Der Profite willen
Karsten Heinz Schönbach über NS-Kumpanei
Dieses Buch ist sehr wichtig – angesichts erstarkten Rechtsradikalismus in Deutschland. Auch wenn auf Bundesebene keine unmittelbare Gefahr droht, dass Rechtspopulisten in die Regierung gelangen, auf Länderebene ist sie akut (Bayern, Sachsen). Und es sind nicht nur die »kleinen« Leute, die AfD wählen, sondern auch die vielbeschworene Mitte und großbürgerliche Kreise. Insofern ist es verdienstvoll, dass sich Karsten Heinz Schönbach erneut der Frage annahm, wer die Nazis 1933 an die Macht brachte.
Er verweist auf marxistische Autoren und Kommunisten, die schon vor 1933 einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus sahen und geht auf die berühmte Dimitroff-Definition von Faschismus ein, 1935 vom VII. Kominternkongress verabschiedet. Aber auch auf USamerikanischer Seite, etwa von Finanzminister Henry Morgenthau und Senator Harley Kilgore, wurde schon während des Zweiten Weltkrieges eine Verantwortung der großen deutschen Wirtschaftsverbände für Hitlers Aufstieg und Machtantritt gesehen. Das Nürnberger Militärgericht klagte nach dem Krieg denn auch drei deutsche Konzerne (Flick, IG Farben, Krupp) der Ausplünderung der besetzten Gebiete an. Und in großen Teilen der deutschen Nachkriegsgesellschaft, so Schönbach, wurde gefordert, Monopole und Schlüsselindustrien zu vergesellschaften.
Der Autor zerfetzt Rechtfertigungsschriften deutscher Großindustrieller, beispielsweise die schon im Februar 1945 von Ernst Poensgen verfasste, man habe vor 1933 wenig Kontakt zu Hitler gehabt und einen Krieg schon gar nicht gewollt. Schönbach würdigt wirtschafts- und sozialpolitische Studien der DDR-Historikerzunft, insbesondere von Jürgen Kuczynski und Kurt Gossweiler als Pioniere sowie von Eberhard Czichon, dessen Buch »Wer verhalf Hitler an die Macht?« 1967 auch in der Bundesrepublik erschien, sowie die spätere dreibändige »Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft« von Dietrich Eichholtz. Ihnen allen gelangen beträchtliche Erkenntnisse und Einsichten, auch wenn den DDR-Forschern der Zugang zu den Archiven der westdeutschen Firmen verwehrt wurde. Peter Süß konstatierte einmal, dass die Firmengeschichtsschreibung in der Bundesrepublik von Anfang an »eine Domäne unternehmensnaher Historiographie« war, deren »Wiege« nicht in der Wissenschaft, sondern »in der Werbeabteilung der Unternehmen« gestanden habe. Und Dirk Stegmann kritisierte in den 1970er Jahren die »undurchschaubaren Selektionsmechanismen deutscher Firmenarchive oder Vorstandsetagen«. Allzu viel hat sich daran bis heute nicht geändert.
Schönbach übt aber auch Kritik an die von ihm ansonsten gelobte DDR-Forschung. Deren Historiker hätten oftmals dazu geneigt, das Verhalten der Manager eines einzelnen Konzerns auf die Haltung der gesamten Großindustrie bzw. aller Banken zu projizieren. Er erinnert daran, dass zeitgleich zu den frühen DDR-Forschungen der USAmerikaner George Hallgarten eine Studie publizierte, in deren Zentrum der Keppler-Kreis stand, eine zwangslose Vereinigung von deutschen Industriellen, Bankiers und Großgrundbesitzer, welche die Nazis unterstützt hatten. Laut Hallgarten war Hitlers Aufstieg ein Sieg der größten Stahl- und Kohle-Produzenten und ihrer Verbündeten im Versicherungsgewerbe sowie in der Chemieindustrie (IG Farben) über die Schwerindustrie. Das Buhlen um die Gunst der NSDAP-Führung war harter Konkurrenzkampf.
Kapitelweise untersucht Schönbach sodann die Unterlaufung des Versailler Vertrages durch die deutsche Rüstungsindustrie, die spätestens ab 1931 geschlossenen Bündnisse diverser Kapitalkreise mit Hitler sowie schließlich die Profite fast aller Industrien und Banken dank der Kriegswirtschaft und der Ausbeutung der okkupierten Länder. Ein großartiges Standardwerk, dem man Nachauflagen wünscht.
Karsten Heinz Schönbach: Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926 – 1943. Trafo, 656 S., br., 59,80 €.