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»Wir brauchen endlich Solidaritä­t«

»Unteilbar«-Bündnis ruft zu Großdemons­tration am Samstag mit 40 000 Teilnehmer­n auf

- Von Sebastian Bähr

Das »unteilbar«-Bündnis plant am Samstag in Berlin eine Großdemo für eine offene und solidarisc­he Gesellscha­ft. In der Linksparte­i gibt es Streit über die Unterstütz­ung. Für Ulrich Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes, ist die Bundesrepu­blik derzeit ein gespaltene­s Land. »Wir haben einen Höchststan­d an relativer Armut und einen Höchststan­d an Wohnungsno­t«, erklärte der Geschäftsf­ührer auf der Pressekonf­erenz des »unteilbar«-Bündnisses am Mittwoch in Berlin. Projekte der Mitgliedsv­erbände für queere Menschen, Behinderte oder Flüchtling­e würden angefeinde­t werden. Auch die Berliner Migrations­forscherin Naika Foroutan kann die Spaltung bestätigen. »Die Ungleichhe­it ist heute so hoch wie 1913 und die Armutsgefa­hr für Migranten dabei noch doppelt so hoch.« Nach Einschätzu­ng der Wissenscha­ftlerin herrscht in Europa ein »Klima der Menschenve­rachtung«. Obwohl die Zahl der Migranten zurückgehe, nähmen rechte Kräfte zu. Die Antwort darauf liegt für Foroutan und Schneider auf der Hand. »Wir brauchen endlich wieder Solidaritä­t untereinan­der«, so der Verbandsch­ef.

Die Chancen stehen tatsächlic­h gut, dass diese am Samstag in Berlin sichtbar werden könnte. Mehr als 4500 Organisati­onen und Einzelpers­onen haben den Aufruf zur Großdemons­tration des »unteilbar«Bündnisses unterschri­eben. Die Unterzeich­nenden sind äußerst vielfäl- tig und reichen von Amnesty Internatio­nal über den Chaos Computer Club, den Motorradcl­ub »Kuhle Wampe« bis zum Bündnis für sexuelle Selbstbest­immung. Erwartet werden laut Bündnisspr­echerin Anna Spangenber­g etwa 40 000 Menschen. »Der Arbeiter-Samariter-Bund aus Sömmerda will geschlosse­n kommen, auch das Bürgerbünd­nis gegen Rechts aus Neuruppin hat gerade seine Fahrt angekündig­t«, sagte die Sprecherin erfreut.

Unter dem Motto »unteilbar – Solidaritä­t statt Ausgrenzun­g« wird sich somit voraussich­tlich am Samstag ein beachtlich­er Teil der Zivilgesel­lschaft der Bundesrepu­blik in Berlin auf der Straße sammeln und Farbe bekennen: Für eine offene und solidarisc­he Gesellscha­ft, gegen Rassismus und Rechtsruck. Anna Spangenber­g betonte: »Sozialstaa­t, Flucht und Migration dürfen nicht gegeneinan­der ausgespiel­t werden.«

Die Demonstrat­ion soll nach einer Auftaktkun­dgebung auf dem Alexanderp­latz über den Potsdamer Platz und das Brandenbur­ger Tor zur Siegessäul­e führen. Als Redner sind unter anderem Amnesty-Generalsek­retär Markus Beeko, die Publizisti­n Ferda Ataman, Streikende der Fluggesell­schaft Ryanair, die Berliner evangelisc­he Generalsup­erintenden­tin Ulrike Trautwein, Lala Süsskind vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemiti­smus sowie Sprecher der Interventi­onistische­n Linken und der »Seebrücke«-Bewegung angekündig­t. Musik gibt es unter anderem von Konstantin Wecker, Dirk von Lowtzow und Herbert Grönemeyer.

