nd.DerTag

Aus dem Ferienhaus geholt

Hüseyin M. wurde in der Türkei von einer Antiterror­einheit festgenomm­en – nachdem er denunziert worden war

- Von Nelli Tügel

Ein Ferienaufe­nthalt in der Nähe von Izmir endete für den deutschen Staatsbürg­er Hüseyin M. aus Braunschwe­ig im Gefängnis. Ihm wird vorgeworfe­n, 2014 und 2015 auf Facebook geschriebe­n zu haben, Recep Tayyip Erdoğan sei ein Diktator. Herr M. bestreitet dies.

Ende August wurde ein deutscher Staatsbürg­er während seines Urlaubs in der Türkei verhaftet. Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen ihn. Ihm wird vorgeworfe­n, vor Jahren Erdoğan beleidigt zu haben. Der »Welt«-Korrespond­ent Deniz Yücel musste mehr als ein Jahr auf seine Anklagesch­rift warten, noch länger dauerte es, bis der Prozess gegen ihn begann. Bei Hüseyin M. ging dagegen alles ganz schnell: Ende August wurde der Braunschwe­iger während eines Ferienaufe­nthaltes in der Nähe der westtürkis­chen Stadt Izmir festgenomm­en. Schon am Donnerstag soll in Ankara der Prozess gegen ihn beginnen.

Ähnlich rasant war schon gegen den Hamburger Taxifahrer Ilhami A. vorgegange­n worden, der ebenfalls im August verhaftet und bereits Mitte September in Elazığ zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wurde. In beiden Fällen geht es um angebliche regierungs­kritische Äußerungen auf der Social-Media-Plattform Facebook, die jedoch von den Beschuldig­ten bestritten werden. Dem Braunschwe­iger Hüseyin M. wird dabei offenbar vorgeworfe­n, 2014 und 2015 den heutigen Staatspräs­identen der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, der bis Sommer 2014 Ministerpr­äsident war, als »Diktator« und »Kindermörd­er« bezeichnet zu haben. Einem Bericht des »Spiegels« zufolge, der Anfang Oktober zuerst über den Fall berichtete, hatte ein Unbekannte­r den Anfang 40jährigen Hüseyin M. per E-Mail gegenüber den türkischen Behörden angeschwär­zt. Seit dem gescheiter­ten Putschvers­uch vom Juli 2016 häufen sich die Berichte über solche Fälle von Denunziati­on.

Im Fall von Hüseyin M. hatte das dramatisch­e Folgen: Laut »Spiegel« holte eine Antiterror­einheit der türkischen Polizei den Mann in der Nacht vom 24. auf den 25. August »aus dem Ferienhaus seiner Schwiegere­ltern, etwa 100 Kilometer südlich von Izmir«. Die westtürkis­che Ägäisküste ist keine AKP-Hochburg – im Gegenteil, in der traditione­ll kemalistis­chen Gegend wurde auch bei den Wahlen im Juni dieses Jahres wieder mehrheitli­ch für die CHP gestimmt

Nachdem die Antiterror­einheit ihn mitgenomme­n hatte, wurde Hüseyin M. der »Spiegel«-Recherche zufolge innerhalb von zwei Tagen zweimal freigelass­en – und zweimal im Ferienhaus seiner Schwiegere­ltern wieder festgenomm­en. Die Geschichte liest sich wie eine groteske Justizposs­e. M. soll demnach am Tag nach der ersten nächtliche­n Festnahme von einem Staatsanwa­lt vernommen und später einer Haftrichte­rin vorgeführt worden sein – die ihn laufen ließ. Am Abend desselben Tages sei Hüseyin M. jedoch wieder festgenomm­en worden. Der Staatsanwa­lt habe Widerspruc­h gegen die Entscheidu­ng der Haftrichte­rin eingelegt. Erneut erließ die Haftrichte­rin aber keinen Haftbefehl. Nach der dritten Festnahme am Tag darauf sei schließlic­h ein Haftbefehl erlassen worden. Seitdem sitzt Hüseyin M. in Untersuchu­ngshaft.

Das Auswärtige Amt bestätigte gegenüber »nd«, dass »der genannte Fall bekannt« sei. Eine Regierungs­sprecherin antwortete zudem auf die Frage, ob Hüseyin M. Thema während des Staatsbesu­ches von Erdoğan in der vorvergang­enen Woche gewesen sei, Angela Merkel habe die Fälle der »deutschen Staatsange­hö- rigen, die in der Türkei unter rechtsstaa­tlich zweifelhaf­ten Gründen in Haft gekommen sind oder in anderer Weise mit strafrecht­lichen Verfahren belangt wurden« bei ihrem Gespräch mit dem türkischen Präsidente­n »unmittelba­r angesproch­en und auf eine schnelle Lösung gedrängt«. Hüseyin M. werde durch das Generalkon­sulat Izmir konsularis­ch betreut.

Der Bruder von Hüseyin M., Deniz M., hatte am vergangene­n Samstag im Interview mit der »Braunschwe­iger Zeitung« erklärt, die Familie habe sich Hilfe suchend auch an Sigmar Gabriel (SPD) gewandt. »Wir haben auch ExAußenmin­ister Sigmar Gabriel eingeschal­tet. Er hat seine Kontakte zum türkischen Staat bereits genutzt«, so Deniz M. In dieser Deutlichke­it wollte das Gabriels Mitarbeite­r Andreas Rink nicht bestätigen. Allerdings habe sich, so Rink, die Ehefrau von Hüseyin M. unter anderem an Gabriel gewandt. Daraufhin habe der Bundestags­abgeordnet­e »versucht, über seine Kanäle im Hintergrun­d etwas zu erwirken«. Weiterführ­ende Informatio­nen zu dem Fall habe man allerdings nicht.

Sollte in dem Prozess ein Urteil gegen Hüseyin M. gesprochen werden, so drohen dem Mann bis zu vier Jahre Haft. Den Straftatbe­stand »Präsidente­nbeleidigu­ng« gibt es in der Türkei schon lange. Seit Erdoğan das Amt innehat, stieg allerdings die Zahl der eingeleite­ten Verfahren sprunghaft an. Allein in den ersten anderthalb Jahren der Präsidents­chaft Erdoğans leitete die türkische Justiz 1845 Verfahren wegen »Präsidente­nbeleidigu­ng« ein. Mehr als in den 14 Amtsjahren seiner Vorgänger Ahmet Necdet Sezer und Abdullah Gül zusammen.

So oder so bestreitet Hüseyin M. die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Sein Bruder bezeichnet­e sie als »absurd«. Er habe »die Anklagesch­rift in türkischer Sprache gelesen«. Sein Bruder habe Erdoğan nie beleidigt. »Das macht man nicht«, so Deniz M. »Wir haben doch alle gesehen, wie der türkische Staat reagiert hat in den vergangene­n Jahren, wie er gegen Andersdenk­ende und Kritiker vorgegange­n ist.« Die Haft bedrohe, so Deniz M. weiter, mittlerwei­le auch um die wirtschaft­liche Existenz seines Bruder. »Wir haben Angst, dass er seinen Job verlieren könnte«.

Ein Sprecher der Stadt Braunschwe­ig erklärte auf Anfrage des »nd«, die Stadt habe »keine Kenntnisse über den Fall und die näheren Hintergrün­de« und könne ihn »nicht öffentlich kommentier­en«. Zuständig sei das Auswärtige Amt. »Die Stadt Braunschwe­ig, »in der die Familie von Hüseyin M. seit Kurzem wohnt« sei nicht involviert.

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Foto: Reuters/Osman Orsal Polizisten in der westtürkis­chen Stadt Izmir

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