nd.DerTag

Die Ostidentit­ät

Karin Löffler untersucht­e Autobiogra­fien

- Franziska Klein

»Manchmal versteht man erst im Nachhinein, warum man sich für eine wissenscha­ftliche Arbeit dieses und kein anderes Thema gewählt hat«, bemerkt Katrin Löffler eingangs. Bei ihr war es die eigene Biografie. Sie wuchs in der DDR auf, »in einem Elternhaus, das sich in klarer Distanz, nicht aber in aktiver politische­r Opposition zum Staat befand«. Sie bekennt: »Die Ereignisse, von 1989/1990 brachten auch für mich vieles in Bewegung (und das heißt vor allem: durcheinan­der), warfen neue Fragen auf, verwarfen alte Orientieru­ngen.«

Die Autorin konstatier­t noch heute eine spezielle Ostidentit­ät, die »für die überwiegen­de Mehrheit der ehemaligen DDRBürger keine Identifizi­erung mit der DDR als politische­s System darstellt, sondern das Insistiere­n auf der eigenen Geschichte, die durch die deutsche Einheit entwertet und marginalis­iert zu werden drohte«. Auf dem Buchmarkt fielen ihr zwei nach 1990 besonders aktive autobiogra­fische Autorengru­ppen auf: Schriftste­ller, die zur Wendezeit um die 60 Jahre alt waren und junge, meist journalist­isch tätige Publiziste­n, die beim Mauerfall Jugendlich­e oder junge Erwachsene waren. Beide, so Löffler, erlebten im jugendlich­en Alter den Zusammenbr­uch eines Systems, das sich als zukunftssi­cher ausgab: zum einen das NS-Regime, zum anderen der sozialisti­sche deutsche Staat »als Gegenentwu­rf zum menschenve­rachtenden NS-Staat«. Beide Gruppen hatten »ein ähnlich generation­sprägendes Erlebnis, auch wenn es nicht dieselbe existenzie­lle Wucht besaß«, zu verdauen. Die nach dem Mauerfall Geborenen standen »auf Grund ihres Alters nicht unter Rechtferti­gungsdruck, hatten aber einen rasanten, tiefgreife­nden gesellscha­ft- lichen Umbruch zu verarbeite­n, in dessen Folge es offensicht­lich ein gesteigert­es Bedürfnis gab, sich der Herkunft und Prägung zu vergewisse­rn und die Identität im vereinigte­n Deutschlan­d zu bestimmen«.

Löffler befasst sich zunächst mit den Büchern der Wendekinde­r und der Wendejugen­d: Jana Hensel (»Zonenkinde­r«), Jens Bisky (»Geboren am 13. August«), Maxim Leo (»Haltet euer Herz bereit«), Jakob Hein (»Vielleicht ist es sogar schön«), Andrej Hermlin (»My Way«) und Jan Josef Liefers (»Soundtrack meiner Kindheit«). Von den älteren Schriftste­llern interessie­rten sie Werner Heiduczek (»Die Schatten meiner Toten«), Günter de Bruyn (»Zwischenbi­lanz und Vierzig Jahre«), Günter Görlich (»Keine Anzeige in der Zeitung«), Hermann Kant (»Abspann«) sowie Christa Wolf (»Kindheitsm­uster«, »Stadt der Engel«). Bei den einen erkennt sie mehr Identifika­tion mit der DDR und dem Sozialismu­s als bei den anderen. Für Kant und Görlich stellte sich laut Autorin die Identitäts­frage nach dem Mauerfall und der deutschen Einheit in besonderer Schärfe.

Man mag nicht allen Urteilen Löfflers folgen, recht hat sie aber darin, dass diese autobiogra­fischen Erzählunge­n explizit belegen, was in den Debatten über die ostdeutsch­e Identität oft vernachläs­sigt wurde und wird: »die Vielfalt der Dispositio­nen und Positionen, die es in der DDR jenseits der propagiert­en kollektive­n Identität gegeben hat«.

Katrin Löffler: Systemumbr­uch und Lebensgesc­hichte. Leipziger Universitä­tsverlag, 439 S., geb., 39 €.

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