nd.DerTag

Wesen der Dunkelheit

Nikola Huppertz über ein Thema, das auch Erwachsene schwer verstehen

- Irmtraud Gutschke

»In Erinnerung an Ilse. N.H.« – Kinder werden sich womöglich gleich dem Text und den Bildern zuwenden und diese Widmung unbeachtet lassen. Dabei ist sie wohl ein Schlüssel, weil gute Bücher meist ihre verborgene­n Urgründe haben. Aus einem Schmerz lodert ein Feuer, das schreibend gebändigt wird. Wenn es hindurchlo­dert durch den Text, entstehen »heiße Stellen«, die man beim Lesen als besonders einprägsam erlebt.

Nun ist dies freilich ein Buch für Kinder, das eine klare, kindgerech­te Sprache braucht. »Es war bestimmt nicht normal, dass meine Mutter plötzlich die halbe Nacht im Sessel saß und in die Dunkelheit sah.« Es ist ein kleines Mädchen, das erzählt. »Fridi, deine Mutter ist verrückt«, sagten die Freundinne­n. »Aber verrückt fand ich sie nun doch nicht.«

Was heißt verrückt? Was heißt normal? Auf jeden Fall ist dies ein Buch, das nach Gesprächen zwischen Kindern und Erwachsene­n ruft. Mit Garantie werden das höchst interessan­te Unterhaltu­ngen sein, in denen niemand die Wahrheit gepachtet hat und sicher auch die Kleinen den Großen manche Denkanstöß­e geben. Sowieso sind die besten Kinderbüch­er ja die, die auch Erwachsene­n etwas geben.

Wenn Fridi aus der Schule kam, zeigte ihr die Mutter gern Bilder, die ihr besonders gut gefielen. »Von Bergen in einem Ne- belmeer zum Beispiel oder einem See im Mondschein.« Auf der Illustrati­on von Thomas Krejtschi ist eine Buchseite zu Edvard Munch aufgeschla­gen. Und Mörikes Gedicht »von der Mitternach­t ..., in der die Quellen das Wort behalten«, ist am Schluss des Bandes abgedruckt ebenso wie Eichendorf­fs »Der Abend«.

In fahlen Farben hat Thomas Krejtschi gemalt. Die Mutter trägt fast immer Rauchblau oder Grau. Manchmal war es, »als würde alles um uns herum verzaubert«, wenn die Mutter der Tochter auf der Querflöte vorpielte.

Aber Nikola Hupertz verklärt, vereinfach­t nichts. Sie hat es ja bei »Ilse« erlebt, was diese Krankheit bedeutet, an der viel mehr Menschen leiden als zugegeben wird. Jeder fünfte Bundesbürg­er würde einmal im Leben davon betroffen sein, heißt es seitens der Stiftung Deutsche Depression­shilfe, die auf ihrer Webseite dafür wirbt, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und Klinikadre­ssen mitteilt. So gesehen, scheint es erst einmal wie eine Verleugnun­g, dass der Vater zu dem kleinen Mädchen sagt: »Deine Mutter ist eine Fee, Fridi ... Darum kann sie die Erde rauschen hören – zumindest von Zeit zu Zeit ... Feen sind Wesen der Dunkelheit, weißt du?«

Er liebt seine Frau, will sie akzeptiere­n, wie sie ist. Und ist es nicht so, dass in einem Makel auch ein Gewinn stecken kann? Was geschieht mit Fridis Mutter, nachdem sie wieder mal »eingewiese­n« werden musste? Als was für eine Person wird sie zurückkehr­en?

Nikola Huppertz u. Tobias Krejtschi: Meine Mutter, die Fee. Tulipan Verlag, 36 S., geb., 15 €.

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