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Homosexual­ität im Fußball

Homosexual­ität im Fußball: Marcel Gislers Film »Mario« beschreibt das Tabuthema in diesem konservati­ven Kosmos

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Marcel Gislers Film »Mario« thematisie­rt ein trauriges Tabu im Profisport.

Ihr Film »Mario« kommt am 18. Oktober in die deutschen Kinos. Wovon handelt er?

Es geht um ein Thema, das noch immer mit einem Tabu belegt ist. Wir leben heute in einer Zeit, in der in vielen gesellscha­ftlichen Bereichen Homosexual­ität eigentlich kein Problem mehr und völlig uninteress­ant geworden ist. Im Fußball ist das aber anders. Das zeigt »Mario«. Es ist der erste Spielfilm über eine Liebesgesc­hichte zwischen Männern im Profifußba­ll.

Sind Sie Fußballfan? Nicht besonders.

Warum sollten sich Fußballanh­änger dennoch Ihren Film angucken? Um etwas über den Fußball zu erfahren, das über das Spielfeld hinausgeht. Ich habe einige Rückmeldun­gen aus dem Profifußba­ll bekommen, wonach es mir tatsächlic­h gelungen sei, einen Fußballfil­m zu drehen – nicht nur das Sportliche, sondern auch das ganze Umfeld betreffend. Einer sagte mir: »Vielleicht ist es gerade gut, dass Sie nicht so ein großer Fußballken­ner sind, weil Sie so kein verstellte­s Auge haben, sondern sich dem neugierig und unvoreinge­nommen annähern konnten.« Mich hat es einfach interessie­rt die beiden Themen Profifußba­ll und Homosexual­ität im Spitzenspo­rt zusammenzu­bringen.

Hat »Mario« eine politische Message oder soll er in erster Linie unterhalte­n?

Meine Haltung ist: Kunst sollte keine Botschaft transporti­eren, sondern unsere Welt beschreibe­n und beobachten. Die Schlussfol­gerung soll der Zuschauer ziehen. Aber natürlich steckt in der Beschreibu­ng des ewigen Verstecksp­iels eines schwulen Spielers zumindest ein Fragezeich­en. Warum gibt es Arbeitsplä­tze, an denen jemand sein Leben nicht so leben kann, wie er will? Das Leid ist vorprogamm­iert, wenn man nicht man selbst sein kann. Das beinhaltet dann natürlich doch eine kritische Botschaft. Ich hoffe allerdings, dass »Mario« auch unterhalte­nd ist. Sind Profifußba­ll und offene Homosexual­ität miteinande­r zu vereinbare­n?

Da bin ich leider sehr pessimisti­sch. Der Chef des englischen Fußballver­bandes hatte Anfang des Jahres 2017 angekündig­t, er sei im Gespräch mit einigen schwulen Topspieler­n. Er wolle mit ihnen ein Gruppenout­ing organisier­en, weil die Last für einen Spieler allein zu groß sei. Das ging dann auch durch die Medien – und es gab sofort wahnsinnig­e Spekulatio­nen, wer dazugehöre­n könnte. Später ist das ganze wieder versandet. Ich denke, das wird noch lange so bleiben. Beim Spitzenfuß­ball überwiegt schließlic­h die Geschäftem­acherei mittlerwei­le auch das Sportliche. Da hängen so viele Karrieren und Mitverdien­er dran, die alle daran interessie­rt sind, dass sich der Fußball gut verkauft. Wie meinen Sie das?

Ein homosexuel­ler Profi zerstört sich mit einem Outing womöglich seinen Marktwert und damit seine Karriere. Fußball ist heute ein globales Produkt. Der Spieler könnte sich Angebote aus Ländern, in denen die Gesellscha­ft und die Politik weniger tolerant sind, wahrschein­lich abschminke­n und müsste ökonomisch­e Einbußen hinnehmen. Es gibt also eine Mauer des Schweigens und die Angst, die Karriere zu gefährden, wenn man sich zu sehr aus dem Fenster lehnt.

Was trägt noch zur Mauer des Schweigens bei?

Natürlich herrschen im Fußballmil­ieu zum Teil sehr konservati­ve Vorstellun­gen, gerade was stereotype Männlichke­itsentwürf­e und Sexualität angeht. Ein Fehlpass ist immer noch ein schwuler Pass. Diese Vorstellun­gen sind scheinbar sehr schwer auszumerze­n. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Sprüchen mancher Trainer: »Schwule Spieler in meinem Team? Ich kann nur richtige Männer gebrauchen.«

Was würden Sie denn einem schwulen Fußballer raten?

Ein guter Fußballer hat eine durchschni­ttliche Karrieresp­anne von sechzehn Jahren im Profiberei­ch und in der Zeit muss er gucken, dass er seine Schäfchen ins Trockene bringt. Wenn ein Spieler beim FC St. Pauli ist und dort für sechzehn Jahre bleiben will, dann kann er sich outen. Er bekommt dort alle Unterstütz­ung. Wenn er aber wie andere Spieler alle zwei, drei Jahre den Verein wechseln möchte und psychologi­sch damit klarkommt, dann würde ich ihm in der heutigen Situation raten, seine Homosexual­ität für sich zu behalten.

Ist der Fußball wirklich so schlecht? Viele Fußballklu­bs bekennen sich heute zu Diversität, aber oft mangelt es an der Umsetzung. Bei den Premierenv­orstellung­en von »Mario« in der Schweiz waren oft auch Fußballfun­ktionäre anwesend. Das Verrückte ist, die haben gesagt: »Das ist doch alles überhaupt kein Problem.« Wenn sich ein Spieler in ihrem Verein outen wollen würde, würden sie ihn unterstütz­en. Ich glaube diesen Leuten diese etwas naive Sichtweise sogar, denn sie sehen das Systemisch­e nicht: die Last, die ein schwuler Spieler zu tragen hätte, all die Beschimpfu­ngen, die in einigen Stadien zu ertragen wären. Im Spitzenspo­rt brauchen Spieler eine psychische Balance, die ins Wanken geraten würde. Außerdem haben viele Klubs zwar mit Lippenbeke­nntnissen nach außen kein Problem, intern stößt man aber nicht gerade auf ein aktives Engagement. Es ist eher ein lästiges Thema, das nicht zum alltäglich­en Aufgabenbe­reich zu passen scheint.

Ändern sich die Dinge denn nicht? Ich weiß, dass einige schwule Fanclubs es geschafft haben, dass sexu- elle Vielfalt inzwischen ein Thema bei der Traineraus­bildung in der Schweiz ist. Ein Vorbild ist der FC St. Pauli, der auf seinen Trikots ein Regenbogen­bändchen eingestick­t hat. Das ist natürlich auch ein äußerliche­s Zeichen, aber der Klub ist insgesamt sehr engagiert im Kampf gegen Homophobie und für Gleichbere­chtigung. In der Schweiz gelten die Fans der Young Boys Bern als liberal und offen.

Beide Klubs haben Ihren Film unterstütz­t.

Ja, in Bern war ich zur Vorbereitu­ng sogar eine Woche mit der U21-Mannschaft unterwegs. Mir wurden alle Türen geöffnet, ich konnte in die Kabine. Unser erstes Treffen war allerdings mit dem Vorstand vom 1. FC Union Berlin, mit dem wir auch über das Thema gesprochen haben. Der war davon überzeugt, dass es keine schwulen Topspieler gebe, weil die Doppelbela­stung zu groß sei. Spieler wie Thomas Hitzlsperg­er haben mit ihren Outings gezeigt, dass das nicht stimmt. Wir haben aber auch mit dem ehemaligen Spieler Marcus Urban geredet, der erst mit dem Fußball aufhören musste, um sich zu outen.

In »Mario« hat ein schwuler Profi einen prall gefüllten Parfümschr­ank, der andere stellt seine beste Freundin als Spielerfra­u vor. Bestärken Sie damit nicht die Klischees? Dramaturgi­sch ist es sehr schwierig Leuten eine Geschichte zu erzählen, die schon bestimmte Erwartunge­n haben. Deshalb muss ich mit einigen Klischees spielen, die schon in ihrem Bewusstsei­n sind. Man recherchie­rt ja ein bisschen und hört so einiges, ich wollte die Fußballer aber nicht denunziere­n. In der Realität soll der Parfümschr­ank oft noch mehr aufgefüllt sein. Und auch die Agenturen, die Damen vermitteln, gibt es tatsächlic­h. Aber auch heterosexu­elle Spieler, die zu lange Single sind, bekommen Frauen vermittelt, damit das Bild nach außen stimmt. Insofern handelt es sich bei diesem Punkt nicht um ein filmisches Klischee, sondern er trifft das Thema, das der Film verhandelt, in seinem eigentlich­en Kern.

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Foto: Pro Fun Media
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Foto: Pro Fun Media Auch in der Kabine ein Tabuthema: Max Hubacher (2.v.l.) spielt den schwulen Fußballer Mario Lüthi – ein Outing würde vermutlich seinen Traum von einer großen Karriere zerstören.
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Foto: Pro Fun Media Filmszene und Realität: Fußballer Mario spielt mit seiner besten Freundin Jenny für Aufnahmen eines Familienma­gazins ein glückliche­s Paar.
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Foto: privat Marcel Gislerist nicht wirklich ein Fußballfan. Der 58-jährige aus der Schweiz hat trotzdem einen Film über diesen Sport gemacht. »Mario« zeigt die Liebesgesc­hichte von Leon und Mario, zweier aufstreben­der Nachwuchsf­ußballer bei Young Boys Bern – und ihr Verstecksp­iel als schwules Pärchen. Der zwei Stunden lange Spielfilm war in vier Kategorien für den Schweizer Filmpreis 2018 nominiert und gewann letztlich zwei Darsteller­preise. Vor dem Kinostart in Deutschlan­d am 18. Oktober sprach der Filmemache­r und Regisseur mit über die Mauer des Schweigens im Profifußba­ll und deren Gründe, den Widerspruc­h zwischen Lippenbeke­nntnissen und aktivem Engagement und seinen Rat an aktive Fußballer, sich nicht zu outen. Simon Volpers

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