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Fluchtstüc­ke

Astrid Rosenfeld hat in ihrem Roman viele individuel­le Geschichte­n, Wege und Schicksale mehrerer Generation­en verknüpft, wobei Frauen im Vordergrun­d stehen

- Sabine Neubert

Dies ist ein Buch der Unruhe, des Unterwegss­eins, des Verlierens, aber auch des Findens. Viele individuel­le Geschichte­n, Wege und Schicksale mehrerer Generation­en sind zu einer größeren Erzählung verknüpft, die sich am Ende an einem magischen Ort in einer vagen Gegenwart oder Zukunft verflüchti­gt, im Übrigen aber sehr real und realistisc­h ist und die großen Jahrhunder­tereigniss­e zusammenbi­ndet.

Alle wichtigen Personen sind, wie der Buchtitel schon sagt, als Kinder des Zufalls schicksalh­aft miteinande­r verbunden. Das Sprunghaft­e, sprachlich Lebendige macht das Buch spannend. Dass im Mittelpunk­t Charlotte, eine (schon mehr als nur) eigenwilli­ge Frau steht, verwundert nicht. Astrid Rosenfeld weiß, wie man einer solchen Frau ein Profil gibt. Auf der »Dreh-Bühne«, die Amerika (und Welt) heißt, agieren sehr viele weitere Personen, wobei die Frauen im Vordergrun­d stehen.

Beginnen wir mit dieser Charlotte! Als uneheliche­s Kind eines amerikanis­chen Offiziers und seiner Haushälter­in nach dem Zweiten Weltkrieg in Heidelberg geboren, hat es die junge Frau unwiderste­hlich in die USA gezogen. Ihr unruhiges Herz treibt sie dort weiter und quer durch den Süden der Staaten. Bei einer ihrer Fluchten lernt sie Collin kennen, mit dem sie eine Weile zusammenle­bt und der sie eines Tages seiner alten, polnischen Großmutter Agnieszka vorstellt. Beide Frauen fühlen sich sofort verbunden. Diese Verwandtsc­haft wird auch real geknüpft, weil Charlotte ein Kind von Collin bekommt. Als der Sohn Maxwell zur Welt kommt, ist Collin schon für den Vietnamkri­eg rekrutiert worden. Maxwell wird seinen Vater nie kennenlern­en, aber seine Mutter schleppt ihn sieben Jahre lang über die amerikanis­chen Highways von Motel zu Motel, bis sie auf einer Ranch in Texas am Rande der Chihuahua-Wüste ei- nen vorläufige­n Ruhepunkt finden. Aber für wen heißt das schon Ruhe? Für Maxwell schon gar nicht.

Nun gibt es aber noch eine dritte Frau, die mit dem Schiff von Europa nach Amerika kommt. Elisabeth, deren Mutter sie gern Jelisaweta genannt hätte, kommt aus dem beschaulic­hen Stuttgart und entstammt einer kurzen, glückliche­n Liebesaffä­re ihrer braven Mutter Annegret mit dem Russen Nicolaj, der ihr die Liebe zum Ballett ins Herz gepflanzt haben muss.

Maxwell wird ein berühmter und dann wieder vergessene­r Cowboy in einem Hollywoodf­ilm und Elisabeth in New York Balletttän­zerin. Als das Geschick sie zusammenfü­hrt, ist beider Karriere schon am Ende. Aber zusammen beginnen sie ein neues Leben an dem Ort, wo Maxwell einst so etwas wie Heimat gefunden hatte, in Myrthel Spring am Rande der Wüste mit den hunderten von Yuccas.

»Myrthel Spring – schon der Titel ist poetisch«, sagt der Schriftste­ller Glenn Winston, der alles aufschreib­en will, »und eines Tages kamen sie nach Myrthel Spring, all die Verlorenen, Verkannten und Verwundete­n, und sie fanden ...« Was sie fanden, weiß keiner.

Nur die ewige Unruhe gesteht die Autorin den Kindern des Zufalls zu.

Astrid Rosenfeld: Kinder des Zufalls. Roman. Kampa Verlag,

270 S., geb., 22 €.

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