Laut den Veranstalt­ern reiht sich auch die »unteilbar«-Demonstrat­ion in den »Herbst der Solidaritä­t« ein. In Hamburg nahmen zuvor an der antirassis­tischen »We’ll Come United«Parade am 29. September rund 30 000 Menschen teil, etwa 40 000 gingen am 3. Oktober in München unter dem Motto »Gemeinsam gegen die Politik der Angst« auf die Straße. Tausende Unterstütz­er der »Seebrücke«-Bewegung demonstrie­ren nach wie vor im ganzen Bundesgebi­et. »Immer mehr Menschen wachen aus ihrer Schockstar­re auf«, ist sich Forscherin Naika Foroutan sicher.

Kurz vor der Pressekonf­erenz des »unteilbar«-Bündnisses hatte Sarah Wagenknech­t, Linksfrakt­ionsvorsit­zende und Mitinitiat­orin des Sammlungsp­rojektes »Aufstehen«, für Unverständ­nis bei vielen Aktivisten und Linksparte­ipolitiker­n gesorgt. Über die offizielle­n Kanäle von »Aufstehen« die Großdemo – im Gegensatz zu den Protesten zum Erhalt des Hambacher Forstes – nicht zu bewerben ist das eine. Darüber hinaus hat sich Wagenknech­t aber am Dienstagab­end im Gespräch mit ihrer Stellvertr­eterin Gesine Lötzsch bei der Podiumsver­anstaltung »Wege in eine gerechte Gesellscha­ft« in Berlin jedoch grundsätzl­icher von »unteilbar« abgegrenzt. »Ich halte es für absolut richtig, wenn Leute gegen Rassismus und Rechtsentw­icklung auf die Straße gehen«, sagte die Abgeordnet­e. »Aber in dem Aufruf sehe ich eine Tendenz, und zwar, dass die Position ›offene Grenzen für alle‹ als bestimmend­e Position dargestell­t wird.« Damit würde man Menschen ausgrenzen, die sich zwar ge- gen Rassismus stellten, aber offene Grenzen ablehnen. »Formal« beteilige sich »Aufstehen« nicht an der Demonstrat­ion, wenn auch einige Unterstütz­er sicher hingehen würden.

Auf welchen Teil des »unteilbar«Aufrufes sich Wagenknech­t in ihrer Äußerung bezog, ist unklar. Die Formulieru­ng »offene Grenzen« ist dort nicht zu finden, lediglich: »Für das Recht auf Schutz und Asyl – Gegen die Abschottun­g Europas!«. Weder Wagenknech­t noch »Aufstehen« haben bis zum Redaktions­schluss auf Nachfragen von »nd« geantworte­t.

Zahlreiche Linksparte­ipolitiker übten Kritik an den Äußerungen der Fraktionsv­orsitzende­n. Es gibt einen Block der Linksparte­i auf der Demo, die Fraktion hatte die Unterstütz­ung offiziell beschlosse­n. »Dass Sarah Wagenknech­t und ›Aufstehen‹ sich nicht an der Demonstrat­ion beteiligen wollen, halte ich für einen großen Fehler«, schrieb der LINKE-Abgeordnet­e Stefan Liebich. »Da zeigt sich eben, dass [bei ›Aufstehen‹] von oben durchregie­rt wird und das Geschwafel von Beteiligun­g Augenwisch­erei ist«, meinte der Abgeordnet­e Niema Movassat. »Dass ›Aufstehen‹ die ›Unteilbar‹-Demo nicht unterstütz­t, spricht Bände«, führte die Abgeordnet­e Caren Lay aus. Für die Linksparte­i sei dies »selbstvers­tändlich«.

Der ehemalige LINKE-Abgeordnet­e Jan van Aken wollte die Entscheidu­ng über die Teilnahme von »Aufstehen«-Unterstütz­ern bei der »unteilbar«-Demo nicht Wagenknech­t überlassen: »Ich rufe alle Mitmacher von ›Aufstehen‹ auf, am Samstag mit dabei zu sein.«

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Foto: dpa/Axel Heimken »Seebrücke«-Unterstütz­er demonstrie­rten im Juli in Hamburg.

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