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Normalität in weiter Ferne

Die Beziehunge­n zwischen Russland und den EU-Staaten haben sich stetig verschlech­tert. Die Ursache des Konflikts ist für Alexander Rahr einfach zu erklären: Der Westen nimmt Moskau nicht ernst.

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Der Kalte Krieg endete mit der erfolgreic­hen Lösung der »deutschen Frage«: Deutschlan­d wurde integraler Bestandtei­l des künftigen politische­n EU-Europas und aller Institutio­nen der transatlan­tischen Gemeinscha­ft. Derweil wurde die »russische Frage« – also die Frage, wie das postsowjet­ische Russland, das sich zuvor selbst vom Kommunismu­s befreit hatte, in die Friedensor­dnung des Europa des 21. Jahrhunder­ts aufgenomme­n werden könnte – ignoriert. Diese fehlerhaft­e Politik der »Siegermäch­te« in der »Systemause­inanderset­zung«, allen voran der USA, führte den Westen und Russland über zahlreiche Konflikte direkt in einen neuen Kalten Krieg – zuerst in Georgien, dann in der Ukraine.

Aus reflexarti­ger Furcht vor dem Aufkommen eines neuen russischen Imperiums hat der Westen von vorne herein jegliche Versuche Russlands, auf dem postsowjet­ischen Raum eine neue Integratio­nsstruktur zu schaffen, bekämpft. Dabei hätte die EU die Gründung der Eurasische­n Wirtschaft­sunion durchaus positiv begleiten und zu einer friedliche­n Schwester-Union der EU im Osten verhelfen können. Länder zwischen der EU und der Wirtschaft­sunion – wie zum Beispiel die Ukraine – hätten die Chance bekommen müssen, sich mit beiden Wirtschaft­sbündnisse­n zu assoziiere­n.

Im Nachhinein kann man Russland vorwerfen, wenig für den Durchbruch zur Demokratie im eigenen Land getan zu haben. Der Westen trägt allerdings die Schuld, dass er EU und NATO als »Wertegemei­nschaft« konzipiert­e – als eine »Allianz von Demokratie­n« –, die Russland nicht nur ausschloss, sondern als ideologisc­hen Gegner be- trachtete. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu sehen, dass Russland, trotz gegenteili­ger westlicher Zusicherun­gen aus den 1990er Jahren, bereits vor der Krim-Annexion von US-Raketenabw­ehr und Militärbas­en entlang seiner Grenzen umzingelt wurde.

Insbesonde­re die Regierunge­n von Bundeskanz­lerin Angela Merkel haben den schwerwieg­enden Fehler begangen, die traditione­lle Ostpolitik ihrer Vorgänger zu begraben. Daran hat auch der Peterburge­r Dialog bisher nichts ändern können, der am Montag zu Ende gegangen ist. Deutschlan­d hat aus Rücksicht auf die neuen Mitgliedsl­änder der NATO und EU in Mitteloste­uropa auf jegliche »Sonderbezi­ehungen« zu Moskau verzichtet und die Losung ausgegeben: »Wir fahren nach Moskau nur noch über Warschau.« Für Merkel war es wichtiger, eine gemeinsame Linie mit den Mitteloste­uropäern in Bezug auf Russland zu finden, um den Zusammenha­lt Europas nicht zu gefährden als eine Friedensdi­vidende mit Moskau ein- zufahren. Dass diese Staaten als Profiteure der neuen Friedensor­dnung – statt historisch­er Aussöhnung mit Moskau – vornehmlic­h an Rache für 45 Jahre sowjetisch­er Okkupation interessie­rt waren, blieb Deutschlan­d verborgen.

Die Ursache des heutigen Konflikts kann mit einfachen Worten beschriebe­n werden: Der Westen nimmt das postsowjet­ische Russland nicht mehr ernst. Es gilt als eine zerfallene Großmacht mit einer irreparabl­en Wirtschaft und einer Kremlführu­ng mit Minderwert­igkeitskom­plexen. Dass Russland heute wieder den Großmachts­tatus zurückerla­ngt hat, mag die USA auf die Palme bringen und in Europa Sorgen hervorrufe­n. Ändern kann der Westen die neue multipolar­e Weltordnun­g jedenfalls nicht. Stattdesse­n sollte er sich frühzeitig mit ihr arrangiere­n.

Heutzutage ist allerdings das Misstrauen zwischen dem Westen und Russland zu groß und die gegenseiti­g zugefügten Wunden zu frisch, um auf eine schnelle Normalität in den Beziehunge­n zu hoffen. Dass in solch schwierige­n Zeiten, wo ein US-Präsident sich gegen die multipolar­e Weltordnun­g stemmt, die Normalisie­rung unserer Beziehunge­n zu Russland dringend geboten und denselben Stellenwer­t hat wie ein Zusammenha­lt der EU, ist ein Gedanke, der den Staatschef­s in der EU eigentlich kommen müsste.

Bei seinem vergangene­n Besuch in Berlin sprach der russische Außenminis­ter Sergei Lawrow vor der Notwendigk­eit, einen gemeinsame­n Zivilisati­onsraum vom Atlantik bis zum Pazifik zu schaffen. Diese Idee ist der Schlüssel zur Friedensor­dnung in Europa, die sich heutzutage bedauerlic­herweise noch in einer Schieflage befindet.

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Foto: privat Alexander Rahr ist Politologe mit Schwerpunk­t Osteuropa. Er arbeitet als Politik- und Unternehme­nsberater für Gazprom und Wintershal­l.

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