Das ist Sendegold!
Im neuen Roman von Timo Vermes will ein ganzes Flüchtlingslager von Afrika nach Deutschland kommen – auf dem Landweg
Eine der größten Ablenkungsaktionen des Kapitals ist die Sache mit den Flüchtlingen. Als wenn es wegen ihnen ständig mehr Nazis geben würde. Nazi ist noch mal wer? Hermann L. Gremliza hat es in der Septemberausgabe von »Konkret« auf den Punkt gebracht: »Nazi ist jeder Bürger, den es weniger besorgt, Ausländer und ihre Heime brennen zu sehen als Autos. Nazi, Zugabe, ist auch der Waagscheißer, der, weil wir ›schließlich in einem Rechtsstaat leben‹, ›das eine so schlimm wie das andere‹ findet und also den Wert eines Menschen auf den eines Blechhaufens herunterbringt.«
Haben solche Leute gut lachen über Timur Vermes' neuen Roman »Die Hungrigen und die Satten«? Das glaubt man zumindest während der ersten Hälfte des Buchs, das davon handelt, wie in naher Zukunft 150 000 Flüchtlinge in Afrika starten, um nach Deutschland zu kommen – zu Fuß. Sie nehmen den Landweg und werden begleitet vom Fernsehen. So wie Vermes sein Personal schildert, Politiker sind bei ihm schwul, Medienleute dumm (besonders die Frauen) und Flüchtlinge ebenso drollig wie clever, so ticken auch die Rechten. Und die bürgerlichen Medien jubeln, das sei doch irgendwie satirisch gemeint.
Was für eine clevere Geschäftsidee. Simpel, aber effektiv, wie auch schon Vermes' Erstling von 2012 »Er ist wieder da«. Darin war Hitler zu neuem Le- ben erwacht und marschierte geradewegs in die Talkshows, wo ihn alle toll fanden. Hitler geht immer, nicht nur auf den unzähligen Titelblättern des »Spiegel« (»Hitlers Uhr, Deutschlands Geheimnis«). Das Buch wurde ein Welterfolg, fast zwei Millionen Mal verkauft.
Im neuen, Roman erschafft ein deutscher Privatsender in Afrika einen Superstar. Aus der geistig armen Moderatorin Nadeche Hackenbusch wird der »Engel im Elend«. Erst macht sie erfolgreich eine Reality-Show in einem Füchtlingslager und dann setzt sich das ganze Lager in Bewegung, um nach Deutschland zu gelangen, eben weil es da besser ist. Und weil Hackenbusch glaubt, sie könne diese Men- schen nicht verlassen, weil die sie brauchen würden. Deshalb sollen alle mit ihr gehen.
Katharsis in der »Dritten Welt.« Im TV-Sender sind sie völlig aus dem Häuschen: »... das ist Sendegold! Eine Moderatorin, die mal an das glaubt, was sie tut!«
Dieser »Engel im Elend« schafft Einschaltquoten wie die Straßenfeger in den 60er Jahren, als es nur drei Programme gab. Die Preise für die Werbeplätze explodieren. Die Zuschauer sind uneins. Die einen spenden für Sojamehl als Nah- rung für die Flüchtlinge, die anderen bekommen Panik und gehen auf Demos mit mehr als 100 000 Teilnehmern und rufen: »Statt Spendengeld und Sojamehl: Mauerbau und Schießbefehl!«
Die Flüchtlinge laufen unaufhaltsam jeden Tag 15 Kilometer, versorgt mit Strom, Wasser, Nahrung und Toilettenwagen – eine mobile Infrastruktur, organisiert von Schleppern, die von den Flüchtlingen bezahlt werden. Abgerechnet wird nicht in bar, sondern über das Handy – genial. Das muss auch die deutsche Regierung anerkennen. Ausgerechnet der Innenminister von der CSU will alle Flüchtlinge willkommen heißen, denn das ominöse »Boot« sei nicht voll, sondern »halbleer« und wachse mit der Wirtschaft, sagt er live im Fernsehen – und wird dann nicht mehr lange leben.
Die Flüchtlinge aber auch nicht. An der deutschen Grenze zu Österreich kommt es zur Katastrophe. Erst danach ändert die BRD ihre Einwanderungspolitik grundlegend – Wohlstand für alle, ganz so, wie es Ludwig Erhard stets gesagt hat. Klingt gut. Ist es aber nicht. Wahrscheinlich habe Israel die Flüchtlinge auf dem Gewissen, deutet Vermes zum Schluss an. Sie sollten sterben, damit die Deutschen durch den Zustrom der Flüchtlinge nicht zu Nazis werden. Diese letzte Pointe dürften viele komische Leute köstlich finden.
Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Roman. Hoffmann und Campe,
512 S., geb., 22 €