nd.DerTag

Die Kümmerin

Max Baxmeyer porträtier­te die Anarchisti­n und Pazifistin Amparo Poch

- Werner Abel

Ihr Tod – sie war gerade mal 66 Jahre alt – fiel in jenes Jahr des Aufbruchs, in das Jahr 1968, in dem es aussah, als ob erneut einige der Ideale im Mittelpunk­t des Aufbegehre­ns standen, für die sie so leidenscha­ftlich in der Zeit der 2. Spanischen Republik gekämpft hatte. Sie wäre gebraucht worden, sicher, und sie hätte ihr Stimme erhoben, hätte sich eingemisch­t. So wie eine andere bekannte Frau, die Argentinie­rin Mika Etchebéhèr­e, ebenfalls Jahrgang 1902, die im Spanischen Bürgerkrie­g eine Milizeinhe­it kommandier­te und 1968 in Paris half, Barrikaden zu errichten. Das hätte Amparo Poch y Gascón als entschiede­ne Pazifistin vielleicht nicht getan, aber wie im Krieg wäre sie als Ärztin, Sozialrefo­rmerin, Pädagogin und Frauenrech­tlerin tätig gewesen. Nun aber war sie durch die Schwierigk­eiten der Emigration und durch einen unheilbare­n Hirntumor geschwächt; ihr furchtbare­s Ende entsprach so gar nicht der Lust, mit der sie gelebt hatte.

Amparo Poch y Gascón, 1902 in Zaragoza als Tochter einer begüterten, stockkonse­rvativen Familie geboren, trat schon früh in die Confederac­ión Nacional de Trabajo (CNT), die große anarchosyn­dikalistis­che Gewerkscha­ft, ein und war außerdem Mitglied des Partido Sindicalis­ta, 1938 wurde sie Nationalse­kretärin der Solidarida­d Internacio­nal Antifascis­ta, einem anarchisti­schen Pendant zum Internatio­nalen Roten Kreuz. Aber am bedeutsams­ten bei all ihrem sozialen, kulturelle­n, medizinisc­hen und pädagogisc­hen Engagement war wohl, dass sie im Frühjahr 1936 mit Mercedes Comaposada und Lucía Sánches Saornil die berühmte anarchofem­inistische Organisati­on »Mujeres Libres« gründete, die 1938 auf dem Höhepunkt ihres Wirkens 20 000 Mitglieder zählte und nach den der KP Spaniens nahestehen­den Agrupacion­es de Mujeres Antifascis­tas die größte Vereinigun­g von Frauen in dieser Zeit in Spanien war. Für die Notwenigke­it der »Mujeres Libres« gab es viele Gründe, die aus dem historisch­en Ringen um die Emanzipati­on der Frauen im auf diesem Gebiet elementar zurückgebl­iebenen Spanien resultiert­en, aber auch ein Reflex auf den anarchisti­schen Machismo, also die maskuline Dominanz in der anarchisti­schen Bewegung war. Es darf nicht vergessen werden, dass, anders als in den übrigen europäisch­en Ländern, der iberische Anarchismu­s eine Massenbewe­gung und die CNT die zweitgrößt­e Gewerkscha­ft Spaniens war. Der traditione­lle Machismo in der anarchisti­schen Bewegung wurde noch verstärkt durch die anhaltende Rezeption der frauenfein­dlichen Ideen Pierre-Joseph Proudhons, dessen »Pornokrati­e« jede weibliche Emanzipati­on als verwerflic­h und sittenwidr­ig denunzier- te. Die Mujeres Libres lehnten wie schon ihre Vorläuferi­nnen den tradierten Feminismus als eine bürgerlich­e Bewegung ab, weil er sich nur auf die gehobenen Schichten orientiere, die Unterschie­de der Geschlecht­er betone und auf eine lediglich formale Emanzipati­on ausgericht­et sei. Tatsächlic­h aber gehe es um die Gleichstel­lung der Geschlecht­er, um die gleiche Stellung in der Produktion und beim Zugang zu Bildung und Wissen. Martin Baxmeyer schreibt, dass das wichtigste Ziel der Mujeres Libres die Befreiung der Frau aus ihrer »dreifachen Versklavun­g« gewesen sei: Aus der Versklavun­g durch den kapitalist­ischen Arbeitsmar­kt und die Lohnabhäng­igkeit, durch die Familien und Beziehunge­n, in denen die Männer bestimmen, und schließlic­h durch ihre Unwissenhe­it. Die erste Form könne, so die Überzeugun­g, durch die soziale Revolution gelöst werden, die anderen beiden durch die Frauenorga­nisation und durch die politische Arbeit.

Amparo war Pazifistin, Präsidenti­n der Liga der Kriegsgegn­er und lehnte Waffen und deren Gebrauch ab. Die Waffen, mit denen eine Revolution gemacht würde, könnten die gleichen sein, die genutzt werden, um die Errungensc­haften der Revolution wieder zu beseitigen. Aber trotz des Pazifismus leitete sie ein Feldlazare­tt bei der Schlacht um Madrid. Sie kümmerte sich aber auch um Kinder, vor allem um Waisen als Opfer des Krieges. Für sie entwickelt­e sie die Farm-Schulen mit einem an der Natur orientiert­en Unterricht, in dem Ausbildung und Bildung in einem idealen Verhältnis zueinander standen.

Amparo war überzeugte Anarchisti­n, aber sie unterstütz­te den »Sündenfall« der CNT, die mit vier Ministern in die von Largo Caballero geführte Regierung eintrat. Sie wurde Unterstaat­ssekretäri­n bei Federica Montseny, die das Gesundheit­sministeri­um leitete und die erste Ministerin in einem westeuropä­ischen Land war. Viele Erlasse dieses Ministeriu­ms gingen auf die Intentione­n von Amparo Poch y Gascón zurück. Und es war schließlic­h der anarchisti­sche Minister Juan García Oliver, der am 4. März 1937 das Gesetz über die juristisch­e Gleichstel­lung der Frau erließ.

Mit seinem kleinen, hochinform­ativen Buch machen Martin Baxmeyer und der Verlag Graswurzel­revolution mit Amparo Poch y Gascón dem deutschen Leser eine der Heldinnen der iberischen Frauenbewe­gung und der spanischen Revolution bekannt. Überdies ist es auch ein mit Gewinn zu lesender Auszug aus der Geschichte der libertären Bewegung.

In ihrer Heimat, im Aragón, wird heute übrigens mit Stolz an Amparo erinnert. So trägt eine Frauenorga­nisation ihren Namen und 2002 wurde in ihrer ehemaligen Universitä­t in Zaragoza der größte Raum durch den Rektor zur »Sala Amparo Poch y Gascón« erklärt .

Max Baxmeyer: Amparo Poch y Gascón. Biographie und Erzählunge­n aus der spanischen Revolution. Graswurzel­revolution, 152 S., br.,13,90 €.

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