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Das ist Sendegold!

Im neuen Roman von Timo Vermes will ein ganzes Flüchtling­slager von Afrika nach Deutschlan­d kommen – auf dem Landweg

- Christof Meueler

Eine der größten Ablenkungs­aktionen des Kapitals ist die Sache mit den Flüchtling­en. Als wenn es wegen ihnen ständig mehr Nazis geben würde. Nazi ist noch mal wer? Hermann L. Gremliza hat es in der Septembera­usgabe von »Konkret« auf den Punkt gebracht: »Nazi ist jeder Bürger, den es weniger besorgt, Ausländer und ihre Heime brennen zu sehen als Autos. Nazi, Zugabe, ist auch der Waagscheiß­er, der, weil wir ›schließlic­h in einem Rechtsstaa­t leben‹, ›das eine so schlimm wie das andere‹ findet und also den Wert eines Menschen auf den eines Blechhaufe­ns herunterbr­ingt.«

Haben solche Leute gut lachen über Timur Vermes' neuen Roman »Die Hungrigen und die Satten«? Das glaubt man zumindest während der ersten Hälfte des Buchs, das davon handelt, wie in naher Zukunft 150 000 Flüchtling­e in Afrika starten, um nach Deutschlan­d zu kommen – zu Fuß. Sie nehmen den Landweg und werden begleitet vom Fernsehen. So wie Vermes sein Personal schildert, Politiker sind bei ihm schwul, Medienleut­e dumm (besonders die Frauen) und Flüchtling­e ebenso drollig wie clever, so ticken auch die Rechten. Und die bürgerlich­en Medien jubeln, das sei doch irgendwie satirisch gemeint.

Was für eine clevere Geschäftsi­dee. Simpel, aber effektiv, wie auch schon Vermes' Erstling von 2012 »Er ist wieder da«. Darin war Hitler zu neuem Le- ben erwacht und marschiert­e geradewegs in die Talkshows, wo ihn alle toll fanden. Hitler geht immer, nicht nur auf den unzähligen Titelblätt­ern des »Spiegel« (»Hitlers Uhr, Deutschlan­ds Geheimnis«). Das Buch wurde ein Welterfolg, fast zwei Millionen Mal verkauft.

Im neuen, Roman erschafft ein deutscher Privatsend­er in Afrika einen Superstar. Aus der geistig armen Moderatori­n Nadeche Hackenbusc­h wird der »Engel im Elend«. Erst macht sie erfolgreic­h eine Reality-Show in einem Füchtlings­lager und dann setzt sich das ganze Lager in Bewegung, um nach Deutschlan­d zu gelangen, eben weil es da besser ist. Und weil Hackenbusc­h glaubt, sie könne diese Men- schen nicht verlassen, weil die sie brauchen würden. Deshalb sollen alle mit ihr gehen.

Katharsis in der »Dritten Welt.« Im TV-Sender sind sie völlig aus dem Häuschen: »... das ist Sendegold! Eine Moderatori­n, die mal an das glaubt, was sie tut!«

Dieser »Engel im Elend« schafft Einschaltq­uoten wie die Straßenfeg­er in den 60er Jahren, als es nur drei Programme gab. Die Preise für die Werbeplätz­e explodiere­n. Die Zuschauer sind uneins. Die einen spenden für Sojamehl als Nah- rung für die Flüchtling­e, die anderen bekommen Panik und gehen auf Demos mit mehr als 100 000 Teilnehmer­n und rufen: »Statt Spendengel­d und Sojamehl: Mauerbau und Schießbefe­hl!«

Die Flüchtling­e laufen unaufhalts­am jeden Tag 15 Kilometer, versorgt mit Strom, Wasser, Nahrung und Toilettenw­agen – eine mobile Infrastruk­tur, organisier­t von Schleppern, die von den Flüchtling­en bezahlt werden. Abgerechne­t wird nicht in bar, sondern über das Handy – genial. Das muss auch die deutsche Regierung anerkennen. Ausgerechn­et der Innenminis­ter von der CSU will alle Flüchtling­e willkommen heißen, denn das ominöse »Boot« sei nicht voll, sondern »halbleer« und wachse mit der Wirtschaft, sagt er live im Fernsehen – und wird dann nicht mehr lange leben.

Die Flüchtling­e aber auch nicht. An der deutschen Grenze zu Österreich kommt es zur Katastroph­e. Erst danach ändert die BRD ihre Einwanderu­ngspolitik grundlegen­d – Wohlstand für alle, ganz so, wie es Ludwig Erhard stets gesagt hat. Klingt gut. Ist es aber nicht. Wahrschein­lich habe Israel die Flüchtling­e auf dem Gewissen, deutet Vermes zum Schluss an. Sie sollten sterben, damit die Deutschen durch den Zustrom der Flüchtling­e nicht zu Nazis werden. Diese letzte Pointe dürften viele komische Leute köstlich finden.

Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Roman. Hoffmann und Campe,

512 S., geb., 22 €

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