Die Ostidentität
Karin Löffler untersuchte Autobiografien
»Manchmal versteht man erst im Nachhinein, warum man sich für eine wissenschaftliche Arbeit dieses und kein anderes Thema gewählt hat«, bemerkt Katrin Löffler eingangs. Bei ihr war es die eigene Biografie. Sie wuchs in der DDR auf, »in einem Elternhaus, das sich in klarer Distanz, nicht aber in aktiver politischer Opposition zum Staat befand«. Sie bekennt: »Die Ereignisse, von 1989/1990 brachten auch für mich vieles in Bewegung (und das heißt vor allem: durcheinander), warfen neue Fragen auf, verwarfen alte Orientierungen.«
Die Autorin konstatiert noch heute eine spezielle Ostidentität, die »für die überwiegende Mehrheit der ehemaligen DDRBürger keine Identifizierung mit der DDR als politisches System darstellt, sondern das Insistieren auf der eigenen Geschichte, die durch die deutsche Einheit entwertet und marginalisiert zu werden drohte«. Auf dem Buchmarkt fielen ihr zwei nach 1990 besonders aktive autobiografische Autorengruppen auf: Schriftsteller, die zur Wendezeit um die 60 Jahre alt waren und junge, meist journalistisch tätige Publizisten, die beim Mauerfall Jugendliche oder junge Erwachsene waren. Beide, so Löffler, erlebten im jugendlichen Alter den Zusammenbruch eines Systems, das sich als zukunftssicher ausgab: zum einen das NS-Regime, zum anderen der sozialistische deutsche Staat »als Gegenentwurf zum menschenverachtenden NS-Staat«. Beide Gruppen hatten »ein ähnlich generationsprägendes Erlebnis, auch wenn es nicht dieselbe existenzielle Wucht besaß«, zu verdauen. Die nach dem Mauerfall Geborenen standen »auf Grund ihres Alters nicht unter Rechtfertigungsdruck, hatten aber einen rasanten, tiefgreifenden gesellschaft- lichen Umbruch zu verarbeiten, in dessen Folge es offensichtlich ein gesteigertes Bedürfnis gab, sich der Herkunft und Prägung zu vergewissern und die Identität im vereinigten Deutschland zu bestimmen«.
Löffler befasst sich zunächst mit den Büchern der Wendekinder und der Wendejugend: Jana Hensel (»Zonenkinder«), Jens Bisky (»Geboren am 13. August«), Maxim Leo (»Haltet euer Herz bereit«), Jakob Hein (»Vielleicht ist es sogar schön«), Andrej Hermlin (»My Way«) und Jan Josef Liefers (»Soundtrack meiner Kindheit«). Von den älteren Schriftstellern interessierten sie Werner Heiduczek (»Die Schatten meiner Toten«), Günter de Bruyn (»Zwischenbilanz und Vierzig Jahre«), Günter Görlich (»Keine Anzeige in der Zeitung«), Hermann Kant (»Abspann«) sowie Christa Wolf (»Kindheitsmuster«, »Stadt der Engel«). Bei den einen erkennt sie mehr Identifikation mit der DDR und dem Sozialismus als bei den anderen. Für Kant und Görlich stellte sich laut Autorin die Identitätsfrage nach dem Mauerfall und der deutschen Einheit in besonderer Schärfe.
Man mag nicht allen Urteilen Löfflers folgen, recht hat sie aber darin, dass diese autobiografischen Erzählungen explizit belegen, was in den Debatten über die ostdeutsche Identität oft vernachlässigt wurde und wird: »die Vielfalt der Dispositionen und Positionen, die es in der DDR jenseits der propagierten kollektiven Identität gegeben hat«.
Katrin Löffler: Systemumbruch und Lebensgeschichte. Leipziger Universitätsverlag, 439 S., geb., 39 €.