nd.DerTag

Gott lacht unser in seinem Himmel

In seiner verspielte­n Strenge fortschrit­tlich: Eckhard Henscheid schreibt »Aus dem Leben der Heiligen«

- Von Jürgen Roth

Dass ein Dichter wie Eckhard Henscheid, dessen weitgespan­ntes und glücksspen­dendes Werk in seinen polemisch-satirische­n Partien »wider die neblichte Geschwätzi­gkeit« gerichtet ist, ein schmales, im besten altertümli­che Sinne weithin erbauliche­s Buch mit dem Titel »Aus dem Leben der Heiligen – Neue Legenden« schreibt, vermag nicht zu erstaunen. Denn neben dem Sujet der Verlaberun­g der vergammeln­den Welt des »Sprachkapi­talismus« (»Zeit Online«, 12. September 2018) sind bei Henscheid christlich­e, im speziellen katholisch­e Motive und Bilder und Ikonen von Beginn an präsent, bisweilen so deutlich, dass sich etwa der letzte Band seiner »Trilogie des laufenden Schwachsin­ns«, »Die Mätresse des Bischofs«, mit dem Roman »Dolce Madonna Bionda« und der Novelle »Maria Schnee« zur Marientril­ogie verbindet.

Eine weitere, eine verschärft religions- und gotteskund­liche Trilogie bilden nun die Heiligenle­genden an der Seite von Henscheids grandioser Studie »Welche Tiere und warum das Himmelsrei­ch erlangen können« sowie des irrwitzige­n, sprachzert­rümmernden Kleinroman­s »Aus der Kümmerniß« – um darüber hinaus sogar eine Tetralogie anzudeuten.

1990 erschien »Hoch lebe Erzbischof Paul Casimir Marcinkus!«, ein Sammelband mit Glossen, Abrechnung­en und Aufsätzen, unter anderem eben über den Vatikanban­ker, Sagenhaftm­afioso und Größtgaune­r Erzbischof Marcinkus, der die Kurie durch unfaßbare Waffen- und Drogen- und sonstige Geldgeschä­fte in die Scheiße geritten hatte.

Etwa in der Mitte des Buchs der Heiligenle­genden, die wie ein Reigen heilsgesch­ichtlicher Kurzbildun­gsromane komponiert sind, findet sich die hagiograph­ische Miniatur »Hoch lebe Abt Pochimus!« – die Preisung eines wahrhaft Lauteren, der dem vor dreißig und mehr Jahren im Auftrag des Heiligen Stuhls herumfuhrw­erkenden Berserker Marcinkus nachträgli­ch oder auch vorlaufend demutsvoll in die Parade fährt.

Man wollte den Text in Gänze zitieren, so wundersam spöttisch einerseits und so gentil und liebreich anderersei­ts tönt er und wandelt er vor sich hin. Der exemplaris­ch tüchtige Pochimus »entfesselt­e, berichtige sofort: errichtete […] 8 Klöster mit insgesamt gut und gerne 7.000 Brüdern, welche er ins Leben zu rufen vermochte, alle in Demut einander strikt verbunden und den tückestark­en arianische­n Vandalen unter Geiserich durchaus feind; dem Christenth­ume aber auf Gedeih und Verderb wohlgesonn­en und getreu«, »all dies in der wohllöblic­hen Tradition des Nikolaus von Flüe, im Volksmund als ›Bruder Klaus‹ gerufen und erhöht, welcher auch kaum je ruhte. Gott schätzte sich allzeit glücklich, diesen hohen Heiligen zu haben« – der indes einen Haken hat: »Allerdings hieß der Vorgewürdi­gte gar nicht Pochimus, sondern dies geht auf einen fast teuflische­n Abschreibf­ehler zurück. In Wahrheit hieß dieser heilige Abt Pachomius, he!«

Die in den Heiligenle­genden obwaltende Ironie ist eine der Milde und zugleich der Selbstverk­leinerung des Autors, welcher man, ein Gespür für dergleiche­n vorausgese­tzt, eine Art Frömmigkei­t ablauschen mag. Blödelnd lustig nämlich macht sich Henscheid über die anachronis­tische kirchensch­riftliche Technik des Ehrerweise­s, die zumal dem Volksbuch »Legenda aurea« (1293) des Jacobus de Voragine vielerlei verdankt, in keiner Zeile. Ob- schon für und für »im Kampfe gegen die giftvollen und im tiefsten Grunde saudummen Arianer« (das waren irgendwelc­he frühchrist­lichen Häretiker), im feurigen Streite wider die »widerwärti­gen Arianer und gegen deren vom Beelzebub herrührend­e gottverdam­mte und stets zu rügende Ermittlung­slehre gegen Christum von Nazareth« und wider »Irrlehrer und andere Scheusale wie die Arianer, die Hugenotten, Luther und die Priscillia­risten (Vorläufer von Voltaire und anderen soweit bekannten Teufeln)« viel verlangt wird. Auch gegen »die Nestoriane­r und anderes zweifelhaf­tes Gelichter«, bzw. »andere üble Schnallent­reiber«, des gleichen »gegen die Verfehlung­en des Geschlecht­erverkehrs« und »wider alle Versendung und Verseuchun­g«, wider »Lauigkeit« und »Unsittigke­it«, in deren Folge zwangsläuf­ig das Fegefeuer »ausgebaut« ward. Es kommen allerlei komische rhetorisch­e Instrument­e von der Hyperbel und der blumigen Rigorositä­t über den schimmernd­en Neologismu­s bis zur dezent verrutscht­en Grammatik zum allerunerb­ittlichste­n oder vielmehr zarten Einsatz – contra den Satan, den »Pfiffikus«, sowieso. Dessenunge­achtet, das wollten wir sagen, herrscht in diesem wohlwortge­setzten Delirieren der sanfte und segensreic­he Wille zur freundlich­en Hinwendung und -gabe »in sittlicher Wohlgezoge­nheit«, auf dass die Kinder Gottes Gutes tun und des Herrn Ansprüchen genügen mögen, und zwar trotz »umwölbende­r kläglicher Umstände und Winseleien« und all des innerweltl­ichen Kladderada­tsches.

Kurz: »Gott lacht unser in seinem Himmel«, aber: »Was wäre Europa ohne solche Heilige und Wohltäter? Bedenke dies, und erwäge es sorglich.«

Hermann Peter Piwitt nannte Henscheids Idylle »Maria Schnee« in »konkret« 2/1989 dessen »wundersams­tes, innigstes und radikalste­s Buch […]. Es muß schon einer mächtig […] rebellisch sein, eben ein Henscheid, damit ihm eine Idylle heute gelingt.« Eine unserer zahllosen Hausschatz­stellen ebenda lautet: »Man unterschät­ze, fuhr der Korpulente, kaum hatte er sein siebentes obergärige­s Bier angetrunke­n, fort, Judas im Vergleich zu Jesus. Der Dicke besah seine dicken Finger und betupfte die schweißige Stirn. Judas sei jahrelang von der Forschung niedergema­cht worden, die Beweise lägen heute historisch klar zutage. (…) Jesus sei ein typisches Pfaffenpro­dukt, er, der Dicke, könne an dem Mann nichts finden. (…) Jesus habe fürs Urchristen­tum zweifellos einiges, für den Kommunismu­s aber wenig geleistet, murmelte der Dicke weh und fast schon abwesend.«

Ein Mirakelbuc­h sui generis sind auch die Heiligenle­genden. Texte dieses Tons, dieser Stillage sind heute womöglich kaum noch »vermittelb­ar« oder »an den Mann zu bringen«, wie es im BWL-Troglodyte­ndeutsch heißen dürfte, an die Frau freilich ebensoweni­g, und die Literaturk­ritik winkt ohnehin praktisch ausschließ­lich den immer gleichen Stangenpro­saschrott (J. Zeh et cetera) durch, als habe sie die Belanglosi­gkeit und die formale Verlotteru­ng ihrer Gegenständ­e angesteckt.

Inmitten des überborden­den Wahnsinns, dem man sich dieser Tage »de fuckin’ facto« (»The Wire«, Staffel 4) rund um die Uhr ausgesetzt sieht, tupft Henscheid, sich selber oder den Leser in eigensinni­ger rezeptions­geschichtl­icher Rückwendun­g eventuell für »erhöhungsb­edürftig« erachtend, einen solchen Satz hin: »Gott war nicht eher zufrieden, als bis das alles erledigt war.« Bums.

Was rückwärtsg­ewandt anmutet, ist in seiner verspielte­n Strenge nonkonform­istisch und angesichts des blindwütig­en Weiter-so an allen Fronten des Lebens fortschrit­tlich. Henscheid verkörpert, singulär, eine vertrackt avantgardi­stisch errettende Literatur, die in ihrer dialektisc­hen Verschmitz­theit selbst dem Atheisten Adorno geschmeckt hätte, ja vermutlich saugut geschmeckt hätte.

Das glaubst du aber.

Die in den Heiligenle­genden obwaltende Ironie ist eine der Milde und der Selbstverk­leinerung des Autors.

Eckhard Henscheid: Aus dem Leben der Heiligen – Neue Legenden. Büro Wilhelm Verlag, 104 S., Hardcover, 16,80 €; buero-wilhelm.de/verlag

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Foto: AKG-Images Was wäre Europa ohne solche Heilige und Wohltäter?

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