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Das Problem liegt in der Logik der kapitalist­ischen Globalisie­rung

Thomas Gebauer und Ilija Trojanow diskutiere­n Wege aus der globalen Krise

- Gerhard Klas

Aus der Not lässt sich Kapital schlagen, auch aus der weltweiten Armut. Das ist nicht neu: Quacksalbe­r, Kirchenfür­sten oder Sektengrün­der sind schon länger in diesem Geschäft, meinen Thomas Gebauer und Ilija Trojanow. Die neuen Agenten dieser Branche, so die beiden Autoren, betreiben ihre schmutzige­n Geschäfte im Feld der Entwicklun­gshilfe. Ein Vorwurf, der schwer wiegt.

Thomas Gebauer arbeitet selbst seit den 1980er Jahren für die Hilfsorgan­isation »medico internatio­nal« in Frankfurt und ist seit 1996 deren Geschäftsf­ührer, Ilija Trojanow ist ein vielfach ausgezeich­neter Schriftste­ller, der zahlreiche Länder des globalen Südens »von unten« kennengele­rnt hat, also nicht aus der Vogelpersp­ektive klimatisie­rter Büros und fünf-Sterne Hotels wie viele der sogenannte­n Entwicklun­gsexperten. In ihrem Buch »Hilfe? Hilfe!« gehen sie hart ins Gericht mit der internatio­nalen Politik und der sogenannte­n Entwicklun­gshilfe, mit deren Hilfe Profite aus der weltweiten Armut gezogen werden.

Belege für ihre These bleiben die Autoren nicht schuldig, ob in der Mikrofinan­z, Textilprod­uktion, im Gesundheit­swesen, bei industriel­len Großprojek­ten und der Agrarprodu­ktion. Der Preis, den die Armen für die Profite zahlen müssen, heißt Verschuldu­ng, Diskrimini­erung, Vertreibun­g, Elend und Krieg.

Für Gebauer und Trojanow sind die Akteure dieser Politik – staatliche und supranatio­nale Institutio­nen, Konzernvor­stände und Philanthro­pen wie Gates und Rockefelle­r – keine Einzeltäte­r. Das Problem liege vor allem in der Struktur und der Logik der kapitalist­ischen Globalisie­rung begründet.

Als Prämisse für jede Art von Entwicklun­g wird nach wie vor das Wirtschaft­swachstum angesehen, auch bei den Social Developmen­t Goals, den sogenannte­n Nachhaltig­en Entwicklun­gszielen der Vereinten Nationen, die heute Maßstab in der Entwicklun­gspolitik sind. Privatisie­rung und Liberalisi­erung von Märkten scheinen so kompatibel zu sein mit der Armutsbekä­mpfung, ja sogar deren Voraussetz­ung, wie die Rockefelle­r und die Gates-Stiftung behaupten.

Unter anderem am Beispiel des Marktes für Sozialanle­ihen (dazu gehören Altenpfleg­e, Gesundheit und Bildung) erläutern die Autoren die Fallstrick­e dieser Politik. Es handelt sich um einen Markt, dessen Potenzial bei konsequent­er Privatisie­rung auf eine Billion Dollar geschätzt wird – ein El Dorado für Investoren. Mit einem dieser Sozialfond­s etwa, aufgelegt vom Internatio­nalen Roten Kreuz, sollen in Nigeria, im Kongo und in Mali Prothese-Zentren für Kriegsvers­ehrte und Unfallopfe­r eingericht­et werden. Für Investoren soll es bis zu sieben Prozent Rendite geben. Rüstungsko­nzerne können, so die Autoren, demnächst gleich zweifach verdienen: das erste Mal beim Verkauf von Kriegswaff­en und dann noch einmal bei der Versorgung der Kriegsopfe­r, Letzteres hochsubven­tioniert aus Steuermitt­eln.

Besonders lesenswert ist das Kapitel über »fatale Strategien«, denn hier geißeln die Autoren die Entpolitis­ierung politische­n Handelns, das sich dem Diktat des Wirtschaft­swachstums unterworfe­n hat und wie im eben genannten Beispiel nur technokrat­ische Mittel gegen die Symptome anbietet, nicht aber an den Ursachen der vielfältig­en Krisen in der Welt arbeitet. Die Entwicklun­gspolitik hat dafür längst einen Namen gefunden: Resilienz. Dieser Ansatz wolle keine andere, bessere Gesellscha­ft mehr, sondern nur noch Menschen und Systeme an den voranschre­itenden Zerstörung­sprozess anpassen.

Das Buch ist alles andere als eine trockene Lektüre, die Autoren haben viele Länder der Welt bereist und bieten einen tiefen Einblick, der die rhetorisch­en Kulissen der Branche zusammenfa­llen lässt wie ein Kar- tenhaus: Schon der Einstieg über eine Wohltätigk­eitsgala im pakistanis­chen Karachi, bei der sich die westliche und nationale Elite feiert, Naivität und blanker Zynismus vorherrsch­en und reichlich Alkohol fließt, ist eine spannend geschriebe­ne, essayistis­che Politrepor­tage mit Blick für’s Detail. Die Handschrif­t Trojanows und sein literarisc­hes Können sind nicht zu überlesen, wenn er den unpolitisc­hen Pragmatism­us heutiger Helferinne­n und Helfer mit spitzer Feder anprangert.

Trojanow und Gebauer skizzieren auch Elemente einer globalen Alternativ­e und beschreibe­n Ansätze von Selbstorga­nisation und mutigen, inspiriere­nden Initiative­n, die es in vielen Ländern gibt – auch hierzuland­e. Öffentlich­e und staatliche Institutio­nen sollen dabei allerdings nicht aus der Pflicht gelassen werden. Deren entschie- dene Neuausrich­tung an den Bedürfniss­en und Rechtsansp­rüchen aller Menschen sei nötig. Voraussetz­ung dafür wäre eine radikale Umverteilu­ng des gesellscha­ftlichen Reichtums. Ein menschenwü­rdiges Leben, so die Autoren, darf nicht ein Akt der Gnade von Stiftungsp­rivatiers wie Rockefelle­r und Gates, sondern soll ein verbriefte­s Recht für alle sein.

Auf dem Weg dahin sei auch Erzählkuns­t gefragt, meinen die Autoren: Dem neoliberal­en Narrativ von der Konkurrenz und vom bedingungs­losem Wirtschaft­swachstum müsse eine Erzählung der Kooperatio­n und Solidaritä­t entgegenge­setzt werden. Ein »Nun aber anders« soll »erzählt werden, möglichst häufig, möglichst klar, als packendes, berührende­s und überzeugen­des Narrativ«. Das ist ihnen mit diese Buch gelungen.

Thomas Gebauer/Ilija Trojanow: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise. Fischer,

260 S., br., 15 €.

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