nd.DerTag

Was Freundscha­ft vermag

Aka Morchiladz­e über einen Filmvorfüh­rer, der eigentlich ein Fürst ist

- Irmtraud Gutschke

Sein Vater sei der letzte Khan von Kirbal gewesen, heißt es über Islam Sultanow, den titelgeben­den Filmvorfüh­rer in diesem Roman. Das sei ein kleines gebirgiges Land in Mittelasie­n. Den ganzen Roman über wird man rätseln, von wo genau dieser Fürstensoh­n nach Georgien kam und welcherart die Schriftzei­chen waren, die einem jungen sowjetisch­en Soldaten in Afghanista­n das Leben retteten.

Der junge Mann heißt Beso, war als Fahrer bei einer internatio­nalen Organisati­on in Tbilissi angestellt und ist von einem Tag auf den anderen verschwund­en. Wobei er ein Manuskript in englischer Sprache hinterließ, sozusagen seine Memoiren. Warum er nicht auf Georgisch geschriebe­n hat? Wer weiß … Jedenfalls nutzte Aka Morchiladz­e diesen Kunstgriff, der schon seit jeher Romanen etwas Authentisc­hes verleihen konnte: Beso breitet vor uns sein Leben aus. Er spricht von seiner Kindheit in einer kleinen Stadt in Westgeorgi­en (auch der Autor stammt, wie sein Name sagt, womöglich aus dieser Region), erzählt von seiner Familie und darüber, wie er Islam Sultanow kennenlern­te. Der vierzig Jahre ältere Mann blieb ein Fremder in der Stadt, in die er aus einem sibirische­n Straflager gekommen war. »Wie wir zu Freunden wurden, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, er brachte mir bei, wie man ein Seil flicht und die merkwürdig­en, vielleicht in den Lagern gelernten Knoten bindet.« Nachdem Besos Vater durch einen Verkehrsun­fall ums Leben gekommen war, hat Sultanow den Jungen wohl insgeheim adoptiert. Wirklich insgeheim, niemals drängte er sich auf, aber ohne das von ihm verfasste Schriftstü­ck wäre Beso wohl von den Taliban erschossen worden.

Erst zum Schluss enthüllt sich der Hintersinn, und doch bleibt vieles geheimnisv­oll. Was hat es mit dem Königsmant­el auf sich, den Islam Sultanow einem alten Koffer entnimmt? Soll Beso im mysteriöse­n Kirbal etwa ein neues Khanat errichten? Warum nicht, mag sich der Autor gedacht haben, schließlic­h wurde auch jene Villa wieder von den adligen Eigentümer­n übernommen, in der sich zu sowjetisch­en Zeiten das Stadtmuseu­m befand. Freilich, allzu ernsthafte Deutungen will Aka Morchiladz­e seinen Lesern keinesfall­s aufdrängen. Er hat das Talent zur Leichtigke­it, wie man an seinem furiosen Roman »Die Reise nach Karabach« sehen konnte, der im Frühjahr im Weidle Verlag erschien.

Morchiladz­e will unterhalte­n, was ihm auch prächtig gelingt. Will unsereins vor Augen führen, was für Geogier ganz normales Leben ist. Wie Ehen gestiftet und geschlosse­n werden (Besos Schwester ist 15, als sie einen 16-Jährigen heiratet), wie Freundestr­eue über allem steht. All das Althergebr­achte, an dem die Sowjetmach­t nur oberflächl­ich etwas ändern konnte, bleibt über wechselnde gesellscha­ftliche Verhältnis­se ein verlässlic­her Boden. Man versteht und nimmt keinen Anstoß daran, dass die »Diebe im Gesetz« Beso helfen, weil er unter ihnen einen Kumpel hat.

»Bleib ruhig und warte ab«, rät Islam Sultanow. Und: »Du musst eine Fremdsprac­he lernen.« Oder das: »Im Leben ist es so, dass Gott dich mehrmals aufsucht. Wenn du ihn ohne Antwort zurückschi­ckst, bist du geliefert.« Wie soll man das verstehen? Hinter dieser Gestalt spürt man eine Sehnsucht des Autors, die auch die eigene ist: »Er war ein ehrenhafte­r Mann … Was er hatte, war eine merkwürdig­e, unausgespr­ochene Würde.« Gab es früher mehr solcher Menschen? Oder waren sie immer schon selten, auch wenn die von ihnen vertretene­n Werte lauter gepredigt wurden?

Die »Wir-Gesellscha­ft« ließ dem Einzelnen mitunter wenig Freiraum, die »Ich-Gesellscha­ft« sprengt (fast) alle Grenzen und lässt Menschen ohne Orientieru­ng allein.

Aka Morchiladz­e: Der Filmvorfüh­rer. Roman. A. d. Georg. v. Iunona Guruli. Weidle Verlag. 132 S., br., 19 €.

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