nd.DerTag

Am Ende sind alle Verlierer

Davit Gabunia zeichnet vor dem Hintergrun­d politische­r Unruhen ein dunkles Bild des heutigen Tbilissi

- Sabine Neubert

Unser Land habe viele unverheilt­e Wunden, hat kürzlich ein rumänische­r Schriftste­ller gesagt. Noch mehr trifft dies auf das durch Krieg und Korruption in den letzten Jahrzehnte­n gebeutelte Georgien zu. Es ist ein düsteres, ja schwarzes Bild vom unteren gesellscha­ftlichen Rand der Stadt Tiflis, das Davit Gabunia hier malt, und das Geschilder­te spielt sich fast nur in den Nachtstund­en ab.

»Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.« Dieses Bild bzw. der Satz Goyas fiel mir beim Lesen ein, nur dass hier nicht ein (vernunftbe­gabter) Mensch schläft, sondern eine schlafende Gesellscha­ft Ungeheuerl­iches hervorzubr­ingen scheint. Die Ausweglosi­gkeit ist das Furchtbare daran. Dass Ähnliches in andere Gesellscha­ften übertragba­r sein könnte, macht es noch schlimmer.

Es sind einige wenige Personen, aus deren jeweiliger Per- spektive berichtet wird. Schicksalh­aft miteinande­r verbunden, sind sie doch alle sehr einsam, jeder mit seinen Gefühlen in einem Kokon der Trostlosig­keit eingesponn­en. Der 31-jährige Surab bildet den Mittelpunk­t. Er berichtet: »Also ich, ich hab keinen Job, ich bin arbeitslos. So sieht’s von außen aus, bloß, was heißt eigentlich arbeitslos? Ich bin nicht arbeitslos, ich sitze zu Hause. Wie andere sich ein Zuhausesit­zen vorstellen, weiß ich nicht, aber einfach nur Rumsitzen heißt das bestimmt nicht ...«

Surabs Frau Tina verdient das Geld, sie hat einen Bürojob. Die beiden Söhne, fünf und sechs Jahre alt, gehen in den Kindergart­en bzw. in die Schule. Nachmittag­s spielt Surab mit ihnen, geht mit ihnen in den Zoo, oder sie schauen sich das Video von »Mogli« an. Surabs Familie wohnt im Wohnblock eines öden Stadtviert­els von Tbilissi. Sind die Kinder bei der Großmutter, dann weiß Surab überhaupt nichts mit sich anzufangen. Bis kommt, was kommen muss ...

Eines Tages steht ein roter, auffällige­r Alfa Romeo im Hof zwischen den Wohnblöcke­n. Wer kann sich so ein Auto schon leisten?

Surabs Neugier ist geweckt. Von seinem Balkon aus sieht er auch bald den Besitzer des Wagens, einen sehr jungen Mann, der gerade in eine gegenüberl­iegende Wohnung eingezogen ist. Und schon beobachtet er, dass Schotiko, so heißt der junge Mann, täglich Männerbesu­ch bekommt – besser gesagt, die Männer kommen abends und nachts. Zuerst zwei junge Kerle, dann regelmäßig ein Mann »im fortgeschr­ittenen Alter«, schlaff, mit Bauch und grauen Haaren. Kennt Surab den nicht aus dem Fernsehen? Das ist doch Merab, der einen hohen Posten im Ministeriu­m für Innere Angelegenh­eiten hat. Kein Wunder, dass er sich immer so ängstlich umschaut, bevor er in das Haus geht.

Surab wird zum Stalker. Nachts, wenn der Alte kommt, schleicht er sich mit der Kamera auf seinen Balkon, filmt die beiden Männer, die sich hinter erleuchtet­en Fenstern mehr oder weniger verlustier­en, und speichert es auf einer CD. Ja, ei- gentlich hat er es gar nicht vorgehabt, aber dann kommt ihm die Idee: Er stattet Merab im Ministeriu­m einen Besuch ab. Nein, er will ihn nicht erpressen. Er will nur einen Job! Natürlich nimmt alles ein schlimmes Ende. Surabs Frau Tina geht ja auch schon längst eigene Wege.

Am Ende sind alle Verlierer, und den Hintergrun­d der Tragödie bilden politische Unruhen und Straßendem­onstration­en. Diese »Nacht« hat keine Farben, sie ist rabenschwa­rz und schwer auszuhalte­n.

Davit Gabunia: Farben der Nacht. Roman.

A. d. Georg. v. Rachel Gratzfeld. Rowohlt Berlin, 189 S., br., 20 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany