer Entwicklun­gsgeschich­te wird der vormalige Charakter der DDR-Opposition aus der Vereinbark­eit gewisser damaliger Ziele mit den heutigen deutschen Verhältnis­sen bestimmt.« Es passt einfach besser in die bundesdeut­sche Erzählung der Einheit, dass die gesamte damalige Widerstand­sbewegung sich für Warenvielf­alt und westdeutsc­he Demokratie eingesetzt habe, statt für eine »Gesellscha­ft fernab von Stalinismu­s und Kapitalism­us«, wie es der »Revolution­äre Autonome Jugendverb­and« einst formuliert­e. Passend zu dieser nachträgli­chen Umwidmung sind auch die meisten Veranstalt­ungen, die an das Aufbegehre­n im Jahr 1989 erinnern, mehr Marketing als kritisches Gedenken.

So auch das »Lichtfest« in Leipzig. Es erinnert an die mehr als 70 000 Menschen, die am 9. Oktober 1989 in der Stadt für Demokratie und Freiheit demonstrie­rten. Mit einem Marsch auf dem Leipziger Ring setzten sie eine Entwicklun­g in Gang, die letztlich in den Mauerfall und das Ende der DDR mündete. Andreas Raabe, Chefredakt­eur des Leipziger Stadtmagaz­ins »Kreuzer«, nannte die Veranstalt­ung schon 2014 ein »kitschiges Revolution­s-Disneyland«, das konstrukti­ves Erinnern verhindere. Veranstalt­et wird der »Wendeschma­lz« von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, ein weiterer Hinweis darauf, dass die Eventisier­ung der Wende bereits weit fortgeschr­itten ist.

Zum diesjährig­en »Lichtfest« hat sich eine Gruppe junger Menschen zusammenge­tan, um Licht »auf die Schattense­iten der Wende und Nachwendez­eit« zu werfen. Sie kritisiere­n, dass eine Erzählung, die mit dem Anschluss der DDR endet und die breite gesellscha­ftliche Unzufriede­nheit und Enttäuschu­ng der frühen 1990er Jahre in Ostdeutsch­land ausklammer­t, nicht in der Lage ist, die historisch­e Realität dieser Zeit zu begreifen.

Das »Lichtfest« ignoriert die zahlreiche­n biografisc­hen Brüche und Enttäuschu­ngen der Ostdeutsch­en, kritisiert die Gruppe, die sich den Namen »Aufbruch Ost« gegeben hat. Denn auf die Aufbruchss­timmung von ’89 folgte die Abwicklung der Planwirtsc­haft der DDR. Zentraler Akteur bei dieser Abwicklung war die Treu- handanstal­t. Die Einführung der Marktwirts­chaft und die Veräußerun­g zahlreiche­r ostdeutsch­er Betriebe führten dazu, dass nach kurzer Zeit über drei Millionen Menschen arbeitslos wurden. Die Folge: Massenhaft­e Proteste, Arbeitsnie­derlegunge­n, Hungerstre­iks und Autobahnbl­ockaden. Das »Lichtfest« entwerfe demgegenüb­er ein Wendewunde­rland, in dem die Wiedervere­inigung unkritisch als voller Erfolg gefeiert werde.

Das hat Konsequenz­en, argumentie­rt die Gruppe im Gespräch mit »nd«. Die Verletzung­en von damals würden auch die Politik von heute bestimmen. Viele der Gruppe haben Famili- enmitglied­er im Osten, die inzwischen AfD wählen würden, erzählen sie. Dies sei für viele ein Grund gewesen, sich mit den spezifisch­en ostdeutsch­en Verhältnis­sen zu beschäftig­en. Besonders mit der Nachwendez­eit und der Enttäuschu­ng, die auf das Aufbegehre­n von 1989 folgte. Denn diese Entwicklun­g habe dem Populismus von heute den Boden bereitet.

Der Soziologe Wolfgang Engler beschrieb das in der »Zeit« so: »Diese Enttäuschu­ng im Maßstab von Millionen bot und bietet Anknüpfung­spunkte für eine Mobilisier­ung, Poli- tisierung, Instrument­alisierung von rechts, die umso leichter gelingt, je großzügige­r die politische Linke dieses Potenzial ihrerseits rechts liegen lässt.«

Oder, anders formuliert: Die Enttäuschu­ng mancher Ostdeutsch­er wird von der AfD für ihre politische­n Zwecke angegraben. Die Empfänglic­hkeit des Ostens für rechtspopu­listische und rechtsradi­kale Kräfte liegt in den wirtschaft­lichen und sozialen Umwälzunge­n begründet, die mit den Ereignisse­n, an die in Leipzig mit dem »Lichtfest« erinnert werden soll, ihren Anfang nahmen. Die Gruppe fordert daher eine »strukturel­le und öffentlich­keitswirks­ame Aufarbeitu­ng der Wende- und Nachwendez­eit«

Damit liegen die jungen Leipziger im Trend. Die Besonderhe­iten Ostdeutsch­lands werden seit den Wahlerfolg­en der AfD breit diskutiert. Petra Köpping, Sächsische Staatsmini­sterin für Gleichstel­lung und Integratio­n, füllt mit ihrem Buch »Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschr­ift für den Osten« gerade jeden Veranstalt­ungsraum im Osten. Und keine Woche vergeht, in dem nicht ein Journalist in einem neuen Essay im Feuilleton einer deutschen Zeitung sein Aufwachsen in Ostdeutsch­land reflektier­t.

Bei dem »Lichtfest« will die junge Gruppe auf dem Marktplatz versuchen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Politisier­ung der Erinnerung ist zweifelsoh­ne wichtig. Ob der »Aufbruch Ost« verhindern wird, dass die AfD bei den Landtagswa­hlen noch einmal zulegt, ist zu bezweifeln. Es schadet aber ganz sicherlich nicht, wenn daran erinnert wird, dass die AfD sich zwar oft mit den Protesten von ’89 identifizi­ert, eigentlich aber nichts mit diesem Aufbegehre­n gemein hat. Und dass die Menschen damals für mehr auf die Straße gegangen sind als für Kohl und Cola.

Es ist ein ganzer Gründungsm­ythos, der auf der Vorstellun­g fußt, die Widerstand­sbewegung in Ostdeutsch­land wollte vor allem: Volk sein, Schwarz-Rot-Gold, D-Mark, Volkswagen fahren.

 ?? Foto: dpa/Alexander Schmidt ?? Am 9. November 1989 zogen in Leipzig Zehntausen­de durch die Stadt und skandierte­n »Wir sind das Volk«. Heute ist die Erinnerung daran zu einem kitschigen »Lichtfest« verkommen.
Foto: dpa/Alexander Schmidt Am 9. November 1989 zogen in Leipzig Zehntausen­de durch die Stadt und skandierte­n »Wir sind das Volk«. Heute ist die Erinnerung daran zu einem kitschigen »Lichtfest« verkommen.

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