Stöhn, Schnauf, Stampf
Julian Tuwim: Seine Kindergedichte sind Vergnügen vom Allerfeinsten
Im Radiosender Birkenhain wird eine Vogelvollversammlung übertragen. Die klügsten Köpfe von nah und fern sind zusammengekommen, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Erster Tagesordnungspunkt ist das Rascheln im Gras am sehr frühen Morgen. »Woher kommt es, wer ist es, muss man sich schützen oder gar sorgen?«, reimt der Verfas- ser, oder besser gesagt der deutsche Nachdichter James Krüss: »Vielleicht kommt es vom Frühsport-Baden im Tau auf unserem Sommerrasen! Wer stellt die Halme wieder auf? So können wir es nicht lassen!« Und dann dieses Echo! »Wo versteckt es sich wieder? Plärrt frech einfach nach unsere schönen Lieder und das, wenn wir ehrlich sind, ziemlich schlecht. Und haben nicht wir das Urheberrecht?«
Es dürfte ein Vergnügen vom Allerfeinsten sein, einem Kind von vielleicht vier, fünf, sechs oder sieben Jahren diese wohlziselierten und humorvollen Verse vorzulesen, denn sie knüpfen an Verhaltensweisen an, die jedem schon begegnet sind – egal, ob klein oder groß: Die eitle Nachtigall als erste Rednerin will sich nur selbst präsentieren und hat in der Sache gar nichts zu sagen. Jemand beschwert sich über den Ton des Vorredners, ein Vögelchen will den Wurm des Nachbarn erwischen, dem nächsten ist der Zustand des Rasens egal. Tiriliere, Gezwitscher, Gekreisch. Worum es gehen sollte, ist längst vergessen und am Ende muss die Vogelpolizei einschreiten. Kommt einem doch irgendwie aus dem täglichen Leben bekannt vor.
Kurz nach dem Tod des polnischen Feingeistes und Dichters Julian Tuwim erschien schon Mitte der 50er Jahre im Kinderbuchverlag der DDR seine Geschichte von der Lokomotive. Sie erzählt von diesem für Kinder so faszinierenden Gefährt, gibt Antwort auf die Fragen nach Gestöhn, Geschnauf, Gestampf und beschreibt den Inhalt der Waggons von Bananen über wilde Tiere bis hin zu dicken Männern, die Würste essen: »Und immerzu plappern die Räder – ihr wisst es: ›So ist es, so ist es, so ist es, so ist es!‹« Später erschienen Tuwims Texte in verschiedenen Verlagen unter Beteiligung unterschiedlicher Illustratoren. Jan Lewitt und George Him gestalteten in den 30er Jahren die Originalausgabe. Der leiv-Verlag nahm neben der titelgebenden »Lokomotive« noch das unvergessene »Rübchen« in die Sammlung auf. Oma und Opa, Huhn und Fuchs, Frosch und Storch ziehen hier ausnahmsweise mal an einem Strang und buddeln mit Hingabe die riesengroße Frucht aus. Drei herrliche Geschichten auf einen Streich.
Julian Tuwim: Die Lokomotive. Ill v. Jan Lewitt u. Georg Him. Leib Verlag, 48 S., geb., 12,90 €.