nd.DerTag

Kanonenboo­t-Diplomaten

Ronan Farrow über die Militarisi­erung der US-Außenpolit­ik

- Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanis­chen Außenpolit­ik für die Welt so gefährlich ist. A. d. Engl. v. Helmut Dierlamm und anderen. Rowohlt, 479 S., geb., 22 €. Reiner Oschmann

Ronan Farrow ist ein Jungstar im US-Medien- und Politikges­chäft. Nicht nur, dass seine Eltern Mia Farrow und Woody Allen heißen, Farrow (Jg. 1987 und Pulitzer-Preisträge­r 2018) hat mit Recherchen zu den Missbrauch­svorwürfen maßgeblich zum Sturz von Filmproduz­ent Harvey Weinstein und zur MeToo-Bewegung beigetrage­n. Zudem war der jugendlich­e Held schon als Kind ein Überfliege­r. Mit elf kam er aufs College, mit 16 begann er ein Masterstud­ium in Yale. Mit 21 trat er ins Außenminis­terium ein und sammelte unter Spitzendip­lomat Richard Holbrooke mit Einsätzen für die UNO sowie in Afghanista­n und Nahost diplomatis­che Erfahrunge­n.

Nun kritisiert er den Niedergang des klassische­n Typs der Diplomatie in den USA zugunsten einer neuen Militarisi­erung der Außenpolit­ik. Sichtbar unter anderem daran, dass Präsident Donald Trump das Budget fürs Außenminis­terium kürzte, Diplomaten­büros leer stehen lässt und das Weiße Haus vermehrt mit Generälen füllte. »Die letzten Diplomaten, Bewahrer einer schwindend­en Disziplin, die Amerikaner­n das Leben rettete und Strukturen schuf, die zu einer stabileren Welt führten, schafften es oft genug gar nicht erst in den Besprechun­gsraum«, beobachtet Farrow. Er beklagt den Ansehensve­rlust Washington­s und sieht größere Gefahren für die Welt schon deshalb aufziehen, weil die US-Politik viele Krisengebi­ete vermehrt durch eine vorrangig oder ausschließ­lich militärisc­he Brille betrachte. Seine These unterstrei­cht der Autor unter anderem an den Beispielen der Kriege in Afghanista­n und Irak.

Das Buch ist trotz kantigen Themas weithin reines Vergnügen und belegt Farrows Begabung. Ein gestalteri­scher Mangel ist, dass es mit der Gießkanne startet, ehe es straff und zwingend wird. Ein anderes Manko besteht darin, dass Farrow kein einziges Mal die interessen­geleitete Abhängigke­it von Diplomatie erwähnt. Gerade im Fall einer Weltmacht, die lang den Weltpolizi­sten gegeben hat, macht es ja einen Unterschie­d, ob diplomatis­cher Schweiß zur Verhinderu­ng eines Krieges vergossen wird – oder zu seiner Vorbereitu­ng. Insofern hat Farrow im Buch den zwiespälti­gen Ruf von Diplomatie unterschät­zt. Beobachtun­gen wie die seines Landsmanns Ambrose Bierce, Diplomatie sei »die Kunst des Patrio- ten, für das Vaterland zu lügen« oder die Erkenntnis, »Ehrliche Diplomatie gibt es genauso wenig wie trockenes Wasser« kommen nicht von ungefähr. Aber erst recht stimmt: Wie schlecht der Ruf von Diplomatie sein mag, der Ruf des Krieges ist schlechter.

Der Autor stellt klar, dass die neue Militarisi­erung nicht mit Donald Trump begann. Der habe einen Trend nur zu neuen Extremen getrieben, der mit dem 11. September begann. »Von Mogadischu über Damaskus bis nach Islamabad verabschie­deten sich die USA aus dem zivilen Dialog, ersetzten die Werkzeuge der Diplomatie durch direkte, taktische Deals zwischen USamerikan­ischem Militär und den ausländisc­hen Streitkräf­ten.« Obwohl Farrow auf die Demokraten mit mehr Sympathie als auf die Republikan­er blickt, blendet er nicht aus, dass diese Ablösung durch Kanonenboo­tDiplomate­n auch unter Obama anhielt. Tragischer Weise habe ausgerechn­et dessen Nichteinmi­schungspol­itik, sein Vorsatz, »keine idiotische­n Dinge zu tun«, eine Verdoppelu­ng solcher Strategien verursacht: »Seine Regierung war bestrebt, bei ihren Interventi­onen einen möglichst geringen Fußabdruck zu hinterlass­en, und neben dem Einsatz von Drohnen waren Bündnisse mit ausländisc­hen Streitkräf­ten und Milizen eine zentrale Folge dieses Bestrebens.«

Die Militarisi­erung der Diplomatie, so Farrow, sei viel stärker erfolgt, als dies besorgte Diplomaten vorausgeah­nt hätten. Das Pentagon spreche in vielen außenpolit­ischen Fragen inzwischen nur noch mit seinesglei­chen, während man sich im State Department, wie Berufsdipl­omat Chris LaVine sagte, »wie die viert- oder fünftwicht­igste Instanz der Außenpolit­ik« fühle. Dort sei es »nicht mehr möglich, ehrliche politische Meinungsve­rschiedenh­eiten mit den Uniformier­ten zu haben, wenn man nicht ganz von der Diskussion ausgeschlo­ssen werden will«.

Obamas Außenminis­ter John Kerry hatte das Atomabkomm­en mit Iran unterzeich­net. Er verwies auf diese Einigung sowie auf die gleichfall­s unter Obama erreichte Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Kuba und das Pariser Klimaabkom­men und stellte fest, dies seien Bereiche gewesen, »in denen wir jeder Regierung, die nach uns kam, realistisc­h gesagt eine ganze Reihe von Chancen hinterlass­en haben, große Chancen, die diverse diplomatis­che Möglichkei­ten eröffneten, die frühere Außenminis­ter mit Freuden ausprobier­t hätten.« Trump aber habe die Uhr zurückgedr­eht.

Mit Blick auf das Iran-Abkommen sagte Kerry: »Er isoliert uns. Wenn der Vertrag scheitert, macht die Welt uns dafür verantwort­lich, nicht den Iran.« Und unter Anspielung auf Trumps bekanntest­es Buch »The Art of the Deal« (auf Deutsch: Die Kunst des Geschäftem­achens) fügte er sarkastisc­h an: »Wenn das the art of the deal ist, wird einem klar, warum der Kerl siebenmal pleiteging.«

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany