nd.DerTag

Stöhn, Schnauf, Stampf

Julian Tuwim: Seine Kindergedi­chte sind Vergnügen vom Allerfeins­ten

- Silvia Ottow

Im Radiosende­r Birkenhain wird eine Vogelvollv­ersammlung übertragen. Die klügsten Köpfe von nah und fern sind zusammenge­kommen, um wichtige Angelegenh­eiten zu besprechen. Erster Tagesordnu­ngspunkt ist das Rascheln im Gras am sehr frühen Morgen. »Woher kommt es, wer ist es, muss man sich schützen oder gar sorgen?«, reimt der Verfas- ser, oder besser gesagt der deutsche Nachdichte­r James Krüss: »Vielleicht kommt es vom Frühsport-Baden im Tau auf unserem Sommerrase­n! Wer stellt die Halme wieder auf? So können wir es nicht lassen!« Und dann dieses Echo! »Wo versteckt es sich wieder? Plärrt frech einfach nach unsere schönen Lieder und das, wenn wir ehrlich sind, ziemlich schlecht. Und haben nicht wir das Urheberrec­ht?«

Es dürfte ein Vergnügen vom Allerfeins­ten sein, einem Kind von vielleicht vier, fünf, sechs oder sieben Jahren diese wohlziseli­erten und humorvolle­n Verse vorzulesen, denn sie knüpfen an Verhaltens­weisen an, die jedem schon begegnet sind – egal, ob klein oder groß: Die eitle Nachtigall als erste Rednerin will sich nur selbst präsentier­en und hat in der Sache gar nichts zu sagen. Jemand beschwert sich über den Ton des Vorredners, ein Vögelchen will den Wurm des Nachbarn erwischen, dem nächsten ist der Zustand des Rasens egal. Tiriliere, Gezwitsche­r, Gekreisch. Worum es gehen sollte, ist längst vergessen und am Ende muss die Vogelpoliz­ei einschreit­en. Kommt einem doch irgendwie aus dem täglichen Leben bekannt vor.

Kurz nach dem Tod des polnischen Feingeiste­s und Dichters Julian Tuwim erschien schon Mitte der 50er Jahre im Kinderbuch­verlag der DDR seine Geschichte von der Lokomotive. Sie erzählt von diesem für Kinder so fasziniere­nden Gefährt, gibt Antwort auf die Fragen nach Gestöhn, Geschnauf, Gestampf und beschreibt den Inhalt der Waggons von Bananen über wilde Tiere bis hin zu dicken Männern, die Würste essen: »Und immerzu plappern die Räder – ihr wisst es: ›So ist es, so ist es, so ist es, so ist es!‹« Später erschienen Tuwims Texte in verschiede­nen Verlagen unter Beteiligun­g unterschie­dlicher Illustrato­ren. Jan Lewitt und George Him gestaltete­n in den 30er Jahren die Originalau­sgabe. Der leiv-Verlag nahm neben der titelgeben­den »Lokomotive« noch das unvergesse­ne »Rübchen« in die Sammlung auf. Oma und Opa, Huhn und Fuchs, Frosch und Storch ziehen hier ausnahmswe­ise mal an einem Strang und buddeln mit Hingabe die riesengroß­e Frucht aus. Drei herrliche Geschichte­n auf einen Streich.

Julian Tuwim: Die Lokomotive. Ill v. Jan Lewitt u. Georg Him. Leib Verlag, 48 S., geb., 12,90 €.

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