Sie will am Schorf kratzen
Madeleine Albright warnt vor einem neuen Faschismus
»Ich bin eine Optimistin, die sich viele Sorgen macht«, antwortet Madeleine Albright, wenn sie nach ihrer Erwartung an die Zukunft gefragt wird. Sie war USBotschafterin bei den Vereinten Nationen und danach bis 2001 Außenministerin der Vereinigten Staaten. Seitdem mischt sie sich mit Büchern in die politische Entwicklung und in Entscheidungen ein. In ihrem jüngsten Buch warnt sie vor Erscheinungsformen von Faschismus. Darunter versteht sie die italienische Variante, die mit dem Namen Mussolini verbunden ist, die stalinistische und natürlich die des Nationalsozialismus.
»Das Phänomen, das wir als Faschismus bezeichnen, spielte eine zentrale Rolle in meinem Leben.« Sie hatte gerade laufen gelernt, als sie mit ihren jüdischen Eltern im März 1939 aus dem Land ihrer Geburt, der Tschechoslowakei, vor den einmarschierten Deutschen nach London fliehen musste. Ihre Familie kehrte nach Kriegsende in ihre Heimat zurück und musste 1948 nach der kommunistischen Machtübernahme in Prag erneut fliehen – diesmal in die Vereinigten Staaten. Madeleine war damals elf Jahre alt. »Warum müssen wir jetzt noch, im 21. Jahrhundert erneut über Faschismus sprechen? Ein Grund dafür ist, offen gesagt, Donald Trump. Wenn wir uns den Faschismus als eine alte, fast verheilte Wunde vorstellen, bedeutete Trumps Amtsantritt im Weißen Haus, den Verband herunterzureißen und am Schorf zu kratzen.«
In ihrem Buch beschreibt sie kurz, als ob sie ihren amerikanischen Studenten die Welt erklärt, Entstehung und Verbrechen der italienischen und deutschen Faschisten. Nachdem das Phänomen benannt ist, ohne exakte Definition allerdings, lässt die Autorin die zahllosen faschistischen Regierungen Revue passieren, die nach dem Sieg über die Nazis auf nahezu allen Erdteilen ihre Gewaltherrschaft ausgeübt haben. Darunter finden sich Länder, in denen der verbrecherische Spuk inzwischen vorbei ist, so Chile, Südkorea, die Philippinen, Argentinien, Spanien, Portugal und Griechenland. Sie rechnet auch mit dem Kommunistenjäger im eigenen Land, mit Joseph McCarthy ab, den sie als faschistischen Verräter an den US-amerikanischen Freiheitsrechten beschreibt.
Interessant sind ihre Ausführungen zu den »Schwellenländern« des Faschismus, in denen ihrer Ansicht nach Kernbestandteile einer freiheitlicher Demokratie fehlen. Sie nennt hier Venezuela, die Türkei Erdoğans, Putins Russland, Ungarn und Polen, Nordkorea und natürlich die Länder des Nahen Ostens oder viele in Afrika. Natürlich kommt sie auch auf die AfD zu sprechen. Vor allem aber hat sie immer wieder die USA im Fokus. Sie belegt, was unter Trump an demokratischer Verlässlichkeit in den Vereinigten Staaten verloren gegangen ist und welcher Verrat dort gegenwärtig an den eigentlich »unveräußerlichen« Rechten verübt wird, die 1776 in der Gründungsurkunde der USA formuliert worden sind.
Madeleine Albright: Faschismus. Eine Warnung. A. d. Engl. v. Bernhard Jendricke und Thomas Wollermann. DuMont,
319 S., geb., 24 €.