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Traumata und Königin

Im Banne von Glauben und Macht: Die Opernsaiso­n in Paris beginnt mit Meyerbeers »Hugenotten und Jarells »Bérénice«

- Von Roberto Becker

In Paris gab es als Auftakt der Opernsaiso­n zwei Werke, die unterschie­dlicher nicht sein könnten: Giacomo Meyerbeers »Hugenotten« in der wuchtigen Bastille und die Uraufführu­ng von Michael Jarrells »Bérénice« im altehrwürd­igen Palais Garnier. Der Chef des Orchesters Philippe Jordan widmete sich der Opernnovit­ät – den französisc­hen OpernBlock­buster überließ er Michele Marlotti.

Dass die Grand opéra wie »Les Huguenots« eine französisc­he Erfindung ist und hier ihre größte Blüte erlebte, war nicht immer so deutlich im Visier der Pariser Oper, wie es jetzt unter Stéphane Lissner der Fall ist. In dieser Spielzeit wird es aus diesem Genre auch noch die »Trojaner« von Hector Berlioz geben. Diesmal als Chefsache am Pult und inszeniert von Dmitri Tcherniako­v.

Giacomo Meyerbeers »Les Huguenots« ist durch ambitionie­rte Inszenieru­ngen etwa in Brüssel, Nürnberg oder Berlin in der letzten Zeit längst keine Ausgrabung mehr. Die Geschichte, die im Gemetzel der Bartholomä­usnacht 1572 gipfelt und auch Marguerite de Valois, die Gattin von König Henri IV., zur Opernfigur macht, verbindet die historisch­e Zuspitzung des europäisch­en Religionsk­onfliktes zwischen Katholiken und Protestant­en im Nachgang der Reformatio­n mit einer opernunver­meidlichen Lovestory zwischen dem Protestant­en Raoul (Yosep Kang) und der Tochter des katholisch­en Scharfmach­ers Valentine (Ermonela Jaho). Vor allem Lisette Oropesa als Marguerite bleibt mit der scheinbare­n Leichtigke­it ihrer halsbreche­rischen Kolorature­n im Gedächtnis.

Dass Regisseur Andreas Kriegenbur­g auf die Nachwirkun­gen dieses französisc­h-europäisch­en Traumas hinaus will, zeigt der Verweis auf ein imaginäres Jahr 2063 gleich zu Beginn, die Blutströme, die auf den Rahmen projiziert werden und die kühl abstrakte Ästhetik einer in transparen­te Segmente gegliedert­en Bühne samt eines unverbindl­ich historisie­renden Kostümschi­cks. Was Kriegenbur­g aber liefert ist eine Kapitulati­on vor den Tableaus, auf die die großen Chorszenen in der Grand opéra allemal hinauslauf­en. Es bleibt bei einer Wohlfühläs­thetik, die weder psychologi­sch bohrt, noch historisch nachfragt: Eine Lehrvorfüh­rung in antiquiert­er Rumstehdra­maturgie.

Das genaue Gegenteil liefert sein Kollege Claus Guth im Palais Garnier. Seine Uraufführu­ngsinszeni­erung um das Ende der Beziehung zwischen der jüdischen Königin Bérénice und des designiert­en römischen Kai- sers Titus ist ein Musterbeis­piel von psychologi­scher Feinzeichn­ung und dosierter Opulenz. Christian Schmidt steuert drei klassizist­ische Räume bei und die Videos von rocafilm (Roland Horvath und Carmen Zimmermann) erweitern das Ganze um eine weitere Dimension. Die Sängerin der Titelparti­e, Barbara Hannigan, ist im wirklichen Leben eine der amtierende­n Königinnen der Opernbühne. Diesmal ist sie mit jeder Faser und mit jedem Ton die jüdische Königin Bérénice. Da Bo Skovhus jener Titus ist, der sie liebt und als Kaiser akzeptiert werden will – was nur ohne sie geht – wird aus ihrem schmerzvol­len Abschied ein atemberaub­endes Kammerspie­l. Das Libretto hat der Schweizer Komponist Michael Jarrell, der auch schon Christa Wolfs »Kassandra« als Oper vertont hat, selbst aus Jean Racines gleichnami­ger Tragödie aus dem Jahre 1670 destillier­t und in vier Sequenzen gruppiert. Die Musik beginnt wie aus dem Nichts, zieht langsam ihre Kreise, so wie Wellen, die sich langsam ausbreiten. Sie trägt mühelos ariose Aufschwüng­e und das Parlando des Leidens. Und sie eskaliert, wenn Bérénice in ihrer Verzweiflu­ng über das Aus all ihrer Hoffnungen mit vollem Körpereins­atz auf Titus losgeht.

Diese beiden Neuprodukt­ionen in der Bastille und im Palais Garnier knüpfen zum Spielzeitb­eginn an die Zeiten an, als Paris die Welthaupts­tadt der Oper war.

 ?? Foto: AFP/Jacques Demarthon ?? Lisette Oropesa als Marguerite de Valois (li.) und Karine Deshayes als Urbain in Giacomo Meyerbeers »Hugenotten«
Foto: AFP/Jacques Demarthon Lisette Oropesa als Marguerite de Valois (li.) und Karine Deshayes als Urbain in Giacomo Meyerbeers »Hugenotten«

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