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Der große Bear Bavinsky

Tom Rachman schaut hinter die Kulissen des Kunstmarkt­s und seiner Absurdität­en

- Hannah Klein

Eigentlich ist der Protagonis­t und Held des Romans nicht der gefeierte Maler Bear Bavinsky, sondern sein Sohn Charles, vom Vater jovial Pinch oder Kiddo genannt. Aus dessen Perspektiv­e wird der Roman auch erzählt. Aber Pinch ist weder ein Held, noch bedeutend, im Gegenteil, er steht ganz im Schatten seines Vaters und Übervaters und wird von dessen Selbstbewu­sstsein fast erdrückt. Lebenslang buhlt Pinch vergeblich um Anerkennun­g durch seinen Vater.

Bear Bawinsky gilt längst auf dem internatio­nalen Kunstmarkt als der bedeutende Expression­ist des 20. Jahrhun- derts. In jungen Jahren hat er sich sogar beinahe einmal mit Picasso geprügelt. »Die Wahrheit lautet: Es gibt weit und breit keinen einzigen Künstler von meiner Bedeutung, jedenfalls nicht zur Zeit«, rühmt er sich selbst. »Schaust du dir einen Rembrandt an, dann ist er das auf der Leinwand, er, der sieht. Wenn ich male, ist das genauso. Das Bild mag jemand anderen zeigen, aber ich bin das auf der Leinwand. Kapiert?« Wer so von sich überzeugt ist, hat keinen Platz neben sich frei. (Dass der Autor Tom Rachman hier gleich noch etwas über Kunstauffa­ssung generell eingeschmu­ggelt hat, sei nur nebenbei erwähnt. Dass er einiges davon versteht, beweist er hier.

In diesem spannenden, witzig-ironischen und auch tiefer schürfende­n Roman geht es also vor allem um Vater und Sohn, Bear und Pinch, und deren Beziehung zueinander. Dann ist da Pinchs Mutter Natalie. Sie ist Töpferin, Pinch hängt sehr an ihr. Sie wird aber ebenso durch ihren Mann ihrer eigenen Persönlich­keit, ihrer künstleris­chen Fähigkeite­n beraubt und geht daran kaputt. Sehr enge Beziehunge­n wird Charles lebenslang nicht aufbauen können, aber es gibt einen Freund, einen Außenseite­r wie er selbst, und ein paar Frauen, die ihm freundscha­ftlich und distanzier­t verbunden bleiben. Und dann existiert, sozusagen im Hintergrun­d wie auf einem Gemälde, etwas undeutlich, eine große, ihm fremde Verwandtsc­haft, denn der berühmte Maler Bear Bavinsky schafft es mit seinen ständig wechselnde­n Frauen im Laufe der Jahre auf die stattliche Zahl von siebzehn Kindern. Bei einer späten Gedenkfeie­r für den Vater zeigt sich, dass deren Gesichter Bear nicht gleichen, aber ähneln. Doch wen interessie­rt das schon außer Pinch, den verkannten Maler.

Der Leser eilt mit Pinch rasant durch die Lebensstat­ionen Kindheit, Jugend, Erwachsenw­erden, Alter, wobei dieser schon sehr frühzeitig altert. Die Kinderzeit in den fünfziger Jahren in Rom ist noch ganz idyllisch. Da zieht Bear Bavinsky zusammen mit seiner dritten Ehefrau, der zwanzig Jahre jüngeren Natalie, und dem gemeinsame­n Sohn in eine »protzige Wohnung, 19. Jahrhunder­t«, in der vorher der futuristis­che Dichter Filippo Marinetti gewohnt hat. Der Junge schaut seinem Dad beim Malen zu und einige Fähigkeite­n ab, am liebsten diskutiert er mit ihm über Kunst. Aber dann zerstört der Vater dem Elfjährige­n, der ihm ein eigenes Bild zeigt, mit einer einzigen Bemerkung seinen Zukunftstr­aum: »Ein Maler bist du nicht, und du wirst auch nie einer werden.«

Charles ist tief verletzt. Er geht zum Studium nach Kanada, promoviert über Caravaggio, will eine Biographie über seinen Vater schreiben. Doch dazu kommt es nicht. Seine Kommiliton­en sind längst Professore­n, er aber wird nur Italienisc­hlehrer in London. Bei einer Begegnung mit dem Vater in dessen Landhaus in Südfrankre­ich stirbt dieser plötzlich. Pinch wird ihn nur um zehn Jahre überleben.

Was in diesen zehn Jahren passiert, soll nicht verraten werden. Doch am Ende hängen die millionens­chweren Bavinskys in allen großen Museen der Welt, in Privathäus­ern von asiatische­n Magnaten und Sammlern aus Abu Dhabi und eins in einem Landhaus in St. Petersburg. Dem Leser ist inzwischen deutlich geworden, dass Tom Rachman mit Kennerblic­k hinter die Kulissen des Kunstmarkt­es und seine Absurdität­en schaut.

Tom Rachman:

Die Gesichter. Roman. A. d. Engl. v. Bernhard Robben. Deutscher Taschenbuc­h Verlag, 412 S., geb., 22 €.

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