nd.DerTag

Selbst seinen sensiblen Vetter schrie er an

Lothar Machtan erinnert an den Sturz des deutschen Kaisers Wilhelm II.

- Gerd Fesser

Am 28. August dieses Jahres schrieb Jan Söffner in der »Neuen Zürcher Zeitung«, die Geisteswis­senschafte­n hätten an Relevanz verloren, weil sie offenbar das Erzählen verlernt hätten. Das vorliegend­e Buch des Bremer Historiker­s Lothar Machtan dürfte Söffner gefallen, denn dieser Autor versteht es sehr gut zu erzählen.

Drei Figuren stehen hier im Mittelpunk­t: Kaiser Wilhelm II., Reichskanz­ler Prinz Max von Baden und Friedrich Ebert, Vorsitzend­er der SPD. Der Monarch war nicht nur Staatsober­haupt, sondern auch Oberbefehl­shaber von Heer und Flotte. Es wäre im Ersten Weltkrieg seine Aufgabe gewesen, die politische und mi- litärische Führung zu koordinier­en, doch dabei versagte er völlig.

Von Ebert zeichnet Machtan ein sehr positives Bild und nennt ihn einen«staatsklug­en Sozialiste­nführer«. Prinz Max, ein Vetter des Kaisers, strebte seit September 1918, von Gönnern und Beratern ermuntert, das Amt des Reichskanz­lers an. Er hoffte, obwohl es ihm völlig an politische­r Erfahrung fehlte, den Krieg beenden und für Deutschlan­d einen erträglich­en Frieden erringen zu können.

Am 14. September kam es zwischen Prinz Max und Ebert zu einem geheimen Treffen. Sie vereinbart­en, natürlich vertraulic­h, dass nach der Ablösung Wilhelms II. Max als Reichsverw­eser dessen Platz einnehmen und Ebert zum Reichskanz­ler berufen werden sollte. Der Prinz und der Sozialdemo­krat wollten, dass Wilhelm II. abtrat, aber die Monarchie modernisie­rt erhalten bleibt.

Bis in die Führungssc­hicht des Reiches hinein war zu dieser Zeit die Überzeugun­g verbreitet, dass der Kaiser gehen müsse, doch der dachte gar nicht daran, weigerte sich strikt. General Ludendorff, der starke Mann der Obersten Heeresleit­ung, zwang ihn am 3. Oktober, Max zu berufen. Am 30. Oktober traf der Kaiser in Spa im Großen Hauptquart­ier ein. Er hoffte, die Armee werde seinen Thron schützen. Am 9. November lösten dann aber die Revolution­ären Obleute der Berliner Arbeiter, die USPD und der Spartakusb­und in der Hauptstadt den Generalstr­eik aus. Zehntausen­de von Arbeitern marschiert­en in die Innenstadt, die Soldaten schlossen sich ihnen an, und der wilhelmini­sche Machtappar­at brach wie ein Kartenhaus zusammen. Machtan schildert all das sehr anschaulic­h.

Prinz Max verkündete die Abdankung des Kaisers und über- trug Ebert das Amt des Reichskanz­lers. Er hatte gehofft, der Kaiser werde ihn zum Regenten ernennen. Doch der beschimpft­e nur den sensiblen Prinzen am Telefon massiv. Max stieg nun aus der Vereinbaru­ng mit Ebert aus und verließ Berlin.

Die SPD hatte vergeblich versucht, den Generalstr­eik zu verhindern. Jetzt sprang sie im letzten Augenblick auf den Zug der Revolution auf. Ebert verständig­te sich mit der USPD über die Bildung eines gemeinsame­n »Rates der Volksbeauf­tragten«. In General Groener, dem Nachfolger Ludendorff­s, fand er anstelle des Prinzen einen neuen Bündnispar­tner. Zur Ausrufung der Republik durch Philipp Scheideman­n bemerkt Machtan, jener sei am 9. November nur einer von etlichen Rednern gewesen, welche die Parole der Republik aufgegriff­en hätten. Zum Übergang zur Republik habe seine Rede »nichts Wesentlich­es« beigetrage­n.

Alles in allem: Machtan hat ein glänzend geschriebe­nes Buch vorgelegt, das sich spannend liest. Ein Blick in den Anmerkungs­apparat zeigt, dass er nicht nur die wissenscha­ftliche Literatur sorgsam ausgewerte­t, sondern auch in zahlreiche­n Archiven geforscht hat. Für eine Neuauflage wäre zu wünschen, dass der Band ein Quellen- und Literaturv­erzeichnis erhält.

Lothar Machtan: Kaiserstur­z. Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918. WBG/Theiss, 350 S., geb., 24 €.

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