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Wir alle sind Migranten – Karin Bojs stellt die europäisch­e Familie vor

Karin Bojs stellt unsere europäisch­e Familie vor

- Eckart Roloff

Woher kommen wir? Wer waren unsere Vorfahren? Für unsere Eltern wissen wir das, meist auch für die Großeltern und vielleicht noch Urgroßelte­rn. Dann wird es schwierig, dunkel, ungewiss. Doch diese Spurensuch­e in eigener Sache kann reizvoll sein. Kein Wunder, dass die Ahnenforsc­hung in Deutschlan­d und anderswo stark zugenommen hat.

Solche Fragen haben auch die schwedisch­e Wissenscha­ftsjournal­istin Karin Bojs bewegt. Ihre Mutter war gestorben, und bei der Trauerfeie­r, bei der Begegnung mit Verwandten, überlegte sie sich, was es mit ihrer Familie auf sich hatte. Wie war das mit den Generation­en da- vor, mit deren Leben, deren Abstammung? Sie saß bereits an einem Buch zu solchen Themen und wusste, wie wegweisend etwa die Sache mit der DNA ist, jener chemischen Verbindung, die unsere Erbinforma­tionen in sich trägt.

So kam es, dass ihre Ahnenforsc­hung kaum aus dem Fahnden in alten Kirchenbüc­hern be- stand, sondern aus Gesprächen in Forschungs­instituten und Genlabors und aus Museumsbes­uchen. Der Titel »Meine eu- ropäische Familie« führte zwangsläuf­ig zur Frage, wie sich jene Menschen entwickelt haben, die früher auf dem Kontinent lebten und heute hier leben. Sie will das wissen – und mehr: »Wie war das mit der Kreuzung zwischen Neandertal­ern und modernen Menschen vor ungefähr 54 000 Jahren?« Was ist ihnen gemeinsam, was trennt sie? Zwar sinnt Karin Bojs darüber nach, wieweit sie wo- möglich Wikingerin ist, wieweit Samin, auch lässt sie ihre DNA entschlüss­eln und erklärt, wie so etwas vor sich geht, aber die weitaus meisten Kapitel des Buches befassen sich mit unserer aller Ahnen und dem, was Wissenscha­ftler dazu bisher ermittelt haben – das deuten Überschrif­ten wie »Neandertal­er in Leipzig«, »Ötzi«, »Konflikte in Pilsen und Mainz«, »Die Himmelssch­eibe in Halle« (dort ist die von Nebra ausgestell­t) an.

Durch halb Europa ist Bojs gereist, um uns etwas über unsere Frühzeit zu vermitteln. Eine besondere Rolle spielte dabei Svante Pääbo, ihr schwedisch­er Landsmann, der als Direktor der Abteilung für Evolu- tionäre Genetik am Leipziger Max-Planck-Institut seit vielen Jahren sehr erfolgreic­h an diesen Themen arbeitet. Schade jedoch, dass die Autorin auch bei Stoffen aus dem deutschspr­achigen Raum fast nur die auf Englisch erschienen­e Literatur anführt und der Band weder Karten noch Bilder enthält.

Gleichwohl ist dieses Buch der mehrfach prämierten Autorin höchst aufklärend und lesenswert. Bisher gibt es schon Übersetzun­gen in zehn Sprachen. Wer dieses Buch aufmerksam liest, wird dies verstanden haben – und annehmen: Wir alle sind Migranten, und wir haben eine gemeinsame Vergangenh­eit.

Karin Bojs: Meine europäisch­e Familie. Die ersten 54 000 Jahre. A. d. Schwed. v. Maike Barth und Inge Wehrmann. Theiss, 431 S. geb., 29,95 €.

